Wie weit soll man zu weit gehen? Die gebürtige Wolfsbergerin Katharina Pressl (Jahrgang 1992).

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Katharina Pressl, "Andere Sorgen". Roman. € 20,- / 181 Seiten. Residenz, Salzburg 2019

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Manchmal kann man sich nicht in die Vergangenheit begeben, ohne aufzubrechen. Und wer – zumal in der Literatur – diesen Aufbruch wagt, findet dann meist nicht sich selbst, sondern einen Fremden.

Um einen Aufbruch und Versuche des Ausbrechens geht es auch in Katharina Pressls Debütroman Andere Sorgen. Eine namenlose Ich-Erzählerin fährt von der Stadt aufs Land. Dort wartet ein Haus – und die Vergangenheit.

Nicht nur jene der Erzählerin, denn es ist das Haus ihrer Kindheit, die sie dort mit der Halbschwester verbrachte, mit dem Vater, der dann die Familie verließ, und mit der Mutter, die gerade ins Altersheim übersiedelt ist. Das Anwesen zu räumen obliegt nun der Erzählerin, denn sie hat Zeit. Heißt es jedenfalls, denn im Gegensatz zu ihrer Schwester, die zwar vor Ort ist, aber über Freund und Kinder verfügt und damit andere Sorgen hat, entspricht die Erzählerin dem Bild, wie das Leben ab einem bestimmten Zeitpunkt zu sein hat, nur bedingt.

Funktionierenmüssen

Neben der Konfrontation mit der Vergangenheit, die im Zuge der Räumung des Hauses gleichzeitig äußerlich getilgt wird, klingt immer wieder leitmotivisch das Thema des Funktionierenmüssens in einer von Effizienzdenken getriebenen Welt an. Der Erzählerin, die als Texterin für eine Agentur arbeitet, käme Letzteres wie ein Verrat an ihren Träumen vor.

Doch das ist leider noch nicht alles. So wird etwa die Erzählerin samt Vater auf einem Parkplatz überfallen. Und zwar von einer Dame mit dem vielsagenden Namen Malina, die in einem festgefahrenen Leben sitzt und den Ausbruch übt. Gleichzeitig hallen die Trommeln des Aufruhrs durch das Altersheim Hohe Wonne. Ein Streik der Belegschaft, die unter den schlechten Arbeitsbedingungen leidet, steht im Raum.

Die Erzählerin und ein paar Freunde von der Kulturinitiative Waldmeisterei entführen daraufhin – zum Schein – ein paar der alten Leute aus dem Altersheim, um so den Anliegen der Pflegenden Nachdruck zu verleihen. Sie fahren mit ihnen für einen Tag nach Slowenien. Ans Meer, um Fisch zu essen und von der Weite zu träumen.

Leichtigkeit, aber zu viele Ebenen

Dieser Episode verdankt der Roman ein paar seiner schönsten Passagen. Sowieso schafft es die 1992 in Wolfsberg geborene Katharina Pressl immer wieder, ihrem komplexen, schweren Stoff Leben und, ja, sogar Leichtigkeit einzuhauchen. Erzählt wird im Präsens, was dem Geschehen hohe Gegenwärtigkeit verleiht. Der Erzählton bleibt dabei lakonisch und ist an keiner Stelle klagend oder larmoyant. Am Schluss erwartet den Leser dann ein furioses, überraschendes Finale.

Zu diesem Zeitpunkt ist der dünne Roman indes schon unter dem Gewicht seiner vielen Ebenen und Themenstränge zusammengebrochen. Eine Talentprobe ist Andere Sorgen aber allemal, zumal der Roman, durch den viel Alltagsstaub wirbelt, den Topos des österreichischen Provinzromans in eine andere Richtung dreht. Und zwar mit Wucht, wie sich am Ende weist. (Stefan Gmünder, 20.2.2019)