Häuptling Marcelino Apurina im Dorf Novo Paraiso. Die Rechte der Indigenen sind akut bedroht.

Foto: AFP / Carl de Souza

"Die Gewalt hat in den vergangenen Wochen massiv zugenommen." Gilson Rego vom Landpastoral in der Amazonas-Stadt Santarém ist beunruhigt. Gerade hat er von neuen Morddrohungen gegen Kleinbauern erfahren. Die meisten wohnen in Dörfern entlang der Bundesstraße, die Santarém mit Cuiabá verbindet und als einzige asphaltierte Straße durch den Bundesstaat Pará führt. Holzfäller dringen in die Orte ein, roden wertvolle Bäume und brennen das Land ab. "Wer dagegen aufbegehrt, wird bedroht oder sogar getötet", sagt Rego.

Die Kleinbauern sind der Holzmafia ausgeliefert. Von der Regierung haben sie keinen Schutz zu erwarten. Der Umweltbehörde Ibama wurden gerade wieder die Mittel gekürzt, Brasiliens neuer Präsident Jair Bolsonaro hält sie für "ideologisch und kapriziös" und würde sie gern abschaffen.

Rechte der Ureinwohner

Holzfäller, Rinderzüchter und Sojabauern fühlen sich nach dem Sieg ihres Kandidaten Bolsonaro gestärkt. Sie haben ihn massiv im Wahlkampf unterstützt, jetzt warten sie auf Gegenleistungen. Und Bolsonaro, der Klimawandel für ein marxistisches Hirngespinst hält, lässt sie nicht warten. Sofort verkündete er, Schutzgebiete im Regenwald für Bergbau, Rinderzucht und Landwirtschaft freizugeben. Dabei haben die Ureinwohner ein in der Verfassung festgeschriebenes Recht auf das Land, auf dem sie leben. Die Nutzung ist ausschließlich ihnen vorbehalten.

Als erste Amtshandlung entmachtete Bolsonaro die Indianerbehörde Funai, die Ureinwohner schützen soll, und schlug sie dem Landwirtschaftsministerium zu. Damit wird deutlich, wessen Interessen die Behörde nun schützen soll. Das Ministerium leitet Tereza Cristina, eine Vertreterin der Agrarlobby. Der Funai steht der Ex-General Franklimberg Ribeiro vor, der für eine kanadische Minenfirma mit Interesse am Bergbau im Amazonas-Gebiet tätig war.

Bolsonaro sieht sich als Vorreiter für ein neues Brasilien, wie er auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos verkündete. Umweltschutz sei ein Hindernis für wirtschaftliche Entwicklung. Oft betonte er, dass die Landwirtschaft nur neun Prozent der Fläche Brasiliens einnehme, Naturschutzgebiete 20 Prozent. Doch die genannten Zahlen sind die halbe Wahrheit. Denn auf 19 Prozent der Fläche Brasiliens weiden Rinder. Ein Großteil des Areals entstand durch illegale Abholzung des Regenwaldes.

Hotels in Indianerreservaten

"Keinen Zentimeter für Indianerreservate", tönte Bolsonaro im Wahlkampf. Er will dort Hotels bauen lassen. Die Ureinwohner sollten sich freuen, denn sie würden endlich in die Gesellschaft "integriert", sagte er. In Reservaten lebten sie "wie im Zoo".

Die Umweltpolitik von Bolsonaro bedroht die gesamte Menschheit. Durch den Kahlschlag wird im Amazonas alle acht Sekunden eine Fläche von der Größe eines Fußballplatzes gelichtet. 20 Prozent des Amazonas-Regenwaldes sind bereits vernichtet. 2018 ist die illegale Rodung wieder angestiegen – um 13,7 Prozent im Vergleich zu 2017. Satellitenbilder zeigen die wachsenden weißen Flächen. Für Mauricio Voivodic vom WWF Brasilien sind die Zahlen keine Überraschung: "Der Kampf gegen illegale Abholzung müsste in der brasilianischen Regierung Priorität haben." Stattdessen werde kein illegaler Holzfäller zur Rechenschaft gezogen.

Der Klimaforscher Carlos Nobre warnt, dass sich bei anhaltender Abholzung das Amazonas-Gebiet bald in eine Savanne verwandeln werde. Die trockenen Perioden hätten in den vergangenen 30 Jahren konstant zugenommen.

Unwiderruflich verödet

Wenn die Abholzung des Regenwaldes mit dem gleichen Tempo anhalte, sei in 20 bis 50 Jahren die Landschaft unwiderruflich verödet. Der Amazonas als weltweit größtes Regenwaldgebiet wirkt wie eine riesige Wärme- und Wasserpumpe. Brasiliens Wasservorrat speist sich aus ihm. Ein einzelner Baum kann mehr als 1000 Liter Wasser pro Tag abgeben. Als "fliegende Flüsse" treiben die riesigen Wolken gen Süden sowie in Richtung der Andenländer und regnen dort ab. Schon jetzt ist dieser Kreislauf gestört. In den letzten Jahren litt der Süden Brasiliens unter einer heftigen Dürre.

Antonio José Bentes lebt im Inneren des Amazonas-Gebietes im Bundesstaat Pará, in Princesa Isabela. Nur eine Sandpiste verbindet ihn mit der Außenwelt. Doch auch hier gibt es keine großen Bäume mehr. "Manchmal höre ich nachts die Motorsägen oder sehe die Lichter der Laster", sagt er. Dann wisse er, der Regenwald werde zerstört. Das Holz des Ipê-Baums sei das kostbarste auf dem Markt und vom Aussterben bedroht. Wie sich das Klima ändert, spürt Bentes: Die Luft sei trocken und staubig, und "es kommen immer weniger Vögel", sagt der 59-Jährige. Auch die wilden Bienen sind schon lange weg. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 16.2.2019)