Die Dualisierung des Arbeitsmarktes in Insider und Outsider ist ein weitverbreitetes Phänomen in Europa. Während Insider in Vollzeit und unbefristet beschäftigt sind, hat die wachsende Anzahl an Outsidern entweder gar keinen Arbeitsplatz oder ist in befristeten, atypischen Beschäftigungsverhältnissen angestellt. Obwohl die damit einhergehende Erosion des "Normalarbeitsverhältnisses" einen europaweiten Trend darstellt, haben die Länder darauf unterschiedlich reagiert, wie die vergleichende Wohlfahrtsstaatsforschung zeigt.

Manche Länder verschärften nämlich diese Dualisierung am Arbeitsmarkt, indem sie die Reichweite des Kollektivvertrags-, Kündigungs- und Arbeitslosenschutzes auf Insider beschränkten, während für Outsider befristete Beschäftigungsverhältnisse dereguliert und der Zugang zur Arbeitslosenversicherung sowie zu Schulungsmaßnahmen erschwert wurde. Andere Länder hingegen haben diese Dualisierung gemildert, indem sie die arbeits- und sozialrechtlichen Bestimmungen von Insidern auf Outsider erweiterten und zudem in aktive Arbeitsmarktpolitik investierten. Diese Unterschiede beeinflussen nicht nur maßgeblich die Situation von Erwerbslosen und atypisch Beschäftigten, sondern tragen auch wesentlich zur Entwicklung der Einkommensverteilung bei, wie etwa die OECD in ihrem letzten Sozialbericht hervorhebt.

Aber warum reagierten europäische Wohlfahrtsstaaten so unterschiedlich auf das Ende der Vollbeschäftigung und die Herausbildung atypischer Beschäftigungsverhältnisse seit dem Ende der 1970er-Jahre? Mit anderen Worten: Unter welchen Bedingungen haben politische Akteure die Dualisierung des Arbeitsmarktes verschärft beziehungsweise gemildert? Mein Buch Strong Governments, Precarious Workers widmet sich dieser Fragestellung anhand einer vergleichenden Untersuchung arbeitsmarktpolitischer Reformpfade in Österreich, Dänemark und Schweden, angereicht mit Evidenzen aus Italien und Spanien. Im Folgenden fasse ich das Kernargument des Buches zusammen und diskutiere politische Schlussfolgerungen vor dem Hintergrund wachsender Arbeitsmarktungleichheit.

Regierungen hören mehr auf Arbeitgeberverbände als auf Gewerkschaften

Das Zusammenspiel zwischen der Reformfähigkeit von Regierungen und den politischen Prioritäten von Gewerkschaften hat die Entwicklung der Arbeitsmarktpolitik entscheidend beeinflusst. Inklusiv organisierte Gewerkschaftsbewegungen – gekennzeichnet durch hohe Organisationsgrade (wie in Dänemark und Schweden) oder hohe Zentralisationsgrade (wie in Österreich) – haben ein akutes Interesse an der arbeits- und sozialrechtlichen Absicherung von Outsidern, weil sie die Ränder des Arbeitsmarktes in ihren Repräsentationsanspruch integrieren. Allerdings haben die europäischen Gewerkschaftsbewegungen gegenüber den Arbeitgeberverbänden deutlich an Einfluss verloren. In meinen 46 Interviews mit politischen Entscheidungsträgern wurde deutlich, dass diese Machtverschiebung nicht nur gewerkschaftlichen Mitgliederverlusten, sondern vor allem der politischen Deutung geschuldet war, dass ein flexibler Niedriglohnsektor notwendig zur Bekämpfung von Arbeitslosigkeit sei.

