"Jetzt muss es weitergehen. Es braucht eine Frauenbewegung, die auch für den Mann spricht." Jagoda Marinic, deutsch-kroatische Autorin

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"Der Grad der Verletzung wird fortan von den Verletzten definert. Gut so." Doris Priesching

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Von Johanna Dohnal existiert ein Tondokument (Ö1-Hörbilder am 9. Februar 2019), in dem sich die ehemalige Frauenministerin an eine Diskussion mit Gemeinderäten über den Schutz vor Gewalt in der Familie erinnert. Dohnal wollte gute Stimmung für ein Gesetz gegen häusliche Gewalt machen und traf sich mit den Kommunalpolitikern zum Austausch.

Und was sie dort zu hören bekommen habe, sagt Dohnal in der Aufnahme, ließ sie abends zurück in ihr Büro wanken, wo sie "gekotzt habe, wie ein ..." – hier sucht Dohnal nach Worten: "Adler?" Dohnal korrigiert sich: "Nein, Geier." Nach den Gesprächen mit den Gemeinderäten habe sie, Johanna Dohnal, gekotzt "wie ein Geier".

Der Irrtum in der Umgangssprache, wonach man bekanntlich nicht wie ein Geier, sondern wie ein Reiher kotzt, ist bezeichnend für den Dohnal'schen Feminismus. Nicht reihermäßig schlank, elegant und anmutig war ihr Eintreten für die Gleichberechtigung der Frau, sondern: geierhaft – direkt, fordernd, gierig, kompromisslos. Die nachhaltigen Verdienste der Frauenministerin hatten ihre Ursache im unmittelbaren Geier-Feminismus, wie ihn Dohnal vertrat und den das Land damals bitter nötig hatte.

Neubeginn mit neu definierten Geschlechterrollen

Mehr als 30 Jahre später ist der Geier-Feminismus wieder Thema. In den USA führt #MeToo dazu, dass Frauen über männlichen Machtmissbrauch nicht länger schweigen. Der Hashtag ist zu einer globalen Bewegung geworden, Frauen sprechen in der Öffentlichkeit von den Übergriffen und werden ernst genommen. Hierzulande geht es mit Missbrauch in Skizirkus und katholischer Kirche an bis dato als unantastbar geltende Zellen der österreichischen Identität. Die Übeltäter können sich nicht mehr sicher sein. Der Grad der Verletzung wird von den Verletzten definiert, männliches Machtverständnis hinterfragt. Es tut sich etwas, und das ist nicht mehr wegzudiskutieren. Und jetzt?

"Jetzt muss es weitergehen", fordert die deutsche Journalistin und Kulturmanagerin Jagoda Marinic in ihrem Debattenbuch Sheroes – Neue Heldinnen braucht das Land. "Es braucht eine Frauenbewegung, die auch für den Mann spricht", schreibt die Autorin. Heißt das: Genug gekämpft, die Geier haben ihre Schuldigkeit getan, sie können gehen?

Nicht so schnell. Würgereflexe lassen sich nicht von einem Tag auf den anderen abschalten. Noch kommt vieles aus der Vergangenheit hoch. Aber über die Zukunft wird bereits nachgedacht. Marinic tut das und schlägt einen Neubeginn mit neu definierten Geschlechterrollen vor. #MeToo habe die Möglichkeit geschaffen, Räume zu öffnen, in denen sowohl Frauen als auch Männer in ihren Rollenbildern mehr Bewegungsfreiheit haben können.

Für Deutschland gelte das umso mehr, schreibt Marinic, als #MeToo dort verschlafen worden sei. Feministinnen in dem Land agierten planlos, zudem stelle das Wiedererstarken der Rechten eine Gefahr dar, "Antifeminismus in Feminismus umzudeuten". Dabei könne #MeToo Männern und Frauen gleichermaßen Schutz bieten: Frauen durch den Rückhalt in der Gesellschaft, Männern vor "den Klischees toxischer Männlichkeit".

Vorbilder für Frauen

Um das zu schaffen, brauche es "Sheroes", neue "Heldinnen, die einen Kampf hinter sich haben. Für sich oder für andere. Jene, die sich etwas zu nehmen wussten, von dem andere dachten, dass es ihnen nicht zustünde. Die nicht immer stark sind, aber die es sein können, wenn es darauf ankommt." Die US-Sängerin Beyoncé sei so eine, schreibt Marinic. Ex-First-Lady Michelle Obama und die nigerianische Schriftstellerin Chimamanda Adichte.

"Solche Frauen können nicht aufhören zu kämpfen, in jedem Bereich, der ihnen wichtig ist, und sei es ihr kleiner Alltag. Sie sind Sheroes, weil sie dadurch in anderen Frauen etwas auslösen, was diese an ihre eigene Stärke erinnert. Weil sie endlich jene Bilder liefern, die wir alle brauchen."

Marinic geht es um einen "direkten Feminismus". Gesucht seien dafür Vorbilder für Frauen, "um zu werden, wer wir sind". Die neuen Heldinnen, wie Marinic sie sucht, sind zugegen. Autorinnen wie Barbi Markovic, Christina Dalcher und Naomi Alderman springen kompromisslos in die feministische Bresche, Serien wie Dietland und Sharp Objects thematisieren weibliche Stärke ebenso wie Verletzlichkeit, im Kino sorgen Filme wie The Favourite und Mary Queen of Scots für eine weibliche Neuinterpretation von Geschichte. Die "Sheroes" müssten sich aber noch mehr um die Eroberung des öffentlichen Raums bemühen, den Männer besetzt halten. Wird schon.

Bleibt die Frage: Braucht es dafür mehr Geier- oder Reiher-Feminismus? Sagen wir es mit Johanna Dohnal: "Die Vision des Feminismus ist eine menschliche Zukunft. Ohne Rollenzwänge, ohne Macht- und Gewaltverhältnisse, ohne Männerbündelei und Weiblichkeitswahn." (Doris Priesching, Album, 8.3.2019)