Heuschrecken als Fleischersatz? Insekten und Krabbeltiere könnten in Zukunft eine größere Rolle in unserer Ernährung spielen.

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Wird das stinken, und ist es laut? Mit Fragen dieser Art sahen sich die Jungunternehmer Manuel Bornbaum und Florian Hofer konfrontiert, als sie Wiener Beamten erklärten, dass sie Pilze im Keller eines Mehrparteienhauses züchten wollten. Künftig werden sich Behörden öfter mit solchen Dingen beschäftigen müssen: Städte wachsen, Urban Farming boomt, Algennahrung wird wichtiger.

Bornbaums und Hofers Beitrag zur Wiener Landwirtschaft lässt sich bereits sehen: Seit bald vier Jahren züchten die Gründer von "Hut und Stiel" Austernpilze in Wien-Brigittenau. Die Schwammerln sprießen in zwei Kellerräumen aus schwarzen Säcken, die mit Kaffeesud aus Büros und Kaffeehäusern gefüllt sind.

Die Austernpilze wachsen im Keller von Hut und Stiel aus dunklen Säcken, die mit Kaffeesatz gefüllt sind.
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Drei Wochen darf sich der Pilz in einem warmen, dunklen Kellerabteil im Kaffeesatz ausbreiten. Dann werden die Säcke in einen kälteren, helleren Raum mit höherer Luftfeuchtigkeit verlagert. Bald schon wachsen Austernpilze aus dem Sud. Sie sind für die Gastronomie und Feinkostgeschäfte bestimmt. Im Winter kann vier- bis fünfmal pro Woche geerntet werden, im Sommer jeden Tag.

"Urban Farming hat einen pädagogischen Charakter", erzählt Co-Gründer Bornbaum. Die Unternehmer bieten regelmäßig Workshops für Wiener mit Sehnsucht nach eigener Landwirtschaft an. In Selbstzuchtsets können Hobbygärtner danach essbare Pilze im eigenen Heim züchten. Bornbaum sieht in der städtischen Landwirtschaft Potenzial: "Der Trend, dass immer mehr Leute in Städte ziehen, wird anhalten. Auch der Trend zu Regionalem setzt sich fort." Dann wäre da noch der Ökofaktor. Die Pilze wachsen auf Abfall, der Landverbrauch ist minimal. Bornbaum: "Was den CO2-Fußabdruck betrifft, können kaum Lebensmittel mit Pilzen mithalten."

Weniger Fleisch, mehr Gemüse

Die Weltbevölkerung wächst, gleichzeitig tragen unsere Ernährungsgewohnheiten maßgeblich zum Klimawandel bei. Um natürliche Ressourcen zu schonen und den Landverbrauch einzudämmen, müssten wir uns künftig anders ernähren, sagen Experten. Um jene "ideale" Weltdiät zu ermitteln, haben Forscher aus 16 Ländern weltweite Ernährungsgewohnheiten analysiert. Die zentrale Botschaft: Die zehn Milliarden Menschen, die 2050 auf unserem Planeten leben werden, können ernährt werden. Damit die Umwelt und die Gesundheit nicht leiden, müssen Essgewohnheiten vielerorts radikal umgestellt werden. Demnach sollte jeder Mensch nicht mehr als 43 Gramm Fleisch, 28 Gramm Fisch und 13 Gramm Ei pro Tag essen. Auf dem Speiseplan stehen zudem mehr als ein halbes Kilo Obst und Gemüse täglich.

Österreicher essen im Durchschnitt rund 63 Kilogramm Fleisch pro Jahr.
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Wenig Fleisch heißt nicht zwingend, auf tierisches Eiweiß verzichten zu müssen. Bereits jetzt gibt es neben vegetarischen Optionen wie Hülsenfrüchten zahlreiche tierische Alternativen für eine proteinreiche Ernährung, die nur einen kleinen Ökofußabdruck haben.

Ein Beispiel ist In-vitro-Fleisch, das aus Tierzellen gezüchtet wird, als ressourcenschonend gilt und deutlich weniger Energie in der Herstellung benötigt. Derzeit ist Fleisch aus dem Labor noch nirgends zugelassen – und auch der Preis ist prohibitiv hoch, um es massentauglich zu machen. Dennoch gibt es einige beachtenswerte Vorstöße: Das niederländische Unternehmen Mosa Meat forscht seit Jahren an einem In-vitro-Burger. 2013 gelang der erste, er kostete 250.000 Euro. Geschmacklich soll er an ein "echtes" Fleischlaberl herankommen. Mittlerweile konnten die Produktionskosten auf neun Euro je Stück gedrückt werden, in drei bis vier Jahren soll der Burger auf den Markt kommen.

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In mehreren Ländern der Welt wird an Fleisch aus dem Labor geforscht.
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Ein anderer, weitaus natürlicherer Proteinlieferant sind Krabbeltiere. Weltweit werden an die hundert verschiedene Insektenarten und Würmer gegessen, sie stehen bei Millionen Menschen auf dem Speiseplan. In der Gastronomie beginnt das Phänomen hingegen erst langsam Fuß zu fassen. Eines der wenigen Lokale in Österreich, die Insekten auf der Speisekarte führen, ist das Crossfield's Australian Pub im ersten Bezirk in Wien.

Dieses zur Kaffeesiederdynastie Querfeld (Café Landtmann, Café Mozart, Café Museum u. a.) gehörende Pub gibt es seit 27 Jahren, und genauso lang werden dort neben Kuriositäten wie Krokodil- und Kängurufleisch auch ausgewählte Insekten kredenzt. "Die Gäste, die Heuschrecken oder Mehlwürmer ordern, denken dabei nicht primär an Eiweißersatz; etwa 95 Prozent machen das aus Spaß, weil es außergewöhnlich ist oder als Mutprobe", sagt Juniorchefin Karoline Winkler. Die gebratenen Heuschrecken werden vorzugsweise auf Erdäpfelpüree drapiert, die getrockneten Mehlwürmer auf Salat serviert. Nicht wenige Gäste würden sich getrocknete Insekten auch mit nach Hause nehmen.

Heuschrecken sind eine wesentlich ökologischere Alternative zu Fleisch.
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Seit gut einem Jahr wird das Australian Pub von Zirp mit Heuschrecken und Mehlwürmern versorgt. Der Mann hinter dem Wiener Unternehmen heißt Christoph Thomann. Er hat Gesundheitsmanagement in Krems studiert, den Master gemacht und anschließend in einer Apotheke gearbeitet. Bis ihn die Insekten gepackt haben. "Jetzt mache ich das hauptberuflich, veranstalte Kochkurse, mache Aufklärungsarbeit, gehe in Schulen." Er mache das, "weil Insekten gesundheitlich wertvoll und ökologisch sinnvoll sind".

Noch bezieht Thomann die Insekten, die er portioniert und weiterverkauft, von zertifizierten Partnern. In ein, zwei Jahren will er selbst eine Produktion aufziehen – "weil die Nachfrage da ist". Seit ein paar Monaten ist Zirp auch bei Merkur gelistet. "Denken Sie an Sushi", sagt Thomann. "Vor 30 Jahren hätte sich bei uns kaum jemand vorstellen können, rohen Fisch zu essen. Heute ist das selbstverständlich." (Nora Laufer, Günther Strobl, 9.2.2019)