Wien – "ZiB 2"-Anchor Armin Wolf warnte Donnerstag in seiner Dankrede für den Titel "Journalist des Jahres", die Regierung könnte den ORF mit dem geplanten neuen ORF-Gesetz "totsparen: Nach Sparprogrammen um Sparprogramm bedeuten weitere deutliche Kürzungen, "ganz brutal ins Programm zu schneiden oder massenweise Journalistinnen und Journalisten zu kündigen". Die Laudatio auf Wolf hielt Claus Kleber, Anchorman des "Heute Journal" im ZDF. Kleber erklärte, warum Wolfs Interviews tatsächlich etwas von "Verhören" haben – und warum Politiker "das schon aushalten müssen".

Armin Wolfs Dankrede als Wortprotokoll:

"Das Personal im ORF interessiert die Regierung ganz besonders. Was man daran merkt, dass in einem Jahr seit Dienstantritt der neuen Regierung der Chefredakteur abgelöst wurde, sämtliche Sendungsverantwortliche der 'Zeit im Bild' ausgetauscht worden sind und zwei neue Channel Manager installiert worden sind. Ich habe die begründete Vermutung, dass das zeitliche Zusammentreffen nicht in allen Fällen zufällig war.
Auch über das neue ORF-Gesetz weiß man nur eines ganz fix: Dass es keinen Alleingeschäfsführer mehr geben wird, sondern einen Vierervorstand. Wie der aussehen wird, haben wir gerade bei der Nationalbank vorgeführt bekommen: Es werden zwei Schwarze oder Türkise und zwei Blaue sein.
Man könnte annehmen, dass der Vorstand des weitaus größten und wohl auch wichtigsten Medienunternehmens europaweit von einem Headhunter gesucht wird, um hier die allerbesten Leute zu finden. Aber hier gilt wohl, was auch Gerd Bacher schon vor Jahrzehnten gewusst hat: Die Parteien interessiert weniger, wie es dem ORF geht. Sie interessiert vor allem, wie es ihnen im ORF geht.

"Bei Vorgängerregierung genauso"

Das war übrigens bei der Vorgängerregierung absolut nicht anders, damit mich hier keiner falsch versteht. Aber man könnte mit wirklich schlechten Traditionen ja auch mal aufhören. Das wäre wirklich neuer Stil.
Tatsächlich eine neue Qualität hat es allerdings, wenn ein Generalsekretär oder ein Mediensprecher einer Regierungspartei öffentlich die Entfernung von Moderatorinnen und Moderatoren fordert, weil ihnen Interviewfragen nicht passen. Oder wenn der Vorsitzende des Stiftungsrates mit der Entlassung von Korrespondenten oder Korrespondentinnen droht. Da zeigt sich tatsächlich ein elementares Problem im Verständnis, was Pressefreiheit ist, und von der verfassungsrechtlich garantierten Unabhängigkeit des ORF.

"De-Facto-Verstaatlichung"

Dazu passt auch die Forderung, den ORF künftig aus dem Budget zu finanzieren. Das wäre eine De-Facto-Verstaatlichung des öffentlichen Rundfunks. Unser Geldgeber wäre dann genau jene Regierung, über die wir jeden Abend kritisch berichten sollen.
Fast genauso schlimm wäre, was mir fast wahrscheinlicher erscheint als die Budgetfinanzierung: Nämlich dass die Gebühren beibehalten werden, aber massiv gekürzt werden, weil ja die Regierungsparteien da irgendetwas vorweisen wollen. Der ORF hat in den letzten Jahren 700 Mitarbeiter eingespart, und seit Jahren folgt ein Sparpaket aufs nächste.
Sehr viel kürzen kann man da einfach nicht mehr, ohne ganz brutal ins Programm zu schneiden oder massenweise Journalistinnen und Journalisten zu kündigen. Wenn man den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht mehr will, muss man ihn gar nicht unbedingt abschaffen – man kann ihn auch totsparen.

