Die postfossile Sanierung unseres Planeten braucht aber eine gesellschaftliche Mehrheit, die Lust auf Zukunft macht.

Cartoon: Felix Grütsch

Heißzeit". Das Wort des vergangenen Jahres erinnert uns daran, dass es jenseits von Populismus, Fremdenangst und Datenklau noch etwas gibt, das uns alle verbindet: Wir leben zusammen auf einem blauen Planeten. Der ist, wie uns der neue Orbit-Star Alexander Gerst im vergangenen Jahr wieder einmal klarmachte, eine wahre Schönheit. Eine Schönheit, um die wir uns kümmern können. Aber warum bleibt die Klimabewegung immer wieder in einem Sumpf von Besserwisserei, Pessimismus und Zynismus stecken, nach dem Motto: Bringt ja sowieso nichts? Das Klimaabkommen von Kattowitz im Dezember 2018, wie alle Abkommen vorab schon als "unmöglich" deklariert, kam am Ende doch zustande. Auch weil 2018 das wärmste Jahr seit Aufzeichnung des Wetters war.

Wandel ist längst im Gang

Statt in kollektive Angst- und Katastrophenstarre zu verfallen, haben wir allen Grund zum Ökooptimismus. Der notwendige Wandel ist längst im Gange. Die große Mehrheit der Bürger will deutlich mehr Klimaschutz. Die meisten Großunternehmen befürworten heute klare, auch strenge Richtlinien. Statt als Kampf um knappere Ressourcen, als große Verzichtsübung bei Strafe des Untergangs müssen wir die Energiefrage als Projekt eines spektakulären technischen Fortschrittes angehen, der die Kräfte der Natur freisetzt. In drei Bereichen gibt es längst klimaschonende Alternativen mit erheblichen positiven Nebenwirkungen: Energie, Verkehr und Ernährung.

· Energie: Vernetzung statt Verzicht

Energie ist nicht knapp. Im Gegenteil. Die Natur – Wind, Sonne, Biomasse und vieles mehr – gibt uns Energie in Hülle und Fülle. Es geht vielmehr darum, diese Energien richtig zu verteilen, zu speichern, zu vernetzen. Ist "Vernetzung" nicht dass große Magiewort des digitalen Zeitalters?

Das Wort Energie entfaltet seine positive Kraft eben nicht in Verbindung mit dem Beiwort Verzicht. Auch die Weltrettung führt uns nicht viel weiter. Wer zum ersten Mal in ein Elektroauto steigt, ist verwundert, wie viel Spaß das macht.

Wer ein paar Tage eines der ausgereiften Elektromodelle gefahren hat, wird aus vielerlei Gründen nie mehr auf einen fossilen Verbrenner umsteigen. Der ist zu langsam, zu laut, zu ungelenk. Es ist auch aus ästhetischen Gründen günstig, eine primitive Technologie zu überwinden.

· Verkehr: Vom magischen Wandel der Städte

Vor allem die Städte des europäischen Nordens haben vorgemacht, wie man die Energiewende mit einer steigenden urbanen Lebensqualität koppelt. Die Bürger sind stolz auf den Wandel, wenn sie sich von Anfang an beteiligen können. Kopenhagen und Amsterdam haben den Autoverkehr in den letzten Jahren weitgehend reduziert – im Einvernehmen und zur weitgehenden Freude der Bewohner. Radfahrer sind Umfragen zufolge die glücklichsten Verkehrsteilnehmer. Die erste Fahrrad-Bürgermeisterin weltweit gibt es seit 2017 in Amsterdam. Anna Luten berät heute auch Städte in den USA.

Mehr Räder als Autos

Der Umstieg auf Radschnellwege und ein besseres ÖPNV-Netz zeigen Wirkung. Erstmals wurden in der Rushhour zwischen acht und neun Uhr mehr Räder als Autos in der City of London gezählt. In Wien kostet die ÖPNV-Jahreskarte 365 Euro, einen Euro am Tag. Die österreichische Initiative "Zero Emission Cities" ist weltweit Vorbild für nachhaltige Mobilität und einen intelligenten Nahverkehr.

· Ernährung: Warum wir keine Heuschrecken essen müssen ...

Obwohl die Bevölkerungszahl der Erde 7,5 Milliarden überschritten hat, können wir heute die gesamte Erdbevölkerung ernähren. Nur in Krisen- und Kriegsregionen kommt es noch zu Knappheiten. In den Wohlstandsnationen stellen wir inzwischen viel zu viele Kalorien her, von denen eine viel zu große Menge einfach verdirbt. Es gibt also keinen Sachzwang zur immer weiteren Intensivierung der Landwirtschaft und den damit verbundenen Klimaschäden.

Der "Peak Meat", der Gipfel des Pro-Kopf-Fleischkonsums, ist bald weltweit erreicht. Immer mehr essen weniger und gezielter Fleisch. Sie sind "Flexitarier" – der größte Ernährungstrend der Zukunft. Große Handelsketten betreiben "Vertical Farming" und gehen unter die Gärtner. Fleischkonzerne investieren massiv in Fleischalternativen. Soja, Insekten und Erbsen sind das neue Fleisch – und in den USA bereiten Innovateure wie "Beyond Meat" die nächste Welle der Fleischsubstitution vor. Wäre das nicht ein gesellschaftlicher Deal, eine sinnvolle Zielvereinbarung: 40 Prozent weniger Fleisch, dafür besseres?

Das nächste grüne Wunder findet in Afrika statt: Mithilfe von Satellitendaten können Bauern ihre Felder besser bewässern und Düngemittel effizienter einsetzen. Neue Züchtungstechnologien wie CRISPR/Cas machen Pflanzen gegen Dürre und extreme Temperaturen resistenter und befördern eine resiliente Landwirtschaft.

Carbon-Peak im Jahr 2050

Wir wagen eine Prognose: Der "Carbon-Peak", der Gipfel des globalen CO2-Ausstoßes, wird schon in den nächsten zehn Jahren erreicht. 2050 wird das Wort "Klimakatastrophe" aus dem öffentlichen Wortschatz verschwunden sein. Es wird wärmer sein auf dem Planeten, aber deshalb nicht unbedingt dauerhaft katastrophisch. Ökologie handelt dann nicht mehr von Schuld, Sünde, Strafe und Enthaltsamkeit.

Eine Ökologie der Schuld funktioniert nur für eine moralische Minderheit. Die postfossile Sanierung unseres Planeten braucht aber eine gesellschaftliche Mehrheit, die Lust auf Zukunft macht. Und die Dinge zusammenfügt, die tatsächlich zusammengehören. Ökologie und Ökonomie. Technik und Natur. Fortschritt und Schönheit. Das geht. Wetten? (Daniel Dettling, Matthias Horx, 8.2.2019)