Wien – Nach der tödlichen Messerattacke auf den Sozialamtsleiter in Dornbirn durch einen türkischen Asylwerber reißt die politische Debatte nicht ab. Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) schlägt nun eine "Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber" vor, Experten sind sich uneinig, ob es überhaupt eine Verschärfung der Gesetze braucht. Ein Überblick über die wichtigsten Fragen:

Frage: Warum wurde der Messerangreifer nicht bereits nach seinem Asylantrag inhaftiert? Schließlich war er wegen Gewaltdelikten vorbestraft, und es wurde 2009 ein Aufenthaltsverbot gegen ihn verhängt.

Antwort: Die Staatssekretärin im Innenministerium, Karoline Edtstadler, argumentiert im STANDARD-Gespräch folgendermaßen: In Schubhaft hätte man den 34-Jährigen nur bei einer bevorstehenden Abschiebung nehmen können. Im Fremdenpolizeigesetz heißt es dazu, Schubhaft ist im Rahmen einer "aufenthaltsbeendenden Maßnahme" möglich, sofern der Fremde "die öffentliche Ordnung oder Sicherheit" gefährde oder Fluchtgefahr vorliegt.

Staatssekretärin Karoline Edtstadler bleibt dabei: Nach aktueller Rechtslage hätte man den türkischen Asylwerber nicht in Schubhaft nehmen können.
apa

So weit sei man aber im Verfahren noch nicht gewesen, meint das Innenressort. Zudem wäre der Asylantrag aller Voraussicht nach negativ ausgegangen. Da er allerdings angab, Kurde zu sein und gegen türkische Soldaten gekämpft zu haben, wäre er wahrscheinlich in Österreich geduldet worden.

Frage: Was sagen andere Juristen zu dieser Rechtsansicht?

Antwort: Wie häufig bei komplexen Themen gibt es unterschiedliche Lesarten. Der Europarechtler Walter Obwexer erklärte zuletzt in der "Presse", der mutmaßliche Täter hätte laut einschlägigen EU-Richtlinien sehr wohl bereits vorher inhaftiert werden können. Sofern es kein gelinderes Mittel gebe, könne man Asylantragsteller festnehmen, wenn diese mit einem Einreiseverbot belegt wurden oder sie eine Gefahr für die öffentliche Ordnung seien. Auf STANDARD-Nachfrage betonte Obwexer aber am Freitag, seine Einschätzung beziehe sich nur auf die Europarechtsebene, nicht auf das nationale Straf- und Fremdenrecht.

Hier setzt aber Edstadler an. Österreich schöpfe bisher die Möglichkeiten der EU-Aufnahmerichtlinie nicht voll aus, sagt sie. Auch der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk ist bei der Frage der Schubhaft im Dornbirner Anlassfall aufseiten des Innenministeriums. Eine Inhaftierung hätte man erst verhängen dürfen, wenn zuerst in einem neuen Verfahren geprüft wurde, ob das Aufenthaltsverbot noch besteht (grundsätzlich sind diese auf fünf Jahre befristet) und ob eine Abschiebung überhaupt möglich gewesen wäre.

Frage: Was will Innenminister Kickl nun ändern?

Antwort: Einen ausformulierten Gesetzesentwurf gibt es noch nicht. Er will aber das "Bundesverfassungsgesetz über den Schutz der persönlichen Freiheit" adaptieren. Dort ist geregelt, wann in Österreich Haft verhängt werden kann. Kickl denkt an eine "fremdenrechtliche Haft" wegen Gefährdung der nationalen Sicherheit oder der öffentlichen Ordnung.

Herbert Kickl möchte, dass seine Beamten künftig bei potenziellen Gefährdern sogenannte "Gefährdungsprognosen" erstellen.
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Nach welchen Kriterien diese Haft verhängt werden soll, ist offen. Laut Kickl sollen die Beamten zu Beginn des Asylantrages eine "Gefährdungsprognose" erstellen, bei der eigene Angaben, aber auch Recherchen der Behörden in Datenbanken oder im Internet herangezogen werden sollen. Die ÖVP unterstützt das Vorhaben, wie Edtstadler versichert.

Frage: Was sagt die Opposition, die Türkis-Blau für eine Verfassungsmehrheit braucht?

Antwort: Die ist noch nicht überzeugt. Sowohl die Neos als auch die SPÖ – eine von beiden Parteien müsste zustimmen – sind der Rechtsansicht, dass im Dornbirner Fall auch nach aktueller Rechtslage Schubhaft verhängt werden hätte können. Neos-Verfassungssprecher Niki Scherak will daher von Kickl zuerst eine genaue Erklärung, warum er die Notwendigkeit einer Änderung sieht. Schließlich sei Freiheitsentzug ein äußerst sensibles Thema. Was bisher von Kickls Vorschlag bekannt ist, sei zu "kryptisch", um ernsthaft beurteilt werden zu können. Sollte es einen konkreten Entwurf geben, müsse der einer ausführlichen Begutachtung unterzogen werden, fordert Scherak.

Der Vizeklubchef der SPÖ, Jörg Leichtfried, sieht das ähnlich und spricht von einem "Ablenkungsmanöver". Kickl schöpfe bestehende Möglichkeiten nicht aus "und soll endlich seine Arbeit machen", lautet Leichtfrieds Empfehlung.

Frage: Was ist bei Inhaftierungen zu beachten, um nicht Probleme mit der Menschenrechtskonvention (EMRK) zu bekommen?

Antwort: Verschärfungen wären grundsätzlich schon möglich, weil die österreichischen Gesetze derzeit etwas günstiger seien als die EMRK, sagt Gerhard Muzak vom Institut für Staats- und Verwaltungsrecht der Uni Wien. Artikel 5 der EMRK ermöglicht Ausnahmen vom "Recht auf Freiheit und Sicherheit".

Demnach darf ein Mensch in Haft genommen werden, "um ihn daran zu hindern, unberechtigt in das Staatsgebiet einzudringen". Diese Formulierung geht weiter als das österreichische Bundesverfassungsgesetz, das auf die "Sicherung einer beabsichtigten Ausweisung oder Auslieferung" abstellt, erklärt Muzak.

Funk ergänzt: Die Zulässigkeit einer vorbeugenden Haft hänge vor allem von den genauen Kriterien ab. Es brauche eine ausreichende Bestimmtheit des Begriffes "Gefährder", damit dieser vor den Höchstgerichten halte. Erforderlich sein werde auch eine richterliche Kontrolle. Und ein Problem bleibt laut Funk jedenfalls bestehen: Was passiert nach der Sicherungshaft mit Menschen, die eine schlechte Gefährdungsprognose haben? Auf Dauer könne man schließlich keine Präventivhaft verhängen. "Diese Frage bleibt ungelöst." (Günther Oswald, 15.2.2019)