Vom Wissenschafter zum AUA-Chef: Alexis von Hoensbroech

Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Sie sind ja Astrophysiker. Stimmt es, dass wir alle aus Sternenstaub sind?

Von Hoensbroech: Das ist korrekt.

STANDARD: Ich finde diese Vorstellung sehr schön, Sie als Exwissenschafter sehen das pragmatischer?

Von Hoensbroech: Diese Vorstellung ist faszinierend. Der Blick in Sterne und Vergangenheit zeigt einem auch die großen Relationen. Es lässt einen manchmal erschaudern, wenn man sieht, wie klein die Erde ist, wie klein die Menschen sind und wie groß das Universum ist.

STANDARD: Das sollte man öfter bedenken.

Von Hoensbroech: Könnte helfen. Aber andererseits ist es auch eindrucksvoll, dass in einer so lebensfeindlichen Umgebung wie dem Universum so etwas Großartiges und Schönes wie die Erde entstehen kann. Auch nicht selbstverständlich.

STANDARD: Machen Sie sich Sorgen um das Überleben der Erde, Stichwort Klima?

Von Hoensbroech: Das Risiko ist da, dass die Menschheit ihren Planeten unbewohnbar macht. Es könnte aber auch sein, dass sich die Natur als robuster erweist als Wissenschafter sie modellieren. Das Risiko, dass wir unserem Planeten etwas antun, ist jedenfalls groß genug, dass es den Schweiß der Edlen wert ist, alles zur Erhaltung des Planeten zu unternehmen.

STANDARD: Sie sind seit August AUA-Chef, waren ab 2005 bei der Lufthansa. Fliegen belastet die Umwelt. Ihre Familie, die Schloss Türnich bei Köln bewirtschaftet, setzt auf Nachhaltigkeit und Bio, Ihr Vater betreibt ökologischen Obstbau. Sie selbst haben als Student einen Verein zur Förderung der ökologischen Verantwortung mitgegründet. Wie passt das zusammen?

Von Hoensbroech: Das ist in der Tat eine Ambivalenz, mit der ich umgehen muss. Natürlich belasten Flugzeuge die Umwelt, aber auf der anderen Seite ruft gerade das Reisen per Flugzeug viel Gutes hervor. Wir hatten noch nie eine so friedliche Zeit wie heute – das hat auch damit zu tun, dass Menschen sich durch Reisen verbinden. Und der Wohlstand wird dadurch, dass Waren mit Flugzeugen geflogen werden, intensiver verteilt auf der Welt. Insofern macht das Fliegen und das Reisen die Welt etwas besser und kleiner. Der Preis dafür ist, dass wir CO2 ausstoßen und deswegen ist es das Ziel der Luftfahrtindustrie, diesen Ausstoß bis 2050 zu halbieren. Und wegen unseres Vereins: Den gab es zwar nicht lang, aber man sieht auch heute, wie wichtig solche Initiativen von Schülern und Studenten sind.

Der AUA-Chef in der Kuppel der Universitätssternwarte Wien, die bei ihrer Eröffnung 1883 über das größte Linsenfernrohr der Welt verfügte.
Foto: Regine Hendrich

STANDARD: Noch kurz zu den Sternen. Sie haben schon als Kind den Sternenhimmel studiert, was faszinierte Sie da so?

Von Hoensbroech: Ich wollte wissen, was da draußen passiert, wie die Zusammenhänge funktionieren. Ich wollte fast im Faust’schen Sinne wissen, was die Welt im Innersten zusammenhält.

STANDARD: Sicher wollten Sie auch Astronaut werden.

Von Hoensbroech: Wie fast alle Buben. Ich habe mich aber sogar einmal als Astronaut beworben, 2007 bei der Europäischen Space Agency, ESA. Ich kam immerhin bis zur Astronautenprüfung. Ich fiel durch, auch weil ich es halbherzig und ohne echte Vorbereitung angegangen war. Denn ich wusste, dass das Astronautendasein mit meiner Lebensplanung nicht zusammenpassen würde.

STANDARD: Und so blieben Sie beim Segelfliegen? Den Flugschein haben ja in Zell am See gemacht.

Von Hoensbroech: Ja, der mit Abstand schönste Ort, um den Flugschein zu machen. Diese Berge!

