Auch in Europa und den USA wird das Frauenwahlrecht von Rechtsextremen und Antifeministen für eine Vielzahl von gesellschaftlichen Missständen verantwortlich gemacht und sogar seine Sinnhaftigkeit in Frage gestellt. So meinte Martin Sellner, Führungskader der rechtsextremen Gruppe der "Identitären", 2016 in einem Vlog "Frauen – was ist los mit euch?", dass "das Wahlverhalten zeigt, dass die Frauen so wählen, dass die Frauen einwanderungsfreundliche Parteien wählen, dass die Frauen linksliberale Kandidaten wählen, dass die Frauen auch in Umfragen die Position vertreten, die dazu führt, dass Europa multikultureller, islamischer und letztlich auch frauenfeindlicher wird."

Frauen würden folglich durch ihr Wahlverhalten und ihren Altruismus den "Großen Austausch" der vermeintlich autochthonen Bevölkerung ermöglichen, da dadurch Parteien an der Macht seien, die eine flüchtlingsfreundliche Politik betrieben. Hinter diesem Gedankengang verbirgt sich folglich die Unterstellung, dass Frauen selbst schuld seien an einer potentiellen Beschneidung ihrer Rechte sowie der (einzig auf vermeintlich migrantische Männer projizierte) Bedrohung (sexualisierter) Gewalt, da sie sich diese Männer ins Land geholt hätten.

Ursprung des Unglücks ist das Frauenwahlrecht

Mit dieser Vorstellung ist Sellner in rechtsextremen Kreisen nicht allein. Einzelne in diesem Spektrum zu verortende Männer und auch Gruppierungen gingen in den letzten Jahren sogar so weit, die Abschaffung des Frauenwahlrechts zu fordern. So veröffentlichte Akif Pirinçci, ein deutsch-türkischer Autor, auf seinem Blog ein "Plädoyer für die Abschaffung des Frauenwahlrechts". In diesem führt er aus, dass "alles Unglück unserer Zeit seinen Ursprung in der Einführung des Frauenwahlrechts" habe. Frauen seien "schon längst ihrer archaischen Natur, ihrem biologischen Prinzip verlustig gegangen". Früher sei zudem alles besser gewesen, da Frauen wie Männer gewählt und es zudem keine Frauenpolitik gegeben hätte. Abschließend resümiert er in ähnlich rassistischer Manier wie Sellner, wenn auch weniger unverhohlen: "Der grandiose Witz ist nur, daß gerade die Wahlpräferenzen der Frau dafür sorgen werden, sie wieder politisch unmündig zu machen. […] Sie wird zielsicher jene feminine Politik favorisieren, die massenhaft sie in spe dominierenden Männer unkontrolliert in ihr Land hineinläßt, ignorierend, daß dessen Substanz und Wohlstand von Männern aufgebaut wurde, die einhergehend mit ihren Aufbauleistungen die Dominanz über die weibliche Natur leichtfertig aus der Hand gaben. Dann wird sich das Problem von allein erledigt haben. Warten wir es ab." Pirinçci ist unter anderem durch homofeindliche Büchern wie die "Die große Verschwulung" bekannt geworden, schreibt regelmäßig in rechtsextremen Zeitschriften, hält bei Großdemonstrationen von Pegida Reden und wurde auch schon mehrfach wegen Verhetzung verurteilt.

Ein Ende des Frauenwahlrechts würde für einige Rechte zu einer besseren Welt führen.
Foto:REUTERS/Henry Romero

Frauen haben "eh nichts im Beruf verloren"

Dass auch Pirinçci mit seiner Position nicht alleine ist, lässt sich einerseits daran festmachen, dass sein Beitrag auf zahlreichen weiteren Blogs im Internet verlinkt wurde. Andererseits beklagt auch "wikimannia", eine Wiki-Seite aus dem Spektrum frauenfeindlicher und antifeministischer Männerrechtler, dass "[d]er Frage, ob Frauenrecht überhaupt etwas positives bewirkt hat, […] nicht nachgegangen" werde. Auch dann nicht, so die antifeministische Conclusio der Seite, "nachdem ein männer-feindlicher Feminismus als Staatsfeminismus institutionalisiert wurde und in Deutschland seit 2013 nur noch männer-feindliche Parteien mit demokratie-feindlichen Frauenquoten im Bundestag vertreten sind."

