Ein nerviger NPC von "Metro: Exodus".

Foto: "Metro: Exodus"

Die Postapokalypse von Metro: Exodus ist gefährlich – gut, wenn man Mitstreiter wie die Spartaner hat. Die militärische Eliteeinheit ist so etwas wie unsere Familie, und das bedeutet auch: sich abstimmen und Pläne wälzen, wie es weitergeht. Wie das geschieht, ist aber etwas ermüdend: Wie bei einer Intervention stehen Anführer und die Kollegen um mich herum – und schwafeln gnadenlos auf mich ein. Wo stehen wir, was kommt als Nächstes, was ist der Plan – "hör zu, Artjom!" Dass die grimmigen Endzeitkrieger dabei gut synchronisiert und nett animiert sind, hilft da nur wenig: Stumm bin ich als Spieler dazu verdammt, geduldig in der First-Person-Perspektive dazustehen und abzuwarten, bis die mal schlechter, mal besser geskripteten Ansprachen vorbei sind.

Oder in so gut wie jedem jüngeren Spiel der Far Cry-Reihe: Eine dramatische Schießerei endet, ein Bösewicht geht zu Boden, eine Cutscene beginnt – und der mehr oder weniger charismatische Übeltäter fängt in bester Cartoonschurkenmanier an, einen Vortrag zu halten. Eigentlich hat er es ja nie bös gemeint! Es ist alles eskaliert! Und bin ich, der Spieler, nicht eigentlich der wahre Bösewicht? Dann folgt ein wenig binsenmoralphilosophisches Gefasel, trotz AAA-Budgets ziemlich viel gar nicht mal so gutes Schauspiel auf Motioncapture-Basis – bis der Story-Schnipsel mit dem Ende der Cutscene endet. Was gesagt wurde? Egal – die rasant wachsende To-do-Liste und die Minimap werden mir schon sagen, wo's langgeht.

FragHero

Wie erzählt man in einem interaktiven Medium?

Es ist ein altes Problem, für das es nach wie vor keine völlig befriedigende Lösung gibt: Wie erzählt man in einem Medium, das durch Interaktivität charakterisiert ist? In Film und Literatur gibt es das Dilemma nicht: Da sitzen Autor beziehungsweise Regisseur auf dem Fahrersitz, und das Publikum kann nicht anders, als mitzukommen. In Spielen hingegen sitzt man selbst am Steuer – meistens zumindest.

Erzählt wird oft trotzdem genauso wie im Film: Das Erzählen in Cutscenes, wie es nicht nur in Far Cry praktiziert wird, nimmt Spielerinnen und Spielern die Kontrolle und verdammt sie zu passivem Zusehen; Metro: Exodus, in dieser und anderer Hinsicht ganz Erbe von Half-Life, lässt mir zwar die teilweise Kontrolle über meinen Charakter, der Frontalunterricht allerdings bleibt. Das Resultat sind Briefings, Lagebesprechungen, mehr oder weniger dramatische Monologe und Ansprachen, die immer ein wenig was von Ein-Mann-Theaterstücken haben. Und meistens, meistens übermannt mich beim Zusehen die unbändige Lust, schnell aufs Klo zu gehen, Chips zu holen oder kurz ein kleines bisschen die Mails, Facebook oder Twitter zu checken.

Accursed Farms

First-Person-Shooter: Helden ohne Mitspracherecht

Bei First-Person-Spielen, die durch ihre Perspektive oft ein anderes Erzählen versuchen wollen als Spiele, in denen man seine Figur sowieso "filmischer" von außen betrachtet, hat sich seit Ewigkeiten eine Konvention eingebürgert, die das Problem des NPC-Monologs verstärkt: Der Protagonist, durch dessen Augen man die Spielwelt sieht, sagt keinen Pieps. Das soll die Identifikation erhöhen: Immerhin ist man in FPS-Spielen, so die etwas bemühte Logik, mehr als in anderen Spielen selbst "anwesend", und es würde die Immersion stören, wenn die eigene Figur etwas sagt. (Was im Kopf des wohl berühmtesten "Silent Protagonist" der FPS-Geschichte, Gordon Freeman, so vorgeht, hat übrigens Ross Scotts Comedy-Serie Freeman's Mind gezeigt.)