STANDARD: Wir sind in der Universitätssternwarte in Währing, Sie haben früher auch geforscht. Etwa im Observatorium Arecibo in Puerto Rico. Da wurde ja Goldeneye mit Pierce Brosnan als James Bond gedreht. Er ließ sich auf dem Teleskop dort aber doublen...

Von Hoensbroech: Da gibt es eine Hängebrücke, die vom Rand des Teleskops in die Mitte zum Empfänger führt, in 150 Meter Höhe. Ich bin drüber gegangen, Brosnan brauchte einen Stuntman.

STANDARD: Haben Sie so etwas wie einen Lieblingsstern?

Von Hoensbroech: Es gibt so viele faszinierende Sterne. Der Beteigeuze im Sternbild Orion etwa: Das ist ein Stern in seinem Endstadium, er hat sich ganz groß aufgebläht, glänzt rot und das wird jetzt noch einige hundert tausend oder ein paar Millionen Jahre anhalten. Dann wird er in sich zusammenfallen und in einer Supernova explodieren. Wenn das passiert, werden wir von der Erde aus ein sehr spannendes Himmelsschauspiel sehen. Wir beide aber wohl nicht mehr.

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Ein Stern am Ende seines Daseins: der Beteigeuze wird in ferner Zukunft in sich zusammenfallen.
Foto: Corbis via Getty Images

STANDARD: Sie wechselten in die Wirtschaft, weil es Ihnen in der Wissenschaft zu einsam war. Sie müssen die AUA investitionsfähig machen, den Gewinn deutlich erhöhen. Der Beschluss, die AUA-Crew-Standorte in den Bundesländern zu schließen, trug Ihnen viel Kritik ein.

Von Hoensbroech: Deren Heftigkeit hat mich überrascht. Die AUA hat sich zuletzt gut entwickelt, schreibt keine Verluste mehr. Wir erneuern und vereinheitlichen unsere Flotte, trennen uns von unseren Propellerflugzeugen, schaffen zusätzliche Mittelstrecken-Airbusse an. Das wird unsere Konkurrenzfähigkeit mit den Low-Cost-Carriern in Wien deutlich stärken und Kosten senken. Dafür investieren wir heuer 200 Millionen Euro, allein damit wächst die AUA am Standort Wien um über zehn Prozent.

STANDARD: Wird das reichen, den vielen Billigfluglinien Paroli zu bieten?

Von Hoensbroech: Das muss man einmal abwarten. Bisher hatte noch nie jemand neben der AUA in Wien viel Freude. Der Wettbewerb, der unter diesen Billigfluglinien entsteht, wird sehr, sehr intensiv werden. Die AUA hat am Standort Wien eine so starke Marktposition, dass wir dem mit großem Selbstbewusstsein entgegenblicken können.

STANDARD: Was noch planen Sie für Ihr "Jahr des Umbruchs"?

Von Hoensbroech: Wir haben uns zehn Punkte vorgenommen. Wir analysieren unter anderem unsere Prozesse, da können wir noch viel straffen, digitalisieren ...

STANDARD: Wird das Jobs kosten?

Von Hoensbroech: Das werden wir sehen. Wir wollen Kosten sparen und uns schlanker aufstellen. Das muss und wird aber nicht nur Arbeitsplätze betreffen, sondern auch Sachkosten.

STANDARD: Der deutschen Mutter Lufthansa wird das reichen?

Von Hoensbroech: Das Schicksal der AUA entscheidet sich hier in Österreich. Wenn wir hier erfolgreich sind, wird Eigentümer Lufthansa uns unterstützen, noch erfolgreicher zu sein. Die AUA schreibt zwar Gewinn, aber nur einen kleinen. Darum müssen wir uns weiter hinauf arbeiten, selbst wenn das Schmerzen bedeutet.

STANDARD: Und wenn Sie die Vorgabe in fünf Jahren nicht erfüllen?

Von Hoensbroech: Dann werden wir uns neue Gedanken machen müssen. Wenn ich sehe, wie toll die Marke ist und wie engagiert die Mitarbeiter sind, kann ich mir gar nichts anderes als Erfolg vorstellen. Gerade im Verbund mit der Lufthansa-Gruppe, von deren Stärken die AUA sehr profitiert.

