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Am Freitag sorgte ein neuerlicher Polizeieinsatz für Aufruhr – unbegründet.

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Bregenz/Wien – Nachdem am Mittwoch der Sozialamtsleiter der Bezirkshauptmannschaft Dornbirn mutmaßlich durch einen türkischen Asylwerber erstochen worden ist, beschäftigt derzeit Politik und Rechtsexperten die Frage, ob dies hätte verhindert werden können. Debattiert wird etwa, warum sich ein amtsbekannter krimineller Asylwerber mit Aufenthaltsverbot auf freiem Fuß befinden konnte.

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Das Innenministerium (BMI) verteidigte sich am Donnerstag gegen die Vorwürfe in dieser Causa: Der tatverdächtige Türke war trotz eines bis 2024 ausgesprochenen, aber laut BMI von der EU-Judikatur ausgehebelten Aufenthaltsverbots illegal in den Schengenraum eingereist und stellte einen Antrag auf Asyl, wodurch er zumindest vorübergehenden Abschiebeschutz erhielt. Auch im Fall eines negativen Asylbescheids hätte dem angeblichen Kurdenkämpfer laut BMI wohl eine Duldung zugestanden werden müssen.

Eine Schubhaft in einem laufenden Asylverfahren dürfe, so das Innenministerium, nur bei Sicherungsbedarf verhängt werden, das sei in der österreichischen Verfassung und der europäischen Menschenrechtskonvention verankert.

Rechtswissenschafter: Man hätte ihn nicht festhalten können

Georg Bürstmayr, Rechtsanwalt für Fremden- und Asylrecht, erläutert dem STANDARD: "Eine vorbeugende Haft ist in Österreich nicht vorgesehen", und das sei auch gut so. Denn: "Wenn man zwei Meter weiter denkt, kommen wir in absurde Gefilde, denn man kann nicht 10.000 sicherheitshalber wegsperren.". Das Grundproblem sei ein einfaches: Man könne nicht in die Zukunft schauen.

Auch Rechtswissenschafter Bernd-Christian Funk unterstrich Freitagmorgen im Ö1-Radio die Ansicht, wonach es rechtlich keine Möglichkeiten gegeben hätte, den Mann festzuhalten oder abzuschieben. Das Netz der Regelwerke sei dicht, die einzelnen Staaten hätten nur wenig Spielraum, so der Jurist.

Am Rechtsrahmen drehen

Wenn der Rechtsrahmen dicht ist, dauert es nach einem derart dramatischen Vorfall nicht lange, bis er infrage gestellt wird. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) postete noch am Donnerstag auf Facebook, er werde "alle rechtsstaatlich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten ausschöpfen", um die "Schieflage im Asylwesen wieder gerade zu richten" – selbst wenn er sich dafür mit EU-Regelungen anlegen müsse.

Kaum Handlungsspielraum für Kickl

Kickls Möglichkeiten, sich mit EU-Regelungen anzulegen, seien, so Jurist Bürstmayr, rechtlich gesehen jedoch nicht vorhanden. "Das Unionsrecht, das in diesem Zusammenhang in Östereich gilt, gilt auch unabhängig von der Meinung des Innenministers", sagt Bürstmayr. Kickl müsse sich immer innerhalb des geltenden Unions- und des österreichischen Grundrechtskatalog sowie der Verfassung bewegen, "und die setzt in vielen Punkten aus guten Gründen Grenzen". Die einzige Möglichkeit, die Kickl hätte, wäre, so Bürstmayr, ein Vertragsverletzungsverfahren mit der EU zu riskieren.

Auch Rechtsexperte Funk sieht Kicks Ankündigung problematisch: Es gebe hier "Vorgaben aus der Flüchtlingskonvention, an die die europäische Grundrechtecharta und damit indirekt auch wieder die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) anknüpfen", also ein "ganzes Paket von Regulativen". Dort etwas aufzubrechen sei heikel.

Wenn Deliktschwellen, die vor Sanktionen stehen, gesenkt werden würden, "dann begibt man sich genau damit in eine Diskussion, die dann letzten Endes möglicherweise auch in die Sackgasse führt, dass man konsequenterweise Menschen dann in Internierung nehmen müsste, wenn man sie ja dann trotzdem nicht abschieben kann", so Funk im Ö1-"Morgenjournal".

Wallner und Edtstadler sehen "Lücke"

Trotz Kritik aus Juristenkreisen bekommt Herbert Kickl Unterstützung aus der ÖVP: Nach einem Arbeitsgespräch am Freitag sprechen Innen-Staatssekretärin Karoline Edtstadler und Landeshauptmann Markus Wallner, beide ÖVP, von einer unbefriedigenden Rechtslage im Asylbereich, die man möglichst rasch auf europäischer Ebene weiterdiskutieren und ändern wolle.

Man müsse bei Straftätern dafür sorgen, dass der Schutzstatus wegfalle und dann rasch eine Abschiebung erfolge, so Edtstadler, außerdem prüfe man, wie bei Wiedereinreisenden Verfahren beschleunigt werden könnten. Man wolle hier alle Möglichkeiten ausschöpfen und im Rahmen des Verfassungsbogens nach Lösungen suchen.

Abseits der Diskussion um die vorbeugende Haft wird hinterfragt, wie ein Bewaffneter in ein Amtsgebäude kommen konnte.
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Wallner spricht von einer "mehr als unbefriedigenden Situation" und einer "Ausnützung des Asylrechts". "Es kann keine Toleranz für Gewalttäter geben", sagt er. Kriminelle müssten im Asylverfahren anders behandelt werden als wirklich Schutzsuchende.

Innenministerium rüstet Polizei auf

Das Innenministerium kündigte als weitere Maßnahme ein Projekt mit dem Titel "Bewältigung gefährlicher Einsätze" an: eine Reaktion auf den Vorfall in Dornbirn und den Anstieg von Gewaltdelikten mit Hieb- und Stichwaffen sowie Amok- und Terrorlagen mit Alltagsgegenständen, hieß es in einer Aussendung am Freitag. Möglich sei etwa eine neue Polizeieinheit.

Die Zahl der Angriffe mit Stichwaffen auf Polizisten ist in Österreich von zehn Taten im Jahr 2012 auf 19 im Jahr 2015 gestiegen. 2017 wurden bereits 29 derartige Angriffe verübt. Das Innenministerium habe darauf bereits mit Verbesserungen der Ausrüstung reagiert. "So wurden die Streifenbesatzungen insbesondere mit stich- und beschusshemmenden Schutzwesten sowie mit ballistischen Helmen ausgestattet. Außerdem wird im polizeilichen Einsatztraining auf diese neuen und gefährlichen Herausforderungen entsprechend eingegangen", wird Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) in der Aussendung zitiert.

Weiterer Polizeieinsatz in Dornbirn

Abseits der politmedialen Diskussion kam es in der BH Dornbirn am Freitag zu einem neuerlichen Polizeieinsatz: Laut Exekutivangaben hatte der Bruder des Tatverdächtigen in der Früh das Gebäude betreten. Mitarbeiterinnen erkannten den Mann und alarmierten die Einsatzkräfte. Nach einer Befragung wurde klar: "Er wollte ein Schriftstück auf der BH abholen", so Polizeisprecher Rainer Fitz. Der Mann habe sich ruhig verhalten und sei unbewaffnet gewesen. (elas, APA, 8.2.2019)