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Die zuletzt außergewöhnlich tiefen Temperaturen in den USA – in Chicago etwa minus 30 Grad Celsius – forderten einige Todesopfer und ließen den Lake Michigan frieren.

Foto: APA/AFP/GETTY IMAGES/SCOTT OLSON

Frage: Vor ein paar Wochen noch hat man in Österreich oder Deutschland gefroren. Derzeit herrscht Eiseskälte in den USA. Ist in beiden Fällen der "zusammengebrochene" Polarwirbel verantwortlich?

Antwort: Er ist mitverantwortlich. Prinzipiell ist es völlig natürlich, dass sich wärmere und kältere, feuchtere und trockenere Wetterphasen über Tage oder Wochen hinweg in bunter Reihenfolge abwechseln. Wenn der Polarwirbel schwächer wird oder gar zusammenbricht, werden Abweichungen von der Norm wahrscheinlicher – und zwar in alle Richtungen.

Frage: Was bedeutet "zusammengebrochener" Polarwirbel?

Antwort: Kalte Luft ist schwerer als warme. Eine kalte Atmosphäre zieht sich also sozusagen in Bodennähe zusammen, Luftdichte und Luftdruck nehmen nach oben hin rascher ab als in warmer Luft. Infolgedessen liegt über den Polargebieten fast immer – und insbesondere im Winter – ein Tiefdruckgebiet am Oberrand der Troposphäre, also in etwa zehn Kilometer Höhe, um das der Höhenwind mehr oder weniger kreisförmig weht. Das ist der Polarwirbel. Das Westwindband, das ihn umschließt, wird Jetstream genannt. Es ist manchmal stärker, manchmal schwächer, es kann geradlinig sein, mal mäandrierend, mal zu höheren oder mal zu niedrigeren geografischen Breiten verschoben, aber ebenso semipermanent vorhanden wie der Polarwirbel. Der Jetstream steuert auch die Verlagerung der kleineren und schnelllebigeren Hoch- und Tiefdruckgebiete in Bodennähe, die unser Wettergeschehen beeinflussen und abwechslungsreich machen. Bei einem Zusammenbruch des Polarwirbels werden die Mäander des Jetstreams immer größer, bis sich im Extremfall ein Teil des Polarwirbels abspalten oder sogar der ganze Polarwirbel vom Nordpol lösen und woandershin wandern und ungewöhnlich kaltes Wetter bringen kann. Als Ausgleich strömt wiederum woanders warme Luft bis in hohe geografische Breiten und sorgt dort für ungewöhnlich warmes Wetter. Im aktuellen Fall der Kältewelle in den USA passierte dies über dem Pazifischen und Atlantischen Ozean, was nicht sehr medienwirksam war.

Frage: Sind solche Ereignisse normal oder außergewöhnlich?

Antwort: Zusammenbrüche des Polarwirbels sind zwar nicht die Regel, aber keineswegs außergewöhnlich. Ein totaler Zusammenbruch lässt sich etwa alle paar Winter einmal beobachten. Diesmal waren die Abweichungen von der Norm besonders ausgeprägt, sodass sowohl langjährige Kälterekorde in den USA als auch langjährige Schneerekorde in den österreichischen Alpen gebrochen wurden.

Frage: In Österreich liegt angeblich so viel Schnee wie schon lange nicht, in den heimischen Bergen war es schon lange nicht mehr so kalt. Ist der Winter damit wieder im Rennen?

Antwort: Die Schwankungsbreite zwischen warmen und kalten Saisonen ist im Winter höher als im Sommer. Daher wird es auch in Zukunft kalte und schneereiche Winter geben, allerdings immer seltener. Im aktuellen Fall muss man allerdings auch vorsichtig sein: Ungewöhnlich kalt war der bisherige Winter lediglich auf den Bergen (wegen der vielen Tiefdrucklagen, die auf den Bergen generell kälter sind als Hochdrucklagen). In fast allen bewohnten Gebieten Österreichs und insbesondere im gesamten Flachland waren hingegen der Dezember 2018 um etwa zwei Grad und der Jänner 2019 immer noch um etwa ein Grad milder als normal, außerdem waren sie relativ schneearm. Auch der Gesamtwinter wird also sehr wahrscheinlich für fast alle Österreicher "milder als normal" enden, auch wenn die Schneemassen in den Alpen im subjektiven Eindruck natürlich am besten haften bleiben.

Frage: Kann es künftig öfter so kalt sein?

Antwort: Die globale Erwärmung betrifft die Polargebiete mehr als doppelt so stark wie die Tropen, da beim Schmelzen von Schnee- und Eisflächen große, vormals weiße Flächen dunkel werden und sich durch die Sonneneinstrahlung stärker erwärmen. Im Mittel schwächt sich der Polarwirbel dadurch ab, stärkere Mäander des Jetstreams oder gar Zusammenbrüche des ganzen Polarwirbels werden also begünstigt. Dadurch werden auch "stehende" Wetterlagen, die über längere Zeit wärmere oder kältere, feuchte oder trockenere Witterung bringen, wahrscheinlicher und können insbesondere sowohl Dürreperioden als auch Hochwasser häufiger machen. Die Wissenschaft ist sich weitgehend einig über dieses Phänomen, sein Ausmaß und seine Bedeutung müssen genauer untersucht werden.

Frage: "What the hell is going on with global warming", ätzt US-Präsident Donald Trump. Wie können Wissenschafter deutlich machen, dass derlei Schlussfolgerungen falsch sind?

Antwort: Ein konkretes Beispiel für Österreich: Im abgelaufenen Jahr 2018 waren im österreichischen Flächenmittel 269 Tage wärmer, hingegen nur 96 Tage kälter als im Klimamittel 1981–2010. Knapp 74 Prozent der Tage waren als wärmer als normal. Wenn Sie von jemandem zu einer Runde Münzwürfen aufgefordert werden, und bei 365 Würfen liegt in fast drei Vierteln aller Fälle jene Seite der Münze oben, die sich Ihr Gegner ausgesucht hat, dann werden Sie wohl auch – und zwar schon lange vor Ablauf der 365 Würfe – annehmen, dass die Münze gezinkt ist, und nicht, dass Sie so riesiges Pech haben. Die Wahrscheinlichkeit, dass bei einer ungezinkten Münze in 365 Würfen eine der beiden Seiten nur 96-mal oder seltener gewinnt, ist sehr gering. Genauso extrem unwahrscheinlich wäre also ein Jahr wie 2018, wenn man den Klimawandel leugnet und ein stationäres Klima ohne Erwärmungstrend annimmt. (Peter Illetschko, 6.2.2019)