Propellerflugzeuge werden aussortiert, die Flotte der AUA soll vereinheitlicht und erneuert werden.
Foto: Tirolerbergwelten/CC

STANDARD: Sie verstehen sich sogar mit dem Betriebsrat; jedenfalls besser als Ihre Vorgänger.

Von Hoensbroech: Die AUA war früher aber auch in einer viel existenzielleren Krise als heute. Jeder hat seine Rolle, und je schwieriger die Situation, desto radikaler müssen Maßnahmen unter Umständen sein und desto größer ist dann auch der Konflikt zwischen Management und Betriebsrat. Aber ich bin ja auch noch nicht so lang da, warten wir einmal ab. Wobei ich zuversichtlich bin, dass es klappen wird.

STANDARD: Sie sind mit allen Mitarbeitern per Du, also auch mit dem Betriebsrat?

Von Hoensbroech: Ja, wer will, sagt Du zu mir. Ich habe einen eher komplizierten Nachnamen (Alexis Graf von und zu Hoensbroech; Anm.), den niemand spontan richtig aussprechen kann. Und mit dem "von" fremdelt man in Österreich sowieso. Also ist das Du einfacher.

STANDARD: Die Frage, die Sie nicht mögen: In Wien machen Sie Ihr Meisterstück, um dann in den Lufthansa-Vorstand aufzusteigen. Bitte nicht antworten: "Ich bin mit meiner Familie nach Wien gekommen und plane, da zu bleiben". Das sagen Sie immer.

Von Hoensbroech: Diese Frage mag ich in der Tat nicht, und es stimmt, dass ich mit meiner Familie nach Wien gezogen bin, weil wir hier gerne bleiben möchten für die nächsten Jahre. Die Aufgabe ist total spannend und ich mache mir nur Gedanken, wie wir die AUA nach vorn bringen.

STANDARD: Was fasziniert Sie eigentlich so am Luftfahrtgeschäft?

Von Hoensbroech: Es ist die Kombination: die technologische Hochleistung, Millionen von Menschen zu höchsten Sicherheitsstandards kreuz und quer über die Welt zu transportieren. Das komplexe Zusammenspiel von Flugstrecken, Flugzeiten, Passagierströmen, Preiszahlungsbereitschaften, Wettbewerb ist wirtschaftlich extrem spannend. Wenn man analytisch angelegt ist, macht es einfach Spaß, in so einem Markt zu arbeiten. Das Geschäft mit dem Fliegen produziert eine enorme Leidenschaft, bei Mitarbeitern wie Kunden. Und Leidenschaft motiviert.

STANDARD: Sie haben an einem Buch Ihrer zwei Brüder mit geschrieben, da geht es ums Führen. Sie sagen, es sei die Aufgabe von Managern, Veränderungsbedarf zu erkennen und darauf zu reagieren. Was ist der größte Veränderungsbedarf in der Luftfahrtindustrie?

Von Hoensbroech: Die Luftfahrtindustrie ist noch in einer Phase des Erwachsenwerdens. Sie kommt aus einer Zeit, in der es viele nationale Fluggesellschaften mit hohem Staatseinfluss gab, der Markt extrem fragmentiert war. Jetzt scheiden kleine Spieler aus oder werden gekauft, der Markt konzentriert sich auf weniger, größere und effizienter arbeitende Unternehmen. In dem Prozess sind wir mittendrin, das wird zur Gesundung der Branche führen. Die Luftfahrtindustrie hat ja bisher noch nie ihre Kapitalkosten verdient. Sie braucht höhere Margen, damit sie in modernes, umweltfreundliches Gerät investieren kann – und die jetzige Konsolidierung trägt sicher dazu bei.

STANDARD: Ihr Bruder, der Dirigent, lässt in Workshops Manager ans Pult. Was für ein Dirigent wären Sie? Ein Karajan, ein Jansons?

Von Hoensbroech: Sie stellen Fragen. Ich hoffe, ich wäre ein guter Dirigent. Aber ich habs noch nie probiert. Die Analogie zwischen der Aufgabe einer Führungskraft und der eines Dirigenten ist jedenfalls gut. Denn der Dirigent ist der einzige Musiker in einem Orchester, der keinen Ton von sich gibt und lauter Experten um sich herum hat, die ihre Disziplinen besser können als er selbst. Seine Aufgabe ist, aus all diesen Experten ein großes Ganzes zu machen.

