Das Gehirn mit Medikamenten dopen: Rund neun Prozent der Österreicher haben bereits Neuro-Enhancer ausprobiert. Sie riskieren damit Abhängigkeit und psychische Störungen.

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Beim ersten Weckerklingeln aus dem Bett hüpfen, Zeitung lesen, die Kinder für die Schule fertigmachen, ab ins Büro und hochkonzentriert eine Aufgabe nach der anderen abhaken: Es gibt sie, diese produktiven Tage, aber sie sind selten. Normalerweise braucht es dann doch mehrere Tassen Kaffee, um durchzuhalten, ab und zu auch einen Energiedrink. Andere greifen auch zur Koffeintablette.

Und wieder andere nehmen Pillen, die eigentlich für Kranke gedacht sind: etwa den Wachmacher Methylphenidat, besser bekannt unter dem Handelsnamen Ritalin, der zur Behandlung von ADHS eingesetzt wird. Oder das Amphetamin Modafinil, ein Arzneistoff gegen die Schlafkrankheit Narkolepsie. Diese Pillen sollen das Gehirn auf Trab bringen.

Übernatürliche Fähigkeiten

Die eigene Leistung durch diverse Mittelchen über das normale Maß hinaus zu steigern wird "Neuro-Enhancement" genannt. Dieser Selbstoptimierungsdrang kann sogar in Richtung Transhumanismus gehen: Um ihre Fähigkeiten zu steigern, verschmelzen Menschen ihre Körper nämlich auch schon mit Technik. Ein prominenter Cyborg ist Neil Harbisson, ein farbenblinder Künstler, der durch eine Antenne auf dem Kopf Farben hören kann. Ein Sensor registriert die Wellenlängen des Lichts und übersetzt sie in Vibrationen, die der Brite dann in Form von Tönen wahrnimmt. Derzeit entwickelt er mit Mitstreitern ein Instrument, mit dem die Uhrzeit fühlbar werden soll.

Auch im Silicon Valley wird fleißig an Computern, die dem Menschen neue Fähigkeiten verleihen sollen, geforscht. Ohne maschinelle Hilfe könnten wir in Zukunft nicht mit künstlicher Intelligenz mithalten, ist Tesla-Chef Elon Musk überzeugt. Mit seinem Unternehmen Neuralink arbeitet er an speziellen Implantaten, die das Denken verbessern sollen.

Während diese Vision eher wie ein Science-Fiction-Film anmutet, ist anderes bereits Realität. So kann man zum Beispiel Geräte zur transkranieller Gleichstrom-Stimulation (tDCS) relativ kostengünstig im Internet bestellen. Sie sehen ein wenig aus wie Kopfhörer und sollen die Hirnleistung durch schwachen Strom steigern.

Unter Erfolgsdruck

Wesentlich weiter verbreitet sind jedoch Pillen, und dies ebenfalls im angloamerikanischen Raum. In den USA outete sich im Global Drug Survey, einer anonymen webbasierten Befragung, jeder Dritte als Hirndoper.

Aber auch in Europa sind offenbar zunehmend mehr Menschen dazu bereit. Die Studie zeigt einen Anstieg in allen untersuchten Ländern, auch in Österreich: 2015 gaben rund zwei Prozent der Befragten an, Modafinil, Ritalin oder anderes eingenommen zu haben, 2017 waren es bereits 8,7 Prozent. In einer EU-Studie aus 2018 sagen zehn Prozent der österreichischen Befragten, dass sie sich vorstellen können, bei beruflichem Stress auf Pillen zurückzugreifen.

Besonders beliebt ist das Hirndoping offenbar unter Studierenden. In einer Umfrage der Uni Graz, die ebenso im Vorjahr veröffentlicht wurde, sagten rund zwölf Prozent der 2000 Befragten, dass sie in den vergangenen zwölf Monaten zu solchen Methoden gegriffen hatten. Wurden Koffeintabletten in die Definition von Neuro-Enhancement inkludiert, waren es knapp 15 Prozent.

Lieber Schlafen oder meditieren

Neuro-Enhancement ist in Österreich also kein Massenphänomen – aber es existiert. Dahinter steckt offenbar der Wunsch mitzuhalten. 71 Prozent der in der EU-Studie Befragten meinten, dass einige Menschen deshalb dopen, um mit dem steigenden Druck im Leben zurechtzukommen. Gleichzeitig sehen 69 Prozent den Trend kritisch und sagen, dass Erfolge auf eigener Anstrengung und nicht auf Pillen und Geräten basieren sollten.

"Sie heißen die Nutzung nicht gut, nehmen sie aber als bereits existierende Realität hin", folgert Kostudienautorin Nicole Kronberger, Sozialpsychologin an der Johannes-Kepler-Universität Linz. Sie stellte die Studienergebnisse kürzlich am Institut für Technikfolgenabschätzung der Akademie der Wissenschaften vor. Laut Kronberger brauche es verstärkte Aufklärung, "wie die Pillen wirken und welche Risiken zu beachten sind". Psychiater warnen nämlich, dass Ritalin und Co abhängig machen und zu einem Burnout führen können.

Kronberger hat auch einen beruhigenden Befund parat: In einer Umfrage unter knapp 1000 österreichischen Berufstätigen hat sie erfahren, dass derzeit 92 Prozent Strategien wie ausreichend Schlaf oder Meditation dem Pillenschlucken vorziehen. (Lisa Breit, 14.2.2019)