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So sieht vielleicht das Klo der Zukunft aus. Präsentation eines Prototyps bei der "Reinvented Toilet Expo" in Peking im November 2018.

Foto: Reuters/peter

Jeder muss, aber nicht jeder kann. Mehr als zwei Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu einem sauberen Klo. In den Slums des globalen Südens lauert in unhygienischen Toiletten oftmals der Tod. Bei notorischem Wassermangel und ohne Kanalisation können die Resultate der menschlichen Notdurft nicht weggeschwemmt werden. Sie häufen sich an unrühmlichen Ecken zwischen den Häusern oder sickern ins Grundwasser ein. Doch das Problem stinkt nicht nur zum Himmel – es ist vor allem eine gesundheitliche Katastrophe. Tausende Menschen sterben täglich an Durchfallerkrankungen – besonders Kinder werden von der Diarrhö dahingerafft.

Die britische Buchautorin Rose George erklärt bei einem launigen TED-Talk die globale Tragweite des Toilettenproblems.
TED

Neuerfindung der Toilette

Wer also von der Zukunft der Weltgesundheit reden will, darf über das Klo nicht schweigen. Dieser Devise folgt offenbar auch Bill Gates, der seit Jahren mit seinem Projekt "Re-Inventing the Toilet" für Aufsehen sorgt. Der Microsoft-Milliardär will eine Toilette erfinden lassen, die ganz ohne Wasseranschluss funktioniert. Dafür stellt er wissenschaftlich innovativen Häuslbauern aus aller Welt viel Geld zur Verfügung.

Bill Gates stellt seinen Kot vor.
Foto: APA/AFP/Asfouri

Der Grundgedanke: Die Exkremente sollen nicht einfach weggeschafft, sondern wiederverwertet werden. Die menschlichen Ausscheidungen enthalten mit Stickstoff, Kalium und Phosphor nämlich genau jene Stoffe, die für das Pflanzenwachstum wichtig sind und deshalb auch in herkömmlichem Kunstdünger enthalten sind. Experimente des Schweizer Wasserforschungsinstituts haben gezeigt, dass Pflanzen mit Urindünger hervorragend gedeihen. Gerade in Gegenden, in denen der Bodenertrag ohnehin mager ist, könnten die Nährstoffe der menschlichen Fäkalien sinnvoll als Dünger auf den Äckern eingesetzt werden. Prototypen des Gates-Klos gibt es bereits. In ihnen wird der Kot verbrannt und der Urin gefiltert. Übrig bleiben Dünger und Frischwasser.

Produktive Sitzungen

Ein massentaugliches Gates-Klo würde viele Probleme auf einmal lösen. Es rettet durch seine Sauberkeit Menschenleben, schließt ökologische Kreisläufe und befruchtet die Äcker. Es spart Wasser, arbeitet hygienisch, produziert Dünger, und stellt Trinkwasser bereit. Produktive Sitzungen – ein unerfüllter Traum der Menschheit – würden endlich Realität. An der Realität sind allerdings schon manche Großprojekte mit Exkrementen gescheitert. Der Gedanke, dass man menschliche Fäkalien in industriellem Maßstab wiederverwertet, ist nämlich uralt. So wie alle Zukunftsideen, auch wenn marketingbewusste Visionäre das nie zugeben würden.

Karl Marx und die Exkremente

Über die Marx-Lektüre von Bill Gates weiß man nichts. Beim großen "Kapital"-Autor hätte der große Kapitalbesitzer jedoch eine ähnliche Faszination für den Weg der Exkremente nachlesen können. London, wo Marx als politischer Exilant lebte, war im 19. Jahrhundert von den hygienischen Folgen der rasanten Industrialisierung massiv betroffen. Die Verstädterung führte zu einer nie da gewesenen Ballung von Millionen Menschen auf engstem Raum.

Nicht nur Menschen häuften sich nun an einem Ort, sondern auch der Kot. Was aber sollte man nun mit den Exkrementenbergen anfangen? Auf dem Land hatte man sie von jeher als Dung auf die Felder gebracht, doch in der Großstadt gab es zwar Industrie, aber keine Äcker. Der massenhafte Kot befand sich in der Stadt, wo er nicht gebraucht wurde, und nicht auf dem Land, wo er dringend gebraucht wurde. In London leerte man ihn zu Marx' Zeiten einfach in die Themse. Cholera-Epidemien und fürchterlicher Gestank waren die Folge. Darüber rümpfte auch Marx die Nase: Im kapitalistischen London wisse man "mit dem Dünger von viereinhalb Millionen Menschen nichts Besseres anzufangen, als ihn mit ungeheuren Kosten zur Verpestung der Themse zu gebrauchen".

Kotwürfel und Urinfabriken

Überall in den Großstädten Europas suchte man nach kreativen Ideen, um das eklatante geografische Auseinanderklaffen von urbanem Kotüberschuss und ländlichem Düngermangel zu überbrücken. Innovativer Vorreiter war nicht das Silicon Valley, sondern Paris. Die Stadt ließ die menschlichen Exkremente einsammeln und in Fabriken zu Würfeln und Briketts pressen. Die Kotbriketts wurden dann an die Landwirte der Umgebung als Dünger verkauft und trugen zu einer Steigerung der Bodenfruchtbarkeit in der umliegenden Region bei. Die Pariser waren erleichtert, die Äcker bereichert. In der französischen Hauptstadt entwickelte sich eine richtiggehende Fäkalienlobby, die die menschliche Liquidität in finanzielle ummünzen wollte. 1844 regten Fäkalunternehmer sogar einen monumentalen Plan für einen Industriekomplex zur chemischen Weiterverarbeitung von Urin an, der den schönen Namen "Ammoniapolis" tragen sollte.

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Futuristische Toiletten brauchen keinen Wasseranschluss. Ob sie sich durchsetzen werden, ist wie so oft eine ökonomische Frage.
Foto: AP/schiefelbein

Aus den Augen, aus dem Sinn

Auch österreichische Städte versuchten sich an der Produktion von Dungwürfeln aus menschlichen Exkrementen, rückten aber davon ab. Die Argumente "bio" und "regional" sprachen zwar dafür, doch erwies sich die Kotverarbeitung letztendlich als zu teuer und geruchsintensiv. Der importierte Kunstdünger war ertragreicher und drängte den Menschenkot aus dem Markt. Das hygienische Klo-Problem wurde in den europäischen Metropolen dann ohnehin durch den Kanalisationsbau samt der Verbreitung des Wasserklosetts gelöst, sodass man keine Gedanken mehr darüber verschwenden musste.

In den Entwicklungsländern bleibt das Problem virulent. Die große Frage ist heute, ob sich die wasserlosen Hightech-Klos à la Gates in massenhaften Stückzahlen an die Verbraucher bringen lassen. Die potenziellen Abnehmer aus den ärmsten Weltregionen werden für Toiletten jedenfalls nicht viel zahlen können. Trotzdem wird das Klo-Projekt auf der Homepage der Gates-Stiftung als "golden opportunity" angepriesen. Vielleicht wird das große Geschäft also doch noch ein großes Geschäft. (Theo Anders, 13.2. 2019)

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