STANDARD: Die spielen aber auch ohne Dirigenten gut. Als Sir Neville Merriner 2016 vor einem Konzert gestorben war, hat sein Orchester zu seinen Ehren trotzdem gespielt. Ich habs gehört: sehr toll.

Von Hoensbroech: Früher haben Orchester ganz ohne Dirigenten gespielt, da gab der Erste Geiger den Takt vor. Als die Orchester groß wurden, brauchte es jemanden, der den Überblick hat und aus den Einzeldisziplinen das große Ganze formt. Orchester können wunderbar ohne Dirigenten spielen, aber es wird sehr schnell sehr mechanistisch. Auch ein Unternehmen funktioniert eine Weile weiter, wenn da oben kein Vorstand sitzt. Alle machen ihren Job ...

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Der britische Dirigent Sir Neville Marriner starb am 2. Oktober 2016 mit 92 Jahren. Zwei Tage später spielte seine Academy of St. Martin in the Fields in Wien – ohne ihren Dirigenten.
Foto: Getty Images/Ito

STANDARD: Die Frage ist, wann ein solches System kippt.

Von Hoensbroech: Exakt. Wann aus Musikmachen Nur-Notenspielen wird. In der Wirtschaft würde es kippen, wenn die nötigen strategischen Schritte nicht gegangen würden, weil sich jeder nur um sein Thema kümmert.

STANDARD: Spielen Sie noch Cello?

Von Hoensbroech: Ich habe wieder angefangen und nehme jetzt Stunden. Ich fand, in der Kulturhauptstadt Wien muss ich auch selbst wieder musikalisch tätig sein.

STANDARD: Sie sagen, Sie seien stolz auf das Wertegerüst, das Ihnen Ihre Familie mitgegeben hat. Welche Werte sind das?

Von Hoensbroech: Ich komme aus einer Familie mit stark christlich-orientiertem Wertegerüst. Einer Familie, die auch versucht hat, in schwierigen Situationen Haltung zu bewahren und die für wirtschaftliche, kulturelle, politische Dinge Interesse hat. Das sind sehr wichtige Werte für mich. Wir wurden sehr darin gefördert, uns eine eigene Meinung zu bilden und dafür einzustehen – ohne uns dabei von Obrigkeiten allzu sehr beeinflussen zu lassen.

STANDARD: In Ihrer Jugend sind Sie durch Europa getrampt, per Autostopp…

Von Hoensbroech: Ja, meine Brüder und ich hatten großes Interesse am Reisen, sind getrampt, weil das war damals das Billigste. Auch später bin ich sehr viel gereist –ich habe viel gesehen von der Welt aus einer weniger privilegierten Sicht, als wir sie hier in Europa kennen. Das hilft im Leben, das hat mein Welt- und Menschenbild geformt.

STANDARD: Macht Ihnen der Blick auf die heutige Welt Sorgen?

Von Hoensbroech: Ja. Es macht Sorgen zu sehen, wie der Protektionismus und der damit verbundene Nationalismus um sich greifen. Die EU ist nicht nur wirtschaftlich eine sehr wichtige Errungenschaft, sondern auch ein riesiges Friedensprojekt. Deshalb verstehe ich auch nicht, warum die Briten aus dem aussteigen können. Das Gleiche gilt für die transatlantische Zusammenarbeit, die sich zurückentwickelt. Die größte Sorgen bereitet mir aber, wie sehr sich die Gewichte auf der Welt durchs extrem erstarkende China verschieben, das wird noch viel zu wenig beachtet. Aber auf der anderen Seite wurde die Welt in den vergangenen hundert Jahren viel besser, es gab nie so wenig Armut. Das macht Hoffnung.

STANDARD: Sie haben den Begriff "Haltung" erwähnt, die scheint in Ihrer Familie wichtig zu sein. Ihnen auch?

Von Hoensbroech: Ja. Haltung ist mir sehr wichtig.

STANDARD: Was wäre das Gegenteil?

Von Hoensbroech: Opportunismus.

STANDARD: Passt zur letzten Frage: Worum geht's im Leben?

Von Hoensbroech: Darum, dass man sein Bestes gibt und die Dinge etwas besser an die nächste Generation übergibt, als man sie selbst in Empfang genommen hat. Das gilt im Kleinen wie im Großen.