Kennzeichnend für das Nazi-Regime war eine äußerst brutale Handhabung des Strafrechts. Die Hinwendung zum blanken Terror hing damit zusammen, dass sich im Strafvollzug zunehmend eine Rivalität von Justizstrafrecht und Polizeistrafrecht ergab, in dem sich letzteres durchsetzte. Ein Auslöser dieser Entwicklung war, dass Heinrich Himmler, der ab 1936 neben seinem Amt als Reichsführer-SS auch das Amt des Chefs der Deutschen Polizei inne hatte, mit allen Mitteln seinen Machtbereich auf die gesamte innere Sicherheit auszudehnen versuchte.

Radikalisierung im Krieg und Entmachtung der Justiz durch die Polizei

Zunehmend verlor die Justiz an Kompetenz. Zunehmend wurde das Justizprinzip in der Strafrechtsanwendung ausgehöhlt und die Position der Justiz als vorrangiges Organ der Strafrechtsanwendung von den Sicherheitsorganen der Polizei, insbesondere der Geheimen Staatspolizei unterwandert. So, dass sich, wie Gerhard Werle in seiner brillanten Studie "Justiz-Strafrecht und polizeiliche Verbrechensbekämpfung im Dritten Reich" schreibt, "die Polizei als ein der Justiz gleichgeordnetes oder sogar übergeordnetes Organ der Verbrechensbekämpfung etablierte". Parallel zu der Strafrechtspflege durch die Justiz entwickelte sich somit eine polizeiliche Strafjustiz, die durch die Eingliederung der Polizei in den Autoritäts- und Herrschaftsbereich Himmlers eine Radikalisierung mit unmenschlichen Konsequenzen erfuhr.

Bereits ab 1933 kam es zu polizeilicher Freiheitsentziehung ohne vorherige oder nachträgliche Gerichtsverfahren. Die Vorbeugungshaft bei nicht-politischen Verbrechen und die Schutzhaft bei politischen Verbrechen waren mit Einweisung in ein Konzentrationslager verbunden. Konkret bedeutete dies, dass Straftäter in Konzentrationslager eingewiesen wurden, wo sie über die Verbüßung ihrer Haftstrafen hinaus festgehalten wurden und vielfach keine Chance auf Entlassung und Rückkehr in ein ziviles Leben hatten.

Neue Dynamik für Gewalt und Terror

In den Anfangsjahren des Dritten Reichs stützte sich das polizeiliche Vorgehen auf die "Verordnung zum Schutz von Volk und Staat vom 28. Februar 1933" (die sogenannte Reichstagsbrandverordnung), die erlaubte, bei Gefährdung der öffentlichen Ordnung Maßnahmen zur Sicherung des inneren Friedens zu setzen. Während sich zunächst die Justiz als das für die Konzentrationslager zuständige Organ verstand und Anzeigen, die von Angehörigen, deren Verwandte in KZs zu Tode kamen, durchaus verfolgte, wurde ab 1936 und in den Folgejahren das KZ-System aus dem Justizbereich ausgegliedert und der SS unterstellt. Damit konnte sich die Willkür ungehindert ausbreiten und die KZ-Haft zum Terrorinstrument des Regimes werden.

Die Tendenz zu Gewalt und Terror, die von Beginn an die Strafrechtskultur des Dritten Reichs bestimmte, gewann besonders unter den Bedingungen des Kriegs an Dynamik. Zahlreiche Gesetze, die zu Beginn und im Laufe des Kriegs geschaffen wurden, bedeuteten eine extreme Verschärfung der Strafzurechnung und der Strafmaßnahmen. Als Beispiele seien die "Verordnung gegen Volksschädlinge vom 5. September 1939", die "Verordnung gegen Gewaltverbrecher vom 5. Dezember 1939" und vor allem die "Verordnung zum Polen- und Judenstrafrecht vom 4. Dezember 1941" genannt.

Hitler im Reichstag 1939.
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Die Verordnung gegen Gewaltverbrecher sollte wie die Volksschädlingsverordnung die "innere Front" im Kriege sichern. Das Gesetz besagte, dass jede mit einer Waffe ausgeführte Gewalttat mit dem Tode zu bestrafen sei. Explizit genannt wurden Notzucht, Straßenraub und Bankraub; das Gesetz sollte aber alle mit Gewaltanwendung verknüpften schweren Taten erfassen. Das Gesetz galt rückwirkend. Die Tatbestände und der "Waffen-Begriff" wurden sehr weit ausgelegt. Beihilfe und Versuch konnten, da die Strafmilderung entfiel, auch mit der Todesstrafe geahndet werden.

Das Gesetz war stark von Ideen des Willensstrafrechts geprägt: Der Träger jeder feindlichen und die innere Sicherheit gefährdenden verbrecherischen Willenskundgebung sollte nicht nur bekämpft, sondern "ausgemerzt" werden. Bei der Verurteilung spielte neben der Tat auch eine Rolle, wie weit die Persönlichkeit des Täters die Zuordnung zur Kategorie "Gewaltverbrecher" rechtfertigte. Die Rechtsprechung orientierte sich zunehmend am Tätertyp und daran, wie weit ein Täter die Gewaltverbrechereigenschaft erfüllte, wobei bereits bei Beginn der Tatausführung diese Voraussetzung erfüllt sein konnte. Durch die weite Auslegung der Tatbestände, die starke Einbeziehung von typisierenden Persönlichkeitsmerkmalen und die kriegsbedingte alarmierte Stimmung, waren dem richterlichen Ermessensspielraum kaum Grenzen gesetzt.