"Regierungsfunk wie in Ungarn"

Ich glaube dagegen, dass ein starker und unabhängiger ORF für dieses Land wirklich wichtig ist. Besonders, wenn man sich überlegt, wer denn sonst die größten Medien wären. Ein starker und unabhängiger ORF. Denn was ein Regierungsfunk anrichten kann, kann man jederzeit in Ungarn besichtigen. Und das braucht wirklich niemand.
Ich weiß, dass sich viele im Raum gelegentlich über den ORF ärgern. Glaubt mir: Ich auch. Aber ich bin auch sehr, sehr stolz darauf, was die Journalistinnen und Journalisten in diesem Unternehmen jeden Tag und jeden Abend leisten – wenn man sie lässt."
"Totsparen": Armin Wolf Donnerstag bei seiner warnenden Dankrede.
Foto: APA / Hans Punz

"Säule demokratischer Ordnung": Kleber über Wolfs "Verhöre"

"Heute Journal"-Anchor Claus Kleber in seiner Laudatio über Wolf und seine Interviews:

"Man hat Armin Wolf den Vorwurf gemacht, seine Interviews fühlten sich wie Verhöre an. Wissen Sie was: Da ist was dran. Es sind höfliche Verhöre, wenn es sowas gibt, mit Einstecktuch sozusagen. Aber Verhöre.
Nur muss einer, der sich anschickt, die Politik eines Landes zu bestimmen, das schon aushalten. Das ist dann auch nicht Abendunterhaltung, auch wenn es sehr unterhaltend werden kann. Das ist eine Säule demokratischer Ordnung. Und wer es ehrlich meint, mit dem was er sagt, geht gestärkt aus so einem Interview hervor.
Das Liveinterview, sagt Armin Wolf, ist die ehrlichste Form der Fernsehberichterstattung. Jawohl. Da muss dann auch nicht jede Sekunde in Perfektion fair sein.
Es war schon schön zu sehen, wie er einen seiner bevorzugten Interviewpartner dreimal bestreiten ließ, dass das Papier zwischen der FPÖ und der Putin-Partei ein Partnerschaftsabkommen sei, bevor Wolf dann den O-Ton einspielte, in dem Heinz-Christian Strache selbst vom Partnerschaftsabkommen sprach. In solchen Sekunden wird er zum Fuchs, der Wolf, und schleicht sich in die Herzen der Gerechten."

Lohnendes Ziel

Kleber kann nicht ganz glauben, dass Wolfs Position im ORF unangreifbar sei – auch wenn er sich und ihm das wünsche: "Wenn man es schafft, ein Umfeld zu zerstören, dann kann man einem Journalisten auch den Job so verleiden, dass er ihn nicht mehr ausfüllen mag und kann. Einer, der so herausragt, wie Armin Wolf, macht sich auch zu dem, was amerikanische Bomberpiloten ein 'lucrative target' nennen. Eine attraktive Zielscheibe.

"Unbotmäßigkeit tolles Kompliment"

Kleber erinnerte an die politisch motivierte Ablöse von Nikolaus Brender als ZDF-Chefredakteur. Derlei sei zugleich als eine Warnung gedacht an alle übrigen, unbekannten Journalistinnen und Journalisten. Das gleiche Signal sieht Kleber bei Stiftungsratschef Norbert Steger (FPÖ), wenn er Wolf Unbotmäßigkeit vorwirft: Das solle "Botmäßigkeit fördern, nicht bei Wolf, bei den anderen." Für Kleber ist Unbotmäßigkeit eigentlich aber "ein tolles Kompliment".

Wrabetz: "Neue Qualität" der Angriffe

ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz sah eine "neue Qualität" darin, wie ORF-Journalisten im Vorjahr auf Social Media, "aber auch von führenden Politikern attackiert wurden. Insofern ist dieser Preis auch ein Ansporn für uns, diesen Kollegen den Rückhalt zu geben, sich auch in Zukunft solchen Angriffen entgegenzusetzen." Das signalisiere auch die gesamte Branche mit der Auszeichnung "Redaktion des Jahres".

Medienminister gratuliert

Medienminister Gernot Blümel (ÖVP), in diesen Wochen wesentlich mit dem neuen ORF-Gesetz beschäftigt, gratulierte Wolf und den übrigen "Journalisten des Jahres" Donnerstagabend via Twitter.