Ähnliche Haltungen und Forderungen werden darüber hinaus in der Anonymität des Internets auch zu Hauf auf Social-Media-Plattformen wie Twitter oder Facebook verbreitet. 2016 forderte zudem der AfD-Oberbürgermeister-Kandidat aus Darmstadt, Hans Mohrmann, in einem, angeblich sarkastischen, Post die Abschaffung des Frauenwahlrechts. Vor wenigen Wochen wurde außerdem bekannt, dass in einer privaten Chatgruppe "JA Hessen Intern" Mitglieder der Jugend Alternative (JA), der Parteijugend der AfD, zutiefst menschenverachtende Äußerungen tätigten und beispielsweise die Wiedereinführung der Todesstrafe für Politikerinnen und Politiker forderten, "die ihr Volk verraten". Der inzwischen aus dem hessischen Landesvorstand zurückgetretene Elliott Murray soll außerdem verlangt haben, Frauen das Wahlrecht zu entziehen: "Frauenwahlrecht abschaffen und die links-grünen haben Probleme." Für ihn hätten Frauen "eh nichts im Beruf verloren".

Frauen gegen das Frauenwahlrecht

Unterstützung erfahren die erwähnten Gegner des Frauenwahlrechts zeitweise sogar durch Frauen. So gab beispielsweise die Vorsitzende der Central Mississippi Tea Party, Janis Lane, 2012 zum Besten, "dass die USA ohne Wahlrecht für Frauen besser dastünde". Auch die "Philosophin" aus dem Umfeld der "Identitären", Caroline Sommerfeld, kommt in einem Artikel für die rechtsextreme Zeitschrift "Sezession" zum Schluss: "Wie man es dreht und wendet, die ultimative Lösung ist folglich die Aufhebung des Frauenwahlrechts.

Sie beruft sich dabei auf an den frauenverachtenden Maskulisten und Pickup-Artist, Roosh V, der unter anderem Vergewaltigung auf Privatgelände legalisieren möchte und meinte Frauen nützten "ihre Stimme grundsätzlich zu Selbstzerstörung und Nationalmasochismus, dazu, Invasoren breitbeinig zu empfangen, ihre eigenen Männer zu verfolgen und ihr Land mit allen möglichen Spielarten von Sozialismus zu korrumpieren." Würde das Frauenwahlrecht abgeschafft, wäre jede linke Partei innerhalb einer Wahlperiode "am Boden", nach zwei könnte wieder an Männer und ihre "natürlichen Interessen für Patriarchat, Leistung und Familie" appelliert werden und mit fünf Wahlgängen wäre dann laut Roosh V die Welt wieder in Männerordnung.

Hinter diesen misogynen Fantasien verbergen sich vor allem männliche Ängste vor Macht- und Privilegienverlust, die mit der zunehmenden Infragestellung und Auflösung patriarchaler Ordnungen verbunden sind, sowie auch das von selbigen imaginierte Schreckensszenario, dass sich die Frauen zusammentun könnten und weil sie einen größeren Teil der Bevölkerung ausmachen, mächtiger werden könnten, als die Männer. Was zeigt, dass auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts noch immer dieselben Mechanismen wirken und teils auch dieselben Argumentationen verwendet werden.

Keine Wahl für Männer!