Mit anderen Worten: Dualisierende Reformen im Arbeits- und Sozialrecht waren nicht primär wahlstrategisch motiviert, um Stimmen unter unbefristeten Vollzeitbeschäftigten zu gewinnen, welche womöglich in erster Linie ihre eigene Arbeitsplatzsicherheit verteidigen wollen. In sozialdemokratisch geprägten Ländern wie Dänemark und Schweden waren nämlich Reformen zulasten von Outsidern auch unter Insidern unpopulär. Vielmehr stand ein beschäftigungspolitisches Kalkül hinter dualisierenden Reformen, um Arbeitslosigkeit zu bekämpfen, ohne erhöhte Budgetdefizite zu riskieren (= Austeritätsdruck) oder nominale Wechselkurse zu beeinflussen (= Monetarismus). Interessanterweise wurde dieses Motiv insbesondere von sozialdemokratisch geführten Regierungen ins Treffen geführt, wenngleich jene eine eher moderate Dualisierung im Vergleich zu Mitte-rechts-Regierungen verfolgten (vor allem in Schweden). Auf politischer Ebene gewannen dementsprechend die Forderungen der Arbeitgeberverbände ein stärkeres Gewicht.

Arbeitsmarktsituation und Regierung gehen Hand in Hand.
Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Schwache Regierungen können Gewerkschaften nicht ausschließen

Der Machtverlust der Gewerkschaften bedeutet, dass ihre Forderungen nach Maßnahmen gegen Prekarität vor allem dann erfolgreich umgesetzt werden, wenn Regierungen schwach sind, das heißt eine niedrige autonome Fähigkeit zur Formulierung und Umsetzung von Reformen aufweisen (hier genannt: "Reformfähigkeit"). Dementsprechend spielten (paradoxerweise) schwache Regierungen eine solidarische Rolle in der Arbeitsmarktpolitik, weil sie auf die konsensmobilisierende Wirkung von Verhandlungen mit Gewerkschaften angewiesen waren. So konnten ideologisch gespaltene Koalitionen (zum Beispiel große Koalitionen in Österreich, technokratisch geführte Mehrparteienregierungen in Italien) – die dazu neigten, sich gegenseitig zu blockieren – arbeitsmarktpolitische Reformen an tripartistische Verhandlungen mit den Sozialpartnern delegieren. Minderheitsregierungen ohne ausreichenden parlamentarischen Rückhalt bedurften ebenso der Zustimmung von Gewerkschaften, um die Opposition von ihren Reformvorhaben zu überzeugen und dadurch eine Mehrheit im Parlament zu erzielen (zum Beispiel Mitte-rechts-Minderheitsregierungen in Dänemark). Dies erklärt, warum schwache Regierungen den Gewerkschaften bessere Bedingungen bieten, um gegen die Dualisierung des Arbeitsmarktes vorzugehen.

Wenn allerdings eine Regierung über eine geeinte parlamentarische Mehrheit verfügt, ist sie stark genug, um Gewerkschaften vom politischen Entscheidungsprozess auszuschließen. Anders als ideologisch gespaltene Regierungen oder Minderheitsregierungen in polarisierten Parteiensystemen sind nämlich starke Regierungen in der Lage, eigenständig eine gemeinsame Politik zu formulieren und im Parlament zu verabschieden. Dass starke Regierungen dies nutzen, um gegen den Willen der Gewerkschaften den Arbeitsmarkt zu liberalisieren, kann aktuell nicht nur in Österreich (zum Beispiel Arbeitszeitgesetz zum Zwölfstundentag), sondern quer über die Eurozone beobachtet werden – wenngleich mit unterschiedlichen verteilungspolitischen Konsequenzen (zum Beispiel Troika-Reformen in den "Krisenländern" 2010–2015, Italiens Jobs Act 2014/2015, Finnlands Competitiveness Pact 2016, Frankreichs Macron-Paket 2017).

