Vor laufenden Kameras sprachen Kardinal Christoph Schönborn und Doris Wagner, der als Ordensfrau furchtbare Dinge widerfahren sind, über Stunden miteinander.

Bayerischer Rundfunk

Ein Fernsehstudio des Bayerischen Rundfunks. Gedimmtes Licht, kein Moderator. Die Kamera läuft – und fängt das Bild eines ungleichen Paares ein. Kardinal Christoph Schönborn und Doris Wagner sitzen einander gegenüber. Vier Stunden lang. Beide sehen einander zum ersten Mal, auf Vorabsprachen wird verzichtet.

Der Gründer der Pfarrer-Initiative sieht die Kirche als "absolutistische Monarchie, wo Schweigen von oben mit Macht ausgeübt wird". Die Strukturen gehörten geändert. Beitrag aus der ZiB2 am Donnerstag.
ORF

Es ist ein Zusammentreffen zweier Menschen, die mit der katholischen Kirche sehr eng verbunden sind oder, wie im Fall von Doris Wagner, zumindest einmal waren. Die heute 35-jährige Theologin und Philosophin war nach der Matura acht Jahre lang Mitglied der – direkt dem Papst unterstellten – katholischen Gemeinschaft Das Werk mit Sitz in Bregenz. Während der Zeit in der erzkonservativen Gemeinschaft erlitt Wagner verschiedene Formen psychischen und sexuellen Missbrauchs. Ihre Erfahrungen hat sie in dem vielbeachteten Buch Nicht mehr ich. Die wahre Geschichte einer jungen Ordensfrau festgehalten.

Hoffen auf "Heilungsprozess"

Schönborn zeigte sich in der Dokumentation ungewöhnlich offen. Er sei selbst Opfer eines Übergriffs gewesen. Konkret spricht der Wiener Erzbischof von einem Pfarrer, der in seiner Jugend versucht habe, ihn zu küssen. Auch habe er abfällige Sprüche gegenüber Nonnen vernommen.

Schönborn hält grundsätzlich fest, dass es Strukturen und Systeme gebe, die Missbrauch begünstigten: "Der Priester ist sakral, ist unberührbar, der ist Herr Pfarrer. Wenn dieses Priesterbild vorherrscht, ist natürlich Autoritarismus die ständige Gefahr." Er sei aber hoffnungsvoll, dass ein "Heilungsprozess" die Kirche wirklich erneuere.

"Hohe Priorität"

Erst am Dienstag hatte Papst Franziskus für Aufsehen gesorgt, als er erstmals den Missbrauch von Nonnen durch Kleriker eingeräumt hatte. "Das ist für uns leider eine bekannte Tatsache", sagt Schwester Beatrix Mayrhofer, Präsidentin der Vereinigung der Frauenorden, zum STANDARD. Sie sei dankbar dafür, dass der Papst dieses Thema nun so klar angesprochen hat. Dadurch erhalte es "höchste Priorität".

Mayrhofer selbst sei kein strafrechtlich relevanter Fall sexueller Gewalt gegen Ordensfrauen innerhalb der 106 weiblichen Ordensgemeinschaften bekannt. "Das heißt aber nicht, dass es nichts gibt", sagt sie aber auch. Vergangenes Jahr habe man einen Aufruf gestartet, in dem die Ordensoberinnen weltweit aufgefordert worden seien, sich um dieses Thema in ihren Gemeinschaften zu bemühen. Was es in Österreich gab und gibt, sei psychische Gewalt, sei Erniedrigung, Ausbeutung oder Abwertung, sagt die Präsidentin der Frauenorden: "Ich bin seit 1972 Ordensfrau, und seither ist das Klima natürlich besser geworden. Aber den geringschätzigen Umgang mit Ordensfrauen habe ich selbst auch erlebt."

Was sich ändern müsse? "Es tut sich ja etwas", sagt Mayrhofer, "unser Selbstbild hat sich stark gewandelt. Wir treten selbstbewusster auf, fordern etwa einen gerechten Lohn ein." Dazu komme, dass es viel weniger Ordensfrauen gebe: "Wir sind nicht mehr überall selbstverständlich da." Angesetzt gehöre auch in der Priesterausbildung: "Viele erleben Ordensfrauen nur als Köchinnen oder etwa in der Kindergartenarbeit, nicht aber in Leitungspositionen."

Wenig Freude

Spannend ist auf jeden Fall der Zeitpunkt der jüngsten Entwicklungen. Papst Franziskus hat von 21. bis 24. Februar die Spitzen der weltweiten katholischen Bischofskonferenzen in den Vatikan bestellt, um über Missbrauchsfälle zu beraten. Die Freude darüber hält sich aber vor allem unter den konservativen Bischöfen merklich in Grenzen. Mit den jüngsten Ansagen des Papstes und der österreichischen Kardinalsbeichte wird es für die Kritiker nun schwierig, Probleme einfach unter den Altar zu kehren. (Peter Mayr, Markus Rohrhofer, 7.2.2019)