"Unbequemes Gegenüber"

Puls 4-Infochefin Corinna Milborn wurde als "Chefredakteurin des Jahres" ausgezeichnet. Ihre Redaktion wolle beitragen, dass sich Seherinnen und Sehern ihre Meinung bilden und informierte Entscheidungen treffen können. Im letzten Jahr sei das wichtiger geworden "mit dem ständigen Nachrichtenstrom auf Youtube und auf Facebook. Zugleich auch schwieriger: Politiker erwarteten von Medien nur Platz und Sendezeit, um ihre Botschaften unterzubringen und selbst Schnipsel daraus auf ihren eigenen Kanälen zu verbreiten. "Das nicht zu tun, darum bemühen wir uns jeden Tag – ein Gegenüber zu sein, das unbequem ist."

Unbequemes Gegenüber für die Politik: Corinna Milborn über das journalistische Verständnis bei ProSiebenSat1Puls4.
Foto: APA / Hans Punz

Abbiege-Assistent: "Gewinnmaximierung auf Kosten von Menschenleben"

Petra Pichler, als Chronikjournalistin des Jahres ausgezeichnet, warf der Gala-Gastgeberin Wirtschafskammer vor, sie setze "ihre Lobbyingpower gegen eine schnelle Einführung von Abbgiegeassistenten für Lkw". Der alte Slogan "Gehts der Wirtschaft gut, geht's uns allen gut", klinge wie Hohn in ihren Ohren nach dem Tod eines Neunjährigen Ende Jänner, den ein Lkw-Fahrer übersehen hat. Hier gehe es "um Gewinnmaximierung auf Kosten von Menschenleben, auf Kosten von Kinderleben".

"Journalisten des Jahres"

Weitere Ehrungen des Branchenmagazins "Der österreichische Journalist" gingen Donnerstagabend zudem an Karim El-Gawhary von ORF bzw. "Presse" (Außenpolitik), an Renate Graber ("Standard", Wirtschaft), an Clarissa Stadler (ORF) und Thomas Kramar ("Presse") in der Kategorie Kultur, an Petra Pichler (ORF, Chronik) und an Barbara Daser (ORF) für Wissenschaft. Kolumnistin des Jahres ist Anneliese Rohrer ("Presse"), in der Kategorie Investigation siegte Michael Nikbakhsh ("profil"), im Sport geht der Titel an Alina Zellhofer (ORF). Hanno Settele (ebenfalls ORF) punktete in der Kategorie "Unterhaltung", Harald Fidler ("Standard") ist Medienredakteur des Jahres, sein Kollege Matthias Cremer siegte in der Kategorie Fotografie. "Aufgefallen" ist 2018 Melisa Erkurt ("Biber"). Sonderpreise gibt es für Sebastian Weber (Servus TV, Infotainment) und Barbara Kaufmann ("Self Branding").

APA-Geschäftsführer Clemens Pig wurde Donnerstag als "Medienmanager des Jahres" ausgezeichnet.

Mut und Demut: Nußbaumers Lebenswerk

"Furche"-Herausgeber Heinz Nußbaumer wurde für sein Lebenswerk geehrt. Laudatorin Brigitte Wolf, Landeschefin des ORF Wien, würdigte ihn als "wunderbaren Menschen, wunderbaren Freund, großartigen Journalisten und Autor zahlreicher Bestseller". Er sei ein "Verbindender", ein "Querdenker, einfühlsamer Beobachter" sowie engagiert und loyal.

"Querdenker, einfühlsamer Beobachter": Heinz Nußbaumer.
Foto: APA / Hans Punz

Der Geehrte verwies auf die "richtige Mischung zwischen Mut und Demut", die Journalisten brauchten. Und er dankte seinem früheren Chef beim "Kurier", Hugo Portisch, der beim Verleihungsfest in der Wirtschaftskammer auch anwesend war, als nie erreichbares Vorbild. Portisch selbst, der unlängst 92 wurde, wurde vom Publikum mit einem Geburtstagsständchen überrascht. (red, APA, 22.2.2019)