Driftendes Eis auf der Labradorsee, aufgenommen von der Internationalen Raumstation ISS aus. Als vor rund 10.000 Jahren große Mengen an Schmelzwasser in dieses Meer gelangte, kam es zu einer Beschleunigung der Eisschmelze.

Foto: Nasa

Kiel – Die sogenannte nordatlantische Zirkulation ist ein nordöstlicher Ausläufer des Golfstroms und hat unter anderem wesentlichen Einfluss auf das milde Klima in Europa. Als wichtiger stabilisierender Faktor für diese Ozeanzirkulation gelten die Vorgänge in der Labradorsee zwischen Grönland und der Nordküste von Kanada. Dort sinkt kaltes, salzhaltiges Wasser von der Ozeanoberfläche in die Tiefe. Gerät dieses fragile System allerdings aus dem Gleichgewicht, so wie es gerade durch das Abschmelzen großer arktischer Eismassen geschieht, das viel Süßwasser in die Labradorsee verfrachtet, können auch die Temperaturen in Nordeuropa über eine längere Periode stark abkühlen.

Temperaturrückgang durch Warmwasser

Internationalen Wissenschaftern haben nun einen wichtigen Baustein in der Abschwächung der nordatlantischen Zirkulation nach dem Beginn der heutigen Warmzeit vor rund 10.000 Jahren entschlüsselt. In einer gemeinsamen Studie mit Kollegen aus Kanada und Mainz konnten Forscher von der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel nachweisen, dass der endgültige Zusammenbruch des gewaltigen Eispanzers in Nordkanada, der Laurentidische Eisschild, der sich während der jüngsten Eiszeit gebildet hatte, durch ein Vordringen warmer Wassermassen aus der Labradorsee in die Hudson Bucht beschleunigt wurde. So gelangten große Mengen an Schmelzwasser in die Labradorsee, was zu der – aus vorherigen Studien schon bekannten – Verlangsamung der nordatlantischen Zirkulation und damit zu einem starken Rückgang der mittleren Temperaturen in Nordeuropa über zwei bis drei Jahrhunderte führte.

Bereits vor rund 8.200 Jahren gab es eine signifikante Abschwächung des Nordatlantikstroms und damit eine Abkühlung der nördlichen Hemisphäre um 1 bis 3 Grad Celsius. Dieses Kälteereignis wurde bisher in vielen wissenschaftlichen Untersuchungen mit dem Ausbruch des Agassizsees in Verbindung gebracht, einem in vergangenen Zeiten riesigen Gletscherstausee in Nordkanada. Dass der endgültige Zusammenbruch des kanadischen Eisschildes und der Agassiz-Ausbruch durch das Eindringen von warmen Wassermassen aus der Labradorsee ausgelöst wurde, konnten das Wissenschafterteam um Annalena Lochte anhand von Isotopenanalysen an einem besonders gut datierten und hochauflösendem Sedimentkern nachweisen.

Rückschlüsse auf heutige Vorgänge

"Zum ersten Mal konnten wir aufzeigen, dass die Ozeanerwärmung zu Beginn der letzten Warmzeit einen weitaus höheren Einfluss auf das finale Abschmelzen des Laurentidischen Eisschildes über dem heutigen Kanada und damit auf die Temperaturen in Nordeuropa hatte, als wir bisher vermutet haben," sagt Ralph Schneider, Koautor der im Fachjournal "Nature Communications" erschienenen Studie. "Die Ergebnisse lassen darauf schließen, dass auch die heute beobachtete starke Erwärmung im arktischen Ozean über die grönländischen Fjorde das Abschmelzen des letzten großen Eisschildes in der Nordhemisphäre beschleunigen wird." (red, 12.2.2019)