Die skizzierten Positionen sind zwar von gesellschaftlicher Hegemonie weit entfernt, jedoch haben derartige Stimmen in den letzten Jahren durchwegs mehr Gehör bekommen. Gerade das zunehmende Erstarken rechtsextremer Parteien in ganz Europa und der diese Wahlsiege begleitende gesellschaftliche, antifeministische Backlash verdeutlichen die Gefahr für erkämpfte feministische Errungenschaften, dass selbige wieder rückgängig gemacht werden könnten. Gerade das Beispiel Österreich gibt Aufschluss darüber, was in Bezug auf Frauenpolitik passiert, wenn eine rechtskonservative Regierung an die Macht kommt: Streichung von Förderungen von frauenpolitischen Organisationen und Projekten sowie Festschreibung der Geschlechterdifferenz im Regierungsprogramm.

Umso notwendiger scheint es, die Gefährlichkeit von Forderungen wie jener nach der Abschaffung des Frauenwahlrechts in politischen und gesellschaftlichen Diskussionen zum Thema zu machen. Dem kam beispielsweise die Burschenschaft Hysteria¹ nach, die Mitte Oktober 2017, kurz vor den Nationalratswahlen, vor der Universität Wien eine Aktion organisierte, bei der die Abschaffung des Männerwahlrechts gefordert wurde. In einem verteilten Folder mit dem Titel "Mein Mann bleibt daham", wird auf einfach verständliche Weise und mit Bildern erklärt, warum Männer besser nicht wählen sollten. Dazu zählt unter anderem die (maternalistische) Sorge um das Aussehen der Männer, da es diesen nicht gut bekäme, wenn sie sich mit den überfordernden Fragen der Politik auseinandersetzen würden. "Als Jüngling ein kesser Spatz", heißt es folglich auf dem Folder, "[d]urch Politik: ein schircher Ratz!" 87 Prozent der Männer würden "Wahlentscheidungen" fällen, "die für sie selbst gefährlich" seien, was wiederum zeigt, dass der Platz des Mannes in der Gesellschaft im Privaten liegt. Ein "Nein zum Männerwahlrecht" würde zudem auch ein "Ja zum Männerschutz" bedeuten. Appelliert wird dabei an "Frauen – Schwestern – Töchter! Bewahrt eure Männer vor der Politik", jedoch wurde die Aktion vor der Wiener Universität auch von Männern unterstützt, die am Rande Schilder hochhielten, auf denen zu lesen war: "Ich wähle nicht!".

Durch die beschriebene Aktion werden die über das Wahlrecht verhandelten sexistischen Stereotypen und Vorstellungen, wie jene, dass Frauen in Politik hässlich werden würden, aufgrund mangelnder Intelligenz nicht kompetent genug seien, sich besser um die Familie kümmern sollten oder nicht wüssten, ihnen guttäte, von der B! Hysteria zugespitzt ins Gegenteil verkehrt beziehungsweise auf Männer angewendet. Durch diese Zuspitzung wird einerseits Empörung hervorgerufen, durch die Umdeutung andererseits aber auch die Drastik der dieser zugrundeliegenden Denkmuster deutlich – Effekte, die durch skandalisierende Berichterstattung vermutlich nicht in gleicher Weise vermittelt werden könnten. Dadurch erzielt die B! Hysteria nicht nur Aufmerksamkeit für die Thematik, ihr gelingt auch eine radikale Kritik sexistischer und antifeministischer Denkformen, die auch 100 Jahre nach Einführung des Frauenwahlrechts bitter nötig ist. (Judith Goetz, 8.3.2019)

¹ Die Burschenschaft Hysteria wurde nach Eigenangaben 1810, also bereits vor der Urburschenschaft, von Kaiserin Leopoldine von Österreich gegründet, ist jedoch vor allem seit 2016 (wieder) aktiv. Wie andere Burschenschaften tragen ihre Mitglieder Wichs in den Couleurfarben schwarz-weiß-rot. Die Verbindung unterscheidet sich jedoch von anderen Burschenschaften dadurch, dass sie keine Männer aufnimmt und für weltweiten Feminismus und Matriarchat eintritt. Zu den bekanntesten Forderungen zählen "Männerschutz", "eine Frauen- und Transgenderquote von 80 % in öffentlichen Ämtern" sowie die "Einschränkung des Männerwahlrechts". 

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