Mein Kernargument kann somit in einem Satz zusammengefasst werden: Je schwächer die Regierung, desto stärker ist die Fähigkeit der Gewerkschaften, arbeitsmarktpolitische Reformen zugunsten einer wachsenden Anzahl an Outsidern zu beeinflussen. Aus vergleichender Perspektive erscheinen also nicht mehr sozialdemokratisch geführte Mitte-links-Regierungen als Garanten für gewerkschaftliche Einflussmöglichkeiten, da sie sich in vielen Ländern von den Arbeitnehmervertretern schrittweise distanzierten (wie etwa Rot-Grün unter Gerhard Schröder in Deutschland). Schwache Regierungen hingegen haben diese Option gar nicht, weil sie auf sozialpartnerschaftliche Verhandlungsergebnisse – und damit auf Gewerkschaftseinfluss – angewiesen sind.

Politische Schlussfolgerungen

Die Gewerkschaften Österreichs, Dänemarks und Schwedens haben sich durchgängig für die arbeits- und sozialrechtliche Absicherung von Erwerbslosen und atypisch Beschäftigten eingesetzt. Dieses Ergebnis deutet erstens auf die Relevanz gewerkschaftlicher Repräsentation hin. Die Bekämpfung wachsender Ungleichheit kann somit nur mit den Gewerkschaften und nicht ohne sie funktionieren, vor allem wenn sie inklusiv organisiert sind. Anders als Parteien genießen nämlich Gewerkschaften den Vorteil, dass sie über ihre organisatorische Verankerung am Arbeitsmarkt spezifischere Informationen über die Problem- und Bedarfslagen von Outsidern besitzen.

Zweitens können sich Gewerkschaften nicht (mehr) auf sozialpartnerschaftliche Institutionen und Konsenskulturen verlassen. Vielmehr hängt deren Einfluss vom strategischen Umgang mit der autonomen Reformfähigkeit von Regierungen ab. Wenn Gewerkschaften auf eine schwache Regierung treffen, müssen sie willens und fähig sein, in einen konsensorientierten Dialog einzutreten. Intern gespaltene Regierungen sind schwerlich in der Lage, eigenständig Reformen zu entwickeln, und profitieren folglich von der Dialogfähigkeit reformfreundlicher Gewerkschaften. Minderheitsregierungen ohne parlamentarischen Rückhalt sind ebenso auf ein Verhandlungsergebnis mit den Gewerkschaften angewiesen, um eine Unterstützung der Opposition – und somit eine Mehrheit im Parlament – zu erreichen. Die Bildung einer starken Regierung hingegen verlangt von den Gewerkschaften eine konfrontative Strategie. Eine geeinte parlamentarische Mehrheit erlaubt Regierungen, finanziell und zeitlich fordernde Verhandlungen mit den Gewerkschaften auszuschließen und stattdessen unilateral Reformen zu verabschieden. In dieser Situation bleibt Gewerkschaften somit nichts anderes übrig, als ihre Mitglieder und die öffentliche Meinung gegen die Regierung zu mobilisieren, um wieder stärkeres Gehör in Reformverhandlungen zu erlangen.

Drittens eröffnen diese Ergebnisse neue Einblicke in die Ursachen sozialer Ungleichheit am Arbeitsmarkt. Die Dualisierung des Arbeits- und Sozialrechts wird oft als notwendiges Mittel zur Schaffung von Arbeitsplätzen legitimiert. Inwieweit diese Erwartung letztlich zutrifft, hängt jedoch wesentlich von den länderspezifischen Wachstumsmodellen ab, wie die vergleichende politische Ökonomie argumentiert. Klar ist jedenfalls, dass die Herausbildung prekärer Arbeitsverhältnisse sozial- und demokratiepolitische Risiken birgt: Evaluationsforschungen zeigen, dass Prekarität am Arbeitsmarkt zu ungleichen Lebenschancen und steigender Armut, einem erhöhten Gesundheits- und Suizidrisiko sowie einer niedrigeren Wahlbeteiligung und politischer Resignation beiträgt. Die Erforschung der Ursachen sozialer Ungleichheit am Arbeitsmarkt ist somit von enormer Bedeutung für Demokratie und Gesellschaft. (Philip Rathgeb, 14.2.2019)