Dietmar Kühbauer will bald wieder dort sein, wo Rapid hingehört.

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Rapid hat richtungsweisende Tage vor sich. Am Donnerstag kommt anlässlich der Europa League Inter Mailand ins ausverkaufte Allianz-Stadion (18.55 Uhr), am 21. Februar folgt der Gegenbesuch, das San Siro wird nicht voll sein. Dazwischen steigt in Wien das Viertelfinale im Cup gegen Hartberg (17. Februar), eine Woche später wird die Meisterschaft wiederaufgenommen, das übermächtige Red Bull Salzburg stellt sich ein (24. Februar). Die Lage in der Liga ist besorgniserregend bis deprimierend, vier Runden vor Ende des Grunddurchgangs fehlen dem Tabellenachten sechs Zähler auf Platz sechs, der für die Teilnahme am oberen Playoff notwendig ist. Trainer Dietmar Kühbauer bleibt mangels Alternativen Optimist.

STANDARD: Sie hatten jetzt die erste Vorbereitung mit Rapid. Welche Schwerpunkte haben Sie gesetzt? Ist Besserung in Sicht?

Kühbauer: Wir hatten in allen Belangen Nachholbedarf. Das größte Problem war die Arbeit gegen den Ball. Spielerisch sind wir eine gute Mannschaft, aber wir haben mit zu viel Risiko nach vorn agiert, hatten keine Absicherung, boten den Gegnern Räume an, die sie schamlos genutzt haben. Sie versetzten uns Stiche in den Rücken. Wir versuchten, in der Vorbereitung die Balance zu finden. Wir werden weiterhin Fußball spielen, aber nicht mehr so blauäugig. Man braucht nicht 70 Prozent Ballbesitz.

STANDARD: Es war auffallend, dass Rapid sehr fragil ist. Nach Erfolgen, in der Europa League gab es ja durchaus welche, setzte es sofort wieder Tiefschläge. Sind die psychischen Probleme schwerwiegender als die fußballerischen?

Kühbauer: Nein. Nur mit Resultaten kann man Ruhe reinbringen. International ist es gut gelaufen, national sind wir eingebrochen. Wir haben den Donnerstag-Sonntag-Rhythmus nicht so verkraftet, wie es hätte sein sollen. Essen tust du daheim in der Meisterschaft, da sind wir verhungert.

STANDARD: Die Mannschaft wirkte – nett ausgedrückt – nicht homogen. Wurde am Teambuilding gefeilt? Ist man im Trainingslager gemeinsam Wände hochgeklettert?

Kühbauer: Ich glaube nicht, dass man über glühende Kohlen gehen muss, um harmonischer zu werden. Wir haben einen Sportpsychologen, aber man soll das Kollektiv nicht zwangsrekrutieren. Es ist okay, wenn Spieler psychologische Hilfe in Anspruch nehmen, das ist ihre Entscheidung. Alles, was nützt, ergibt Sinn.

STANDARD: Haben Sie einigen Spielern die Rute ins Fenster gestellt? Peitsche statt Zuckerbrot?

Kühbauer: Die Rute ins Fenster stellen ist ein Begriff, den ich nicht mag. Ich rede mit Spielern Klartext, sage, es ist mir zu wenig, da muss sich etwas ändern. Ja, ich habe mit vielen Klartext gesprochen. Unter vier Augen. Ich nenne keine Namen, man muss es ja nicht medial ausschlachten, auf solche Schlagzeilen verzichte ich.

STANDARD: Hat Rapid zu wenig Führungsspieler?

Kühbauer: Möglich. Hierarchien bilden sich grundsätzlich von allein. Es geht um Leistung, um Akzeptanz. Das hat nichts mit dem Alter zu tun. Ich bin kein Trainer, der sagt, du bist mein Chef. Das kristallisiert sich raus. Ich sehe, wer Wortführer ist. Aber Wortspenden allein reichen nicht. Früher waren die Hierarchien extremst, fast zu viel. Jetzt sind sie zu flach. Ein Chef ist entscheidend, man braucht Macher. Da herrscht Nachholbedarf. Früher wurde auf dem Platz und in der Kabine härter gesprochen, wir waren trotzdem Freunde.

STANDARD: Haben Sie die Lage unterschätzt, Fehler gemacht?

Kühbauer: Ich hätte mir sportlich mehr gewünscht, keine Frage. Der Karren war nicht in der Spur und blieb in der Liga daneben. Sie haben Rucksäcke mitgeschleppt. Das hat mich irritiert, die Blauäugigkeit haben wir schon angesprochen. Wir haben Spiele hergeschenkt, wurden durch Kleinigkeiten groß verunsichert. Wir müssen wehrhafter werden. Ich habe gedacht, das gelingt früher, eine Fehleinschätzung. Wir konnten durch die Doppelbelastung nie richtig trainieren, haben nur regeneriert. Das ist keine Ausrede. Eine Feststellung.

STANDARD: Ohne Europacup hätte man nicht sechs Punkte minus auf Platz sechs?

Kühbauer: Das wäre unter Garantie so gewesen. Aber ich will uns alle nicht von Schuld freisprechen.

