Renndirektor Waldner hat bei Klassikern mehr Druck.

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STANDARD: Auch das Rennen hier in Åre trug zur Diskussionen darüber bei, ob die Abfahrten wieder schwieriger und ruppiger werden sollen. Eine gute Idee?

Waldner: Extreme Sachen sind nie gut, weder extrem ruppig noch Autobahnen. Es gibt verschiedene Interessen und Meinungen, manche Läufer sind noch frisch und gesund, die ältere Generation ist schon verbraucht. Interessanter sind Abfahrten natürlich, wenn mehr Bewegung, mehr technische Elemente drinnen sind, wenn es Passagen gibt, die man mit Köpfchen fahren muss. Nicht alles mit Vollgas. Das vertreten auch Vincent Kriechmayr und Dominik Paris, sie sind die neue Generation. Unruhige Passagen machen den Abfahrtssport interessanter, weil sich die Klasse des Athleten zeigt. Das Fahren auf Autobahnen sieht bei allen gleich aus. Das macht unseren Sport kaputt.

STANDARD: Ist es in Anbetracht der vielen Verletzten nicht kontraproduktiv, auf schwierigere Abfahrten zu setzen?

Waldner: Wir haben mit der Industrie diskutiert, woran es liegen kann, dass solche Verletzungen wie bei Max Franz in Kitzbühel auftreten. Wenn man plötzlich einen Fersensprung hat, dann sieht man ganz genau, dass viele Kräfte von unten auf den Körper wirken. Man redet immer vom Ski, aber es ist nicht der Ski allein, ich sage immer, dass es das Gesamtpaket ist, das mittlerweile so aggressiv abgestimmt ist und keinen Spielraum mehr für Absorption lässt. Der Schuh ist in den letzten Jahren extrem starr geworden. Dort müsste man ansetzen.

STANDARD: Was könnte man tun?

Waldner: Es ist sehr schwierig, da etwas zu regulieren, weil sich der Kunststoff mit der Temperatur extrem verändert. Wir haben 16 Verletzte unter den Top 50, aber komplett verschiedene Szenarien, Sturzdynamiken und Verletzungen. Das geht von Kopf, Schulter, Rücken, Hand und Knie bis zum Sprunggelenk. Man kann nicht sagen, das ist das Problem. Es verteilt sich extrem. Die Frage ist auch, wie man das Tuning der Skier kontrollieren sollte. Wir müssen die Dynamik der Verletzungen und Stürze studieren. Aber das ist extrem komplex.

STANDARD: Wäre es ein denkbarer Weg, wenn man die Geschwindigkeit mittels dickerer, protektorenverstärkter Anzüge nähme?

Waldner: Es ist egal, ob du mit 100 oder 120 km/h stürzt. Dickere Anzüge wären wärmer, aber nicht sicherer. Mit dem Airbag haben wir ein System, das man sehr wohl einsetzen soll. Momentan ist es nicht Pflicht, jeder kann selbst wählen, aber er ist vor allem im oberen Körperbereich ein sehr guter Schutz, eine Option. Viele sind aber noch dagegen, nehmen ihn nicht, solange er nicht Pflicht ist.

STANDARD: Bode Miller hat in einem Interview kritisiert, dass die Athletensprecher keine Stimme hätten. Ist der Vorwurf berechtigt?

Waldner: Der Weltverband besteht aus den großen und ein paar kleinen Skiverbänden, und die entscheiden alles. Die Fis ist ein demokratisches System. Im Exekutivkomitee sitzen die Sportdirektoren, wie Hans Pum, sie haben jeweils eine Stimme. Der Athlet hat auch eine Stimme, er sitzt im Exekutiv-Board. Wenn es Hannes Reichelt jetzt als Athletensprecher sein lässt, weil er die Schnauze voll hat, weil er denkt, dass eh nichts weitergeht, dann hat er nicht ganz verstanden, welchen Weg er einschlagen muss.

STANDARD: Nämlich?

Waldner: Wenn er die Feedbacks der 20 Abfahrer hat und eine neue Startreihenfolge fordert, dann kann er nicht annehmen, dass sich das von heute auf morgen ändert. Das ist eine Prozedur. Er muss wissen, dass das komplett gegen die Marketingstrategien geht, die sein eigener Präsident, Peter Schröcksnadel, vorgeschlagen hat. Da fehlt die interne Kommunikation. Er als Österreicher muss zu Hans Pum gehen und ihn überzeugen, damit der das im Exekutivkomitee vertritt, sodass es eine Chance gibt, es umzusetzen. Das ist Politik. Aber das wurde ihm nicht gesagt. Er hat beim Kongress fünfmal einen Antrag eingebracht, was die Athleten wollen, und dann hat er von allen Seiten eine auf den Deckel bekommen.

STANDARD: Nach Ansicht von Fis-Präsident Gian-Franco Kasper würden die Athletensprecher ohnehin nur für sich selbst sprechen.

Waldner: Das sehe ich nicht so, wir reden ja sehr viel mit allen. Letztes Jahr bin ich mit Hannes Trinkl, dem Weltcuprenndirektor der Fis, und den Top-20-Läufern zusammengesessen. Sie sind mit Vorschlägen gekommen, wollten nur mit uns beiden reden und uns ihre Anliegen weiterleiten. Das war ein sehr offenes Gespräch. Jeder hat seine Meinung gesagt. Natürlich, wenn du mit den Besten redest, dann vertreten sie ihre Interessen in dem Sinn, dass sie einen Vorteil haben, wenn es um die Startregel geht. Wir sagen: "Macht einen guten Vorschlag, dann können wir ihn diskutieren." Wenn die Besten Startnummern von 1 bis 30 wählen können, dann kann passieren, dass alle eine niedrige Nummer wählen und das Rennen nach zehn Läufern entschieden ist. Dann ist das ein Problem.

STANDARD: Ist eine WM für Rennleitung und Athleten mit den Klassikern zu vergleichen?

Waldner: Das ist etwas komplett anderes. Wir haben extreme Highlights, und an diesem Punkt möchte ich ein Riesenkompliment an unsere Klassiker-Ausrichter aussprechen. Chapeau, was sie auf die Beine stellen! Dort haben wir zehnmal mehr Druck, weil es dort richtig abgeht. Eine WM ist ein Highlight, bei dem es um Medaillen geht. Sie ist schwierig zu koordinieren, weil wir Herren- und Damenrennen haben. Hier spricht man viel vom Wetter, das eine Challenge ist. Aber vom Druck her sind wir ganz anderes gewöhnt. Der Druck wird vom Drumherum generiert. Athleten wie ein Dominik Paris oder ein Vincent Kriechmayr fahren hier locker runter. Alle sind jetzt cool drauf, weil sie so viele Events mit extrem viel Druck hinter sich haben. Wenn du die Klassiker überlebst, dann fährst du hier spazieren. Für die Athleten ist es das Ziel, Klassiker zu gewinnen, weil die verändern wirklich dein Leben. (Thomas Hirner, 10.2.2019)