In der New Jersey Bar swingt man gern: Simon Jensen tanzt; Elena Todorova, Patrick Dunst und Christian Pollheimer (v. li.) musizieren.

APA / Elisabeth Gruber

Wer in die New Jersey Bar geht, muss mit rauen Sitten rechnen. Männer stehen vom Tisch auf und pinkeln in die Ecke, Stühle bleiben umgefallen liegen, und alle, auch die scheinbar beschäftigungslos gewordenen Prostituierten, lamentieren und trauern einer vergangenen Zeit nach. Die New Jersey Bar, irgendwo außerhalb Europas gelegen, ist Schauplatz in Fiston Mwanza Mujilas Theaterstück Zu der Zeit der Königinmutter, das am Samstag im Akademietheater uraufgeführt wurde. Die Bar ist ein Reflexionsraum über nichts weniger als das Dasein in einer komplizierten Welt, die aus lauter kleinen und großen, eigenen und fremden Geschichten besteht.

Männer pinkeln in die Ecke?! So steht es geschrieben. Doch Regisseur Philipp Hauß nimmt Abstand von konkreten Realitäten. Seine Inszenierung im Bühnenbild von Katrin Brack bleibt ein musikalisch angetriebenes und moduliertes Erzähltheater, das durch das Auf- und Zuziehen verschiedenfärbiger Theatervorhänge in Schichten geordnet wird.

Erzählströme

Doch schon nach dem furiosen Intro von Stammgast Jimmy (Markus Hering mit Wohlstandsbauch-Fatsuit) tritt ein Figurenverlust ein, der schon im Text angelegt ist. Wie schon in seinem gefeierten Debütroman Tram 83, dessen Bühnenfassung am Schauspielhaus Graz uraufgeführt wurde, "intoniert" der verhinderte Musiker und nunmehrige Dramatiker Mwanza Mujila einen relativ beweglichen Strom aus Beschreibungen und Erzählungen, in dem Rollenverteilungen nebensächlich werden. Hauß hat dementsprechend vieles gestrichen und Text umverteilt.

Ein neuer Gast (Mirco Kreibich) kommt in die Bar. Haben die Gäste ihn anfangs auf dem Kieker und schmähen ihn als Typen mit arroganten Pinkelgewohnheiten, so löst sich diese Opposition irgendwann auf. Die Distanz zwischen ihm, dem blonden Mann im weißen Hemd (ein Europäer?), und den Stammgästen im Raum (Afrikaner?) verschwimmt. Man tut eben, was man in Bars so tut: Man erzählt dem anderen von sich.

Keine billige Illustration

Diese Bar ist kein realer, sondern ein imaginärer Ort zu einer unbestimmten Zeit und mit Fantasiewährungen: mit Dukaten, Dollars und Talern. Auch die Menschen – und das ist die politische Implikation dieser Uraufführung – definieren sich nicht über Nationalitäten, Religionen oder andere allgegenwärtige Punzierungen, sondern einzig durch die Geschichten, die sie draufhaben.

Darin liegt auch die Schwierigkeit für die Regie. Mit billiger Illustration ist hier nichts zu gewinnen. Aber was dann? Wenn einer etwa von Jakob erzählt, der nach Europa ging, dort mit einem Terroristen verwechselt wurde, in die psychiatrische Anstalt kam, sich dort in eine Schlange verwandelte und so Menschen reihum tötete? Philipp Hauß hat darauf auch nur eine leidliche Antwort gefunden: frontales Erzählen bei reichlich Zigarettenkonsum.

Stummer Schwarzbär

Der Sog der Inszenierung soll von den Rändern kommen: von einem stumm an der Rampe sitzenden Schwarzbären etwa oder vom imposanten Vorhangspiel. Vor allem aber von der Musik der Liveband (Leitung: Patrick Dunst), die ein zentraler Dialogpartner der Schauspieler ist (weiters: Sven Dolinski, Simon Jensen und Gertraud Jesserer).

Das Fabulieren nimmt Fahrt auf. Besonders als offenbar wird, dass die Königinmutter, jene Barchefin aus einst blühenden Tagen, aus dem oberösterreichischen Ort Fucking gebürtig ist. Es beginnen sich hier gedanklich also Kontinente zu überlappen – eine reizvolle Vorstellung, der Mwanza Mujila noch eine jazzige Kette weiterer interessanter Namen anhängt: Orte wie Sommerloch, Hoelle, Freilassing oder Pups.

Das ist erzählerisch schräg und sicher horizonterweiternd. Aber wenn einer spricht und sieben zuhören, ist das theatralisch leider eher magere Beute. (24.2.2019)