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Kurz bei Trump: Der US-Präsident wünschte sich höhere Verteidigungsausgaben.

Foto: Reuters/KEVIN LAMARQUE

In folgender Erkenntnis fanden die politischen Kommentatoren nach dem Besuch des österreichischen Bundeskanzlers Sebastian Kurz beim US-Präsidenten Donald Trump ihren kleinsten gemeinsamen Nenner: Kurz habe diesen professionell absolviert. So weit, so gut, für wen auch immer. Was Kurz aber der Öffentlichkeit als seine Antwort auf Trumps Forderung nach höheren europäischen Verteidigungsausgaben mitteilte, verdient eine genauere – und kritischere – Betrachtung. Sinngemäß meinte er, bezogen auf Österreich habe er diese Wünsche unter Hinweis auf "die Kleinheit des Landes und die Neutralität" zurückgewiesen. Österreich würde eher in Bildung, das Sozialsystem und innere Sicherheit investieren.

Diese Position bedarf sowohl eines Realitätschecks als auch einer kritischen Würdigung in sachlicher Hinsicht. Schließlich fiel diese Äußerung ja nicht am Stammtisch von einem durch Wahlerfolge euphorisierten Jungfunktionär, sondern von einem österreichischen Bundeskanzler bei einem wichtigen Staatsbesuch.

Der Realitätscheck mag kontroversiell ausfallen: Ich kenne nicht wenige Bildungsexperten, die genauso verzweifelt auf sinnvolle Investitionen im Bildungsbereich hoffen, wie sie den bisherigen Maßnahmen der Bundesregierung im Bildungsbereich – Stichwort verpflichtende Wiedereinführung der Ziffernnoten in der Volksschule – fassungslos gegenüberstehen. Und dass die neue Regelung bei der Mindestsicherung nicht bei allen Sozialexperten auf glühende Gegenliebe stößt, ist beinahe täglich den Medien zu entnehmen. Bleibt die innere Sicherheit. Der Innenminister wird sich jedenfalls freuen. Vielleicht werden die zu erwartenden zusätzlichen Mittel ja auch für eine sinnvolle Reform des BVT genutzt.

Schlecht beraten

Eine kritische Würdigung in sachpolitischer Hinsicht fällt ernüchternd aus: Der Kanzler steht offenbar felsenfest in der Tradition österreichischer Politiker aller Couleurs, die seit Jahrzehnten die realen sicherheitspolitischen Parameter ignorieren oder gar nicht kennen – zumindest aber ist er schlecht informiert beziehungsweise ebenso beraten.

Da wäre zunächst die billige Gegenrechnung von Staatsausgaben. Dass Investitionen in die eigenen Streitkräfte nicht zwangsläufig solche in Bildung und Sozialsystem verunmöglichen, beweisen seit vielen Jahren Staaten mit durchaus ähnlicher gesellschaftlicher Struktur wie Österreich, etwa Schweden und die Schweiz. Beide Länder liegen jedenfalls in der Pisa-Studie 2016 gesamtheitlich vor Österreich, größere soziale Unruhen sind ebenfalls nicht bekannt.

Aber österreichische Politiker verstehen eben traditionell das selbstverständliche Mantra, dass Sicherheitspolitik umfassend zu sehen und nicht auf das militärische Element zu reduzieren sei, so, dass man eigentlich auf ein substanzielles militärisches Instrument faktisch überhaupt verzichten könnte. Eine lästige, unproduktive Notwendigkeit eben. Ein Fehlschluss, den Kurz in Washington wieder aufwärmte.

Intellektuelle Zumutung

Es kommt aber noch schlimmer: Die "Kleinheit des Landes" als Argument für nichtadäquate Verteidigungsanstrengungen heranzuziehen stellt eigentlich eine intellektuelle Zumutung dar. Es geht darum, Streitkräfte so auszustatten und auszurüsten, dass sie ihre erwartbaren Aufgaben erfüllen können, ohne hypertrophe Strukturen. "Vernünftige Hinlänglichkeit der Verteidigungsanstrengungen" nannte das einst Michail Gorbatschow.

Den international allgemein anerkannten Maßstab für Verteidigungsausgaben bildet dafür ihr Anteil am Bruttoinlandsprodukt (BIP). Während der Durchschnitt der EU-Staaten circa 1,3 Prozent des BIP für die Landesverteidigung ausgibt (darunter etliche "kleinere" Länder), liegt Österreich aktuell unter 0,6 Prozent.

Niemand spricht in Bezug auf Österreich von den Vorstellungen Trumps, der für die Nato-Staaten zwei Prozent des BIP fordert. Aber dass angesichts des aktuellen Zustands des Bundesheers – der immerhin bereits den einer militaristischen Einstellung unverdächtigen Bundespräsidenten auf den Plan gerufen hat – die Forderung nach einer Erhöhung des Verteidigungshaushalts doch sehr legitim ist, bedarf unter Experten eigentlich keiner Diskussion. Aber wer in der Politik schert sich schon um Experten? Dies aber auch noch öffentlich nach einem Gespräch mit dem amerikanischen Präsidenten als argumentatives Highlight darzustellen, das zeigt – ja, was eigentlich?

Österreichisches Feigenblatt

Und zuletzt noch die Neutralität, das transparente Feigenblatt der österreichischen Sicherheitspolitik. Es gilt allgemein im Völkerrecht als unbestritten, dass "immerwährende Neutralität nach Schweizer Muster" – zu der Österreich sich im Neutralitätsgesetz 1955 verpflichtet hat – die Fähigkeit bedeutet, sein Territorium "mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu verteidigen". Neutralität heißt also nicht, auf Verteidigungsanstrengungen verzichten zu können, sondern verpflichtet – im Gegenteil zu offenbar in Politik und weiten Teilen der Bevölkerung vorherrschenden Auffassungen – erst recht zu erheblichen Investitionen in die eigene Landesverteidigung. Das haben die Schweiz und Schweden auch immer so verstanden.

Dass diese irrige Meinung in Politikkreisen noch immer verbreitet ist, macht betroffen, die Auffassung jedoch nicht zutreffender. Dass der Bundeskanzler diese aber international als Ausrede verwendet, nicht mehr für Landesverteidigung ausgeben zu müssen, ist doch eher peinlich. Das Feigenblatt kann nicht verdecken, dass der Kaiser darunter nackt ist. So gewinnt man international kein Ansehen – auch wenn freundliches Schulterklopfen für die Galerie gezeigt wird –, nicht bei wohlwollenden und schon gar nicht bei weniger freundlich gesonnenen Staatsführungen.

Ob dies Österreich in der internationalen Staatengemeinschaft guttut, wird abzuwarten sein. Das europäische Projekt wird in dieser schwierigen Phase im Spannungsfeld zwischen USA, China und Russland von sicherheitspolitisch unsicheren Kantonisten jedenfalls nicht gestärkt werden.

Nachsatz: Dass diese zweifelhaften Äußerungen des Bundeskanzlers in den Medien kaum diskutiert wurden und ein sogenanntes Qualitätsmedium den Hinweis auf die Neutralität als Begründung für geringe Verteidigungsausgaben sogar anerkennend als "konsequent" bezeichnete, steht kennzeichnend für die Qualität der öffentlichen Debatte zu diesem Thema in Österreich. (Gerald Karner, 27.2.2019)