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Von den Krimmler Wasserfällen wurde ein virtuelles Modell für Testzwecke erstellt.

Foto: Picturedesk / Ludwig Mallaun

Es gibt Hinweise auf die heilsame Wirkung der Naturbetrachtung bei der Genesung von Erkrankungen. Als mittlerweile klassisch gilt beispielsweise eine 1984 publizierte Studie des Architekturprofessors Roger Ulrich. Er stellte fest, dass Krankenhausaufenthalte von Patienten, die durch ihr Fenster grüne Bäume sehen konnten, deutlich kürzer ausfielen als jene von Patienten, die auf eine Ziegelmauer blickten.

Salzburger Wissenschafter wollen nun herausfinden, ob auch künstliche, im Computer generierte Natur einen solchen Effekt bewirkt. Dafür bringen sie Patienten mit Methoden der virtuellen Realität (VR) in künstlich erzeugte Umgebungen und messen deren Körperfunktionen. Durch einen Vergleich mit Messwerten von Patienten, die sich in der realen Natur aufhielten, kann dann festgestellt werden, ob die Realität der Kunstwelt "überlegen" ist.

Virtuelle Wasserfälle

Die Paracelsus Medizinische Privatuniversität (PMU) Salzburg hat für dieses Projekt einen Partner in der FH Salzburg gefunden. Arnulf Hartl, Leiter des Instituts für Ecomedicine an der PMU, kooperiert mit Markus Tatzgern, Fachbereichsleiter für Game Development and Mixed Reality an der Fachhochschule.

Gemeinsam arbeiten die Wissenschafter am Aufbau des Ecomedicine Virtual Reality Physiology Lab, das zu 75 Prozent mit Mitteln des Landes im Rahmen der Wissenschafts- und Innovationsstrategie Salzburg 2025 gefördert wird. Das Gesamtbudget beträgt 900.000 Euro. Im Rahmen des Labors sollen Produkte und Dienstleistungen getestet werden, die VR-Technologien bei der Behandlung von Krankheiten einsetzen.

Das erste Projekt der beiden Kooperationspartner war eine Untersuchung von Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis (COPD) in einer virtuellen Version der Krimmler Wasserfälle.

Zur Erstellung des virtuellen Modells fuhren die Forscher zu den realen Wasserfällen im Nationalpark Hohe Tauern. Dort erstellten sie mithilfe von Drohnen zahlreiche Fotoaufnahmen der Landschaft in unterschiedlichen Höhen.

Außerdem wurde die Geräuschkulisse vor Ort mit einem 360-Grad-Mikrofon aufgenommen. Aus den Daten erstellten die Multimediaexperten der FH Salzburg danach ein zweidimensionales Rundumpanoramabild der Gegend sowie eine 3D-Rekonstruktion.

Die Tiefenwirkung erzielten sie mit fotogrammetrischer Software. Im klinischen Teil der Studie wurden dann 60 Probanden gebeten, eine VR-Brille aufzusetzen und sich eine Zeitlang in der virtuellen Welt aufzuhalten. Die parallel dazu laufenden medizinischen Messungen konzentrierten sich auf Herz- und Lungenfunktionen.

Man weiß ja, dass ein Aufenthalt an den realen Wasserfällen einen Entspannungszustand bewirkt (medizinisch ausgedrückt: einen hohen Parasympathikotonus).

Der Atem wird tiefer

Der Herzschlag normalisiert sich, der Atem wird tiefer, die Sauerstoffsättigung im Blut steigt und die Atemfrequenz verlangsamt und synchronisiert sich mit dem Herzschlag. Darüber hinaus werden entzündliche Atemgase in der Lunge reduziert. Die klinische Studie wurde Ende 2018 abgeschlossen, derzeit erfolgt die Auswertung.

Ob die Effekte der virtuellen Natur jenen der realen wirklich ebenbürtig sind, wird sich also erst zeigen. "Es geht nicht darum, dass die virtuellen Welten das reale Naturerlebnis ersetzen sollen", betont Hartl. Zielgruppe der Forschungsergebnisse seien vielmehr Personen, die aus medizinischen Gründen nicht selbst in die Natur hinaus können, weil sie bettlägrig sind. Oder, wie im Fall von COPD-Patienten, weil der geringe Luftsauerstoff bei den Krimmler Wasserfällen für sie kontraproduktiv wäre.

Übungen mit einem Avatar

"Die größte Herausforderung bei der Erstellung des Modells ist der Wasserfall selbst", sagt Markus Tatzgern. "Wir arbeiten derzeit an einer Verbesserung des 3D-Modells." Ein Ziel der Forscher ist außerdem die Entwicklung eines "Exergames" (ein Kunstwort aus "exercise" und "game").

Dabei soll ein Avatar Patienten in virtueller Realität bei der Durchführung von atemtherapeutischen Übungen begleiten. Hochpersonalisiert, abgestimmt auf den jeweiligen Typ der Erkrankung, soll automatisiert erkannt werden, wie gut der Patient die Übungen ausführt.

Denkbar wäre auch ein auf sozialer Vernetzung basierendes Szenario, bei dem sich mehrere Patienten in einem virtuellen Raum treffen und die Übungen gemeinsam durchführen. Weitere Forschungsfragen betreffen die Methodik selbst. So soll eruiert werden, wie realistisch die künstliche Welt sein muss, um einen medizinischen Effekt zu haben.

Muss es immer eine 3D-Darstellung sein, oder reicht ein 2D-Panorama? Und welche Darstellungen haben einen ähnlichen Effekt? Der Anblick von Bäumen? Von Wasser? Die Geräusche der Natur? Nicht zuletzt soll das Ecomedicine Virtual Reality Physiology Lab auch als Ort der Lehre, an dem junge Wissenschafter ausgebildet werden und deren Abschlussarbeiten verfassen können. (Raimund Lang, 12.2.2019)