Wer soll präventiv in Haft genommen werden können? Die Regierung möchte gefährliche Asylwerber prophylaktisch einsperren, SPÖ-Vizechef Hans Peter Doskozil will auch gefährliche Österreicher einbeziehen.

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Acht Tage lang schwirrte sie wie ein politischer Testballon durch die öffentliche Meinungsarena, bis sich am Samstag die Regierungsspitze dezidiert hinter das Projekt stellte: Türkis-Blau will die Möglichkeit zur Verhängung einer Sicherungshaft für potenziell gefährliche Asylwerber schaffen, wie sie laut einem Papier des Innenministeriums geplant ist. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) segnete das Vorhaben am Samstag im Ö1-Mittagsjournal quasi von oben ab und ließ wissen, dass Innenminister Herbert Kickl (FPÖ), die in dessen Ressort angesiedelte ÖVP-Staatssekretärin Karoline Edtstadler und Justizminister Josef Moser (parteifrei im ÖVP-Team) einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten sollen.

Das wird nicht so einfach. Weder inhaltlich-juristisch noch politisch. Denn es handelt sich um einen heiklen Grundrechtsbereich und erfordert daher eine Änderung der Verfassung, also eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, für die die Koalitionsparteien die Stimmen von SPÖ und Neos brauchen. Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) geht aber davon aus, dass allen Parteien daran gelegen sein müsste, im Interesse der Sicherheit eine Verfassungsmehrheit zu ermöglichen.

Äußerst sensible Materie

Justizminister Moser hatte eine derartige Präventivhaft zuletzt als "äußerst sensibel" bezeichnet, Bundespräsident Alexander Van der Bellen als rechtlich heikel.

Kanzler Kurz formulierte als Ziel die Schaffung einer Sicherungshaft mit richterlicher Kontrolle – das freilich nur bei konkreten Verdachtsmomenten und konkret definierten Straftaten. Man wolle die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, aber natürlich Menschenrechte und europäische Verpflichtungen beachten, betonte der Kanzler.

Anlass für eine Sicherungshaft für gefährliche Asylwerber war die tödliche Messerattacke auf den Sozialamtsleiter in Dornbirn am 6. Februar.

Der Vorarlberger Landeshauptmann Markus Wallner (ÖVP) begrüßte denn auch am Sonntag den Vorstoß der Regierung und fordert eine schnellstmögliche Umsetzung im Parlament. In diesem Zusammenhang begrüßte er die Gesprächsbereitschaft des burgenländischen SP-Landesparteichefs Hans Peter Doskozil. Dieser wird am Donnerstag zum neuen Landeshauptmann gewählt.

Täter ist Täter, egal woher

Ja, Doskozil kann sich eine Sicherungshaft vorstellen, hat in der ORF-Pressestunde aber auch verlangt, dass so eine prophylaktische Inhaftierung nicht nur, wie von der Regierung geplant, gegen Flüchtlinge, sondern auch gegen gefährliche Österreicher verhängt werden können müsse: "Natürlich, das ist ein Thema, das alle betrifft. Warum hier zwischen potenziellen Tätern differenzieren? Schutzobjekt ist das Leben." Eine Differenzierung zwischen Tätern sei aus seiner Sicht "nicht gerechtfertigt". Grundlage für den SPÖ-Vizeparteichef ist, dass eine unmittelbare Gefahrensituation vorliegt, die von einem Psychologen oder einer Psychologin auch so eingeschätzt wird. "Wenn der Preis des Freiheitsentzugs ist, dass unmittelbar ein Leben gerettet wird, da verstehe ich diese Diskussion überhaupt nicht." Natürlich müssten Verfassung und Grundrechte eingehalten werden.

Nur Gefährder aus Asylbereich

Vom STANDARD gefragt, ob die Koalition Sicherungshaft ausschließlich für Asylwerber will oder eventuell weitergehend, teilte Regierungssprecher Peter Launsky-Tieffenthal am Sonntag mit: "Das Innenministerium hat den Vorstoß grundsätzlich für Gefährder vorgesehen, die Asylwerber sind, um Ereignisse wie in Dornbirn in Zukunft zu verhindern. Derzeit werden Kriterien für eine gesetzliche Grundlage erarbeitet. Weitergehende Gruppen von Gefährdern, wie etwa IS-Anhänger, muss man prüfen."

Prüfen will auch Doskozil – von September 2012 bis Jänner 2016 Landespolizeidirektor im Burgenland -, und zwar das 1997 beschlossene Gewaltschutzgesetz, das verschiedene "eingreifende Maßnahmen" gegen gewalttätige Partner im Beziehungsnahfeld beinhaltet, zum Beispiel polizeiliche Wegweisungen aus der Wohnung oder Betretungsverbote. Dieses müsse man angesichts der seit Jahresbeginn passierten Tötungen von Frauen in Beziehungskontexten evaluieren.

SPÖ verlangt Taskforce zum Thema

SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner selbst hatte bereits am Freitag eine Taskforce zum Mord in Dornbirn gefordert, die angesiedelt im Justizressort und unter Vorsitz eines unabhängigen Richters die Behördenvorgänge überprüfen und Maßnahmen erarbeiten solle. SPÖ-Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda erklärte diese Taskforce am Sonntag zur Bedingung für weitere Gespräche.

Auch die Neos wollen zuerst den Anlassfall aufgeklärt sehen und haben eine parlamentarische Anfrage eingebracht. Sie meinen, die aktuelle Rechtslage hätte gereicht, um den Mann in Schubhaft zu nehmen. Solche Asylfälle müssten prioritär abgewickelt werden. Eine Entscheidung wäre in 22 Tagen möglich gewesen. Wichtig sei: keine generelle Präventivhaft. "Es geht um Grund- und Freiheitsrechte. Also Aufklärung zuerst und keinen grundrechtlich bedenklichen Schlagzeilenaktionismus", sagte Parteichefin Beate Meinl-Reisinger.

Nur wohlbegründete Eingriffe

Da es bis jetzt keinen konkreten Vorschlag gibt, wollte die Präsidentin der Richtervereinigung, Sabine Matejka, am Sonntag im STANDARD-Gespräch nur eine grundlegende Leitlinie für Eingriffe in "diesen sehr sensiblen Bereich" formulieren: "Jede Regelung, die man da trifft, sollte primär im Rahmen der bestehenden Verfassungsgesetze erfolgen, und jede Einschränkung von Grund- und Freiheitsrechten muss wohlbegründet und verhältnismäßig sein." (Lisa Nimmervoll, 24.2.2019)