STANDARD: Wühlen wir weiter in Wunden. Wie tief saß das 1:6 gegen die Austria im letzten Match vor der Winterpause? War Weihnachten versaut?

Kühbauer: Wir waren bis zur 30. Minute gut, machen den Ausgleich, dann nehmen wir wieder ein Mörderrisiko, werden mit einem Konter bestraft, Ausschluss, wir kassieren das 1:2, sind ein Mann weniger, und der Austria ist alles aufgegangen. Das Spiel war ja ironisch, makaber, so was habe ich noch nie erlebt. Es war letztendlich eine sportliche Hinrichtung, das passte ins Bild. Der Schlusspunkt eines schlechten Herbstes, die letzte Watsche. Wir sind für alles bestraft worden und viel mehr.

STANDARD: Sie müssen Optimist sein. Der realistische Blick auf die Tabelle verheißt aber mit großer Wahrscheinlichkeit das untere Playoff. Was bedeutet das für den Verein? Augen zu und durch?

Kühbauer: Wir werden alles daransetzen, es zu verhindern. Wir brauchen in den letzten vier Spielen zwölf Punkte und sind auf Schützenhilfe angewiesen. Sollte es nicht sein, müssen wir das annehmen. Es ist unsere verdammte Pflicht, da unten unser wahres Gesicht zu zeige. Damit wir in der nächsten Saison wieder dort sind, wo wir hingehören.

STANDARD: In elf Tagen stehen vier Partien an. Zweimal Inter Mailand in der Europa League, Cup gegen Hartberg, Meisterschaft gegen Red Bull Salzburg. So blöd es klingen mag – ist Hartberg nicht die wichtigste Partie, weil die Chance auf einen Titel besteht?

Kühbauer: Es wäre fatal, würden wir sagen, wir konzentrieren uns in erster Linie auf Hartberg. Wir wollen überall ernten.

STANDARD: Sprechen wir über Inter. Die Mailänder sind nicht frei von Problemen, Trainer Spalletti hat sich nach dem 0:1 gegen Bologna bei den Fans entschuldigt. Zuletzt siegten sie allerdings in Parma 1:0.

Kühbauer: Die Probleme von Inter hätte ich gern, sie sind Dritter in der Meisterschaft. Juventus ist nicht zu biegen, die sind das Red Bull Salzburg von Italien, in einer anderen Liga. Inter hat individuelle Klasse, sie sind klarer Favorit. Passt bei uns alles perfekt, ist eine Überraschung möglich.

STANDARD: Ist für Sie der Druck als Vereinsikone noch größer?

Kühbauer: Das hat Vor- und Nachteile. Ich bin mit Leib und Seele Trainer, war mit Leib und Seele Spieler. Von Rapid werden eben Siege erwartet. Das ist keine neue Erkenntnis, das wusste ich.

STANDARD: Erst im letzten Moment wurde ein neuer Stürmer verpflichtet. Aliou Badji konnte die Vorbereitung nicht mitmachen. Ist der Senegalese eher eine langfristige Investition?

Kühbauer: Ja. Wir haben ihn für dreieinhalb Jahre verpflichtet. Aber jeder braucht eine Eingewöhnungszeit, die muss man ihm geben, es dürfen halt nicht eineinhalb Jahre sein – das ist eine scherzhafte Übertreibung. Wir müssen uns im Frühjahr anders präsentieren, unser wahres Gesicht zeigen. Jeder muss an oder über die Grenzen gehen, beweisen, dass er für die Mannschaft unersetzlich ist. Alles andere wäre schlimm. Die Laufleistung kann man immer abrufen, auch an schlechten Tagen.

STANDARD: Ist Rapid gezwungen, attraktiv zu spielen? Man kann ja auch mit wenig Ballbesitz gewinnen, sofern man es kann.

Kühbauer: Selbstverständlich führen immer mehrere Wege zum Sieg.

STANDARD: Gibt es Momente, in denen Sie sich nach der Ruhe in St. Pölten zurücksehnen?

Kühbauer: In St. Pölten war es am Anfang auch nicht schön, die Mannschaft war schwer verunsichert, wir schafften relativ rasch den Turnaround. In St. Pölten ist es halt nicht in der Öffentlichkeit passiert, man konnte in Ruhe arbeiten. Bei Rapid dachte man, wir fahren jetzt mit dem neuen Trainer Kühbauer durch die Decke. Ich hätte es mir auch gewünscht.

STANDARD: Es wird bei Rapid unruhig bleiben, Präsident Michael Krammer hört im November auf, ein Nachfolger muss gefunden werden.

Kühbauer: Das darf uns nicht beeinflussen. Wir im Betreuerstab versuchen, dass wir Rapid wieder zu dem machen, wofür es gestanden ist. Für Kampf bis zur letzten Minute. Das müssen wir den Fans vermitteln. In jedem Spiel.

STANDARD: Gibt es den Fußballgott?

Kühbauer: Nein. Ich glaube, was ich sehe, stehe im realen Leben. Es kann Glück, Pech und Zufall geben, aber wir sind für alles verantwortlich. Ergebnisse lügen nicht. (Christian Hackl, 12.1.2019)