Die Stadt Matera, gesehen von einer der vielen Höhlen in der Umgebung aus.

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In seinem Artikel zum Thema Welterbe ("Die Welt darf nicht Matera werden", DER STANDARD) stellt Architekturjournalist Wojciech Czaja die Frage, wie sich "die Anforderungen der Unesco mit denen einer modernen Stadt in Einklang bringen" lassen. Erneut übt er Kritik an der Unesco, weil diese keine städtebaulichen Entwicklungen in den Welterbestädten zulasse. Dies geht, ebenso wie der Vergleich zwischen Wien und Matera, an der Realität vorbei: Wer die süditalienische Kleinstadt als Exempel für Welterbestätten bemüht, will ein drastisches Bild einer entvölkerten Stadt zugunsten einer vermeintlichen Musealisierung eines lebendigen Ortes zeichnen, übergeht aber – neben vielen anderen Parametern – die historischen Tatsachen.

Ein Blick auf die Geschichte der Stadt Matera mit ihren historischen Höhlenwohnungen könnte hier helfen. Dass sich zwischen den sogenannten "Sassi" kaum Einheimische tummeln, hat weder mit unverhältnismäßigem Denkmalschutz noch mit dem Unesco-Welterbe zu tun, sondern vielmehr mit der italienischen Wohnungspolitik der Nachkriegszeit. Die prekären Wohnverhältnisse in den historischen Höhlensiedlungen ohne fließendes Wasser, Strom oder sanitäre Einrichtungen veranlassten die örtliche Politik, dieser "nationalen Kulturschande" – so die italienische Selbstwahrnehmung der 1950er-Jahre – durch gezielte Umsiedelungsmaßnahmen ein Ende zu bereiten.

Wien im Mittelfeld

Für einen Großteil der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fristete Matera also ihr Dasein als urbane Trostlosigkeit, bis gezielte Revitalisierungsbestrebungen ab den späten 1980er-Jahren eine Renaissance dieses besonderen Ortes ermöglichten. Die Aufnahme in die Liste des Unesco-Welterbes im Jahr 1993 half dabei, die internationale Aufmerksamkeit auf Matera und seine Einzigartigkeit zu lenken und zu ermöglichen, dass die Bewohner ihre Stadt nicht mehr als Schande sehen, sondern – im sensiblen Umgang mit den historischen Strukturen – für sich zu nutzen wissen.

Die Gefahr, dass die Metropole Wien ein ähnliches Schicksal ereilen wird, scheint also insgesamt vernachlässigbar. Und dass Wien "eines der größten Schutzgebiete der Unesco" darstellt, ist schlichtweg falsch. Ein schneller Blick auf die Liste des Unesco-Welterbes zeigt, dass Wien mit seiner Kernzone von 341 Hektar (0,9 Prozent der Stadtfläche) in absoluten Zahlen eher im guten Mittelfeld liegt. Das Welterbe Edinburgh mit seinen 450 Hektar Kernzone deckt sich mit 1,7 Prozent der gesamten Stadtfläche, das belgische Welterbe Brügge nimmt mit 410 Hektar circa drei Prozent ein, und im Falle der englischen Stadt Bath ist das Welterbe (2900 Hektar) mit 100 Prozent der Stadtfläche ident.

Musealisierung der Welteberstätten

Eines der Kernargumente in der Diskussion rund um die Gefährdung der Welterbestätte "Historisches Zentrum von Wien" ist die Behauptung, die Unesco habe einen zu starren Schutzbegriff. Dieser führe zu einer Musealisierung der Welteberstätten, weil er städtebauliche Entwicklungen verhindere.

Das scheint auch der Tenor des Wiener Treffens der Organization of World Heritage Cities (OWHC) zu sein, das Czaja vergangene Woche im Rathaus moderiert hat. Dieses informelle Netzwerk von Städten, die mehrheitlich auf ihrem Stadtgebiet Welterbe ausweisen, agiert ohne Anbindung an die Unesco. Die Unesco nimmt Diskurse auf und will keine Stätten verlieren; aber wenn es darum geht, Konventionen, die auf Nachhaltigkeit und Langfristigkeit ausgelegt sind, je nach Trends und Begehrlichkeiten aufzuweichen, wird die Idee der langfristigen, internationalen Gültigkeit ad absurdum geführt.

Die Unesco strebt weder an, Städte zu Museen zu machen, noch stellt sie sich als Verhinderer urbanen Entwicklungen entgegen. Der Unesco geht es um bestehende Werte als globales Allgemeingut, nicht um Verwertung. Zur Präzisierung, weil es in der öffentlichen Debatte immer wieder falsch dargestellt wird: Beim Welterbe geht es nicht um ein Tourismus-Label, nicht um Städte-Rankings, sondern um den Schutz und den Erhalt außergewöhnlicher Stätten sowie einzigartiger Kultur- und Naturdenkmäler – in ebendieser ihrer Außergewöhnlichkeit und Einzigartigkeit. Die Verantwortung für diese Stätten übernimmt letztendlich der jeweilige Mitgliedstaat, als Auftrag, sensibel und nachhaltig auszuloten, welche Bebauung wo möglich und verträglich ist.

Urbanes Spannungsfeld

Dass sich Städte in der Bewahrung ihres kulturellen Erbes mit einer besonderen Herausforderung konfrontiert sehen, bleibt von der Unesco weder unbemerkt noch unkommentiert. 2011 wurde die "Recommendation on the Historic Urban Landscape" verabschiedet, die genau dieses Spannungsfeld aus Schutz und Entwicklung adressiert und versucht, aus diesem vermeintlichen Gegensatz ein komplementäres Ganzes zu machen.

Welterbe kann eine Chance sein, die Besonderheit historischer Stadtzentren zu bewahren und der zunehmenden städtebaulichen Uniformierung gegenzusteuern. (Sabine Haag, 26.2.2019)