Das Strafrecht in den "Besetzten Ostgebieten"

Die Polen- und Judenstrafrechtsverordnung vom 4. Dezember 1941 verschärfte die Verordnung über die Einführung des deutschen Strafrechts in den eingegliederten Ostgebieten vom 6. Juni 1940. Die Verordnung drohte in Absatz I (2) Polen und Juden die Todesstrafe an, "wenn sie gegen einen Deutschen wegen seiner Zugehörigkeit zum deutschen Volkstum eine Gewalttat begehen"; gleichfalls drohte Polen und Juden gemäß Absatz I (3) die Todesstrafe, in weniger schweren Fällen Freiheitsstrafe, "wenn sie durch gehässige oder hetzerische Betätigung eine deutschfeindliche Gesinnung bekunden, insbesondere deutschfeindliche Äußerungen machen oder öffentliche Anschläge deutscher Behörden oder Dienststellen abreißen oder beschädigen, oder wenn sie durch ihr sonstiges Verhalten das Ansehen oder das Wohl des Deutschen Reiches oder des deutschen Volkes herabsetzen oder schädigen".

Wesentlich ist auch Absatz II, in dem klar der Grundsatz der Analogie zum Tragen kommt: "Polen und Juden werden auch bestraft, wenn sie gegen die deutschen Strafgesetze verstoßen oder eine Tat begehen, die gemäß dem Grundgedanken eines deutschen Strafgesetzes nach den in den eingegliederten Ostgebieten bestehenden Staatsnotwendigkeiten Strafe verdient."

Die Grenze zwischen Politik und Recht war im Polenstrafrecht aufgehoben. Die Verordnung bot keinerlei Rechtssicherheit oder gar Schutz für Polen und Juden. Die Polen- und Judenstrafrechtsverordnung war primär ein politisches Instrument der Disziplinierung. In der auch in den Ostgebieten zwangsläufig gegebenen Konkurrenz zwischen Justiz und Polizei setzte sich klar die Linie Himmlers durch, der sich Ende 1942 mit dem Justizminister Thierack einigte, dass die Polizei die Strafgewalt in den "besetzten Ostgebieten" übernehmen sollte.

Politik wird Recht

Das Eintreten der führenden Strafrechtstheoretiker für die Aufhebung der Trennung von Recht und Politik blieb nicht leere Rhetorik: Das Recht im Dritten Reich mutierte de facto zum reinen Machtinstrument der Führung. Der Richter wurde zum Ausführungsorgan des Führerwillens. Führerverordnungen und Führeräußerungen standen im Rang einer Rechtsquelle. Das Rechtsystem war somit gezwungen, sich der wandelbaren und schwer fassbaren NS-Ideologie anzupassen.

Der rein selektive Gebrauch der Moral als Bindeglied der Gemeinschaft der Volksgenossen unterstützte die Entgrenzung in den politisch besonders sensiblen Bereichen des Strafrechts. So war das Polen- und Judenstrafrecht zwar Teil der deutschen Rechtsordnung, doch ein Teil, für den gerade das Prinzip der "völkischen Ungleichheit" und damit die ethnisch-rassisch motivierte Ausgrenzung der Rechtssubjekte konstitutiv war.

Die theoretische Grundlage war die von den Juristen propagierte Umformung des allgemeinen Gleichheitssatzes in ein völkisches Gleichheitsprinzip. Bereits in dem für die deutsche Bevölkerung geltenden Strafrecht vermischten sich Recht und Politik; doch gegenüber einer Bevölkerung, die nicht nur als andersartig, sondern als a priori ungleichwertig galt, kippte die Politisierung des Strafrechts zwangsläufig in die blanke politische Gewaltausübung. Moralische Ausklammerung bedeutete, dass die letzten Beschränkungen, die eine "völkische Moral" oder "völkische Sittlichkeit" überhaupt noch aufzubringen vermochte, entfielen.

Strafrecht und Rassenlehre

Wenngleich die Stellung der Justiz letztlich von Hitler selbst und von Himmlers SS- und Polizeimacht untergraben wurde, waren die systemkonformen Juristen Wegbereiter der dargelegten Verschiebungen im Strafrecht. Mezgers aus 1938 stammende programmatische Definition der neuen Strafrechtskonzeption brachte dies klar zum Ausdruck. Er schrieb:

"Trotz heftigen Meinungsstreits im einzelnen lässt sich die Neueinstellung im ganzen als die Verbindung eines ethisch begründeten Strafrechts mit einem biologisch begründeten Sicherungsrecht unter Betonung wertender Rechtsbetrachtung und einer neuen strafrechtlichen Ganzheitsauffassung kennzeichnen."

Das neue Denken drückte sich nicht zuletzt in der Verbindung des Strafrechts mit der Rassenlehre und der Verpflichtung zum Schutz der arischen Volksgemeinschaft vor biologisch-genetischer Unterwanderung aus. Eine besondere Rolle bei der Legitimierung der neuen Vorgaben im Strafrecht spielte die Moralisierung des Strafrechts. Was von den führenden Rechtstheoretikern als ethisch verbindlich begründet und im Sinne des "gesunden Volksempfindens" als richtig behauptet wurde, war der Hinterfragung von Seiten der einzelnen Mitglieder der Volksgemeinschaft entzogen. Strukturell entscheidend waren die Relativierung des nulla poena sine lege-Prinzips, die Aufhebung des Analogieverbotes und des Rückwirkungsverbotes wie auch die zahlreichen unbestimmten Rechtsbegriffe ("Wohl des Reiches", "Wohl des Volkes", "gesundes Volksempfinden"). Es war letztlich aber die Summe dieser Maßnahmen in einem totalitären politisch-staatlichen Kontext, die den Schritt zur Umformung des Strafrechts in ein Terrorinstrument des Staates ermöglichten. (Herlinde Pauer-Studer, 7.3.2019)