Die Herausforderung, den Spielerinnen und Spielern dafür niemals die Kontrolle über diese Figur aus der Hand zu nehmen – sprich: auf Cutscenes völlig zu verzichten –, funktioniert gut, wenn sich kleine Szenen quasi nebenbei abspielen: wenn Wissenschafter in Half-Life in Aufzugsschächte gezogen werden oder man in Metro: Exodus nebenbei Zeuge eines Gesprächs zwischen anderen Überlebenden wird. Weniger immersiv ist es, wenn meine Figur direkt angesprochen wird, denn dann ergibt sich jedes Mal die unnatürliche Situation, dass auf mich eingeredet wird und ich dazu verdammt bin, stumm dazustehen und mir ein Gespräch anzuhören, dem ein grundlegender Teil zum realistischen Dialog fehlt.

Mal ehrlich: Dagegen ist mir sogar eine Cutscene lieber, egal wie sehr sie mich aus dem Spiel herausreißt. Warum? Weil ich die – zumindest in den allermeisten Spielen – einfach per Tastendruck überspringen kann. Das geht bei Metro: Exodus und Co nicht.

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Anders erzählen?

Monologisierende NPCs wie aktuell in Metro: Exodus, aber auch – klassisch – im aktuellen Teil der Far Cry-Reihe, sollen mich in ihre Welt ziehen, die Geschichte des Spiels erzählen und die Immersion, also das Gefühl, in das Spiel einzutauchen, erhöhen. Nur: So richtig gut funktioniert das oft nicht. Das Gefühl, dass auf einen eingeredet wird, ist nun mal an sich nicht angenehm. Was wären die Alternativen dazu, abseits von "klassisch" filmischen Cutscenes oder der anderen, auch schon etwas muffigen Spielmechanik, über auffindbare Tagebücher und Sprachmemos zu erzählen?

Vielleicht ist die Antwort darauf einfacher, als man glaubt: Es wäre damit getan, uns gerade in Spielen, denen die Immersion wichtig ist, auch nur die kleinste Option zu lassen, an diesen "Gesprächen" tatsächlich teilzunehmen. Das muss kein ausgefeilter Multiple-Choice-Antwortenbaum sein wie in Rollenspielen – schon simple "Richtungsentscheidungen", selbst wenn sie nach minimalen Abzweigungen ohnehin wieder ins selbe Skript zurückführen, wären schon ein Fortschritt. Schon ein einfaches "Klingt gut" oder "Muss das sein" als Redebeitrag würde Artjoms Einsatzbesprechungen den Charakter lähmender und vor allem passiver Pflichtveranstaltungen nehmen.

Dass die erzählerische Leerstelle der Hauptfigur dadurch mehr Kontur erhält, ist beileibe kein Nachteil; in allen möglichen anderen Spielegenres haben Spielerinnen und Spieler schließlich auch kein Problem damit, sich mit mehr oder weniger kantigen Helden zu identifizieren. (Wer meint, das wäre im First-Person-Shooter anders, hat wohl auch noch nie etwas vom Duke gehört.)

Viva La Dirt League

Weniger Vorträge!

Wenn diese – endlich! – Dialoge dann nicht im Stil von Frontalvorträgen inszeniert wären – sprich: wir nicht dazu verdammt sind, sie untätig über uns ergehen zu lassen –, könnten sie sich auch besser ins Spielerlebnis einfügen: als Gespräche auf dem Weg zum Missionsgebiet etwa, oder auch nur als Funkverkehr, wie es das großartige Indie-Adventure Firewatch mit seinem Geplänkel zwischen dem Protagonisten und der nie gesehenen Kollegin am Funkgerät vorgemacht hat.

Also bitte, liebe Entwickler: Macht den Monologen von NPCs ein Ende. Gut, vielleicht entgehen uns dadurch ja – zugegeben – beeindruckende schauspielerische Leistungen, wie etwa jene von Michael Mando, der in Far Cry 3 als Vaas Montenegro dem Rest des Spiels – und, mal ehrlich, allen nachfolgenden Bösewichten – die Show gestohlen hat. Aber die Tatsache, dass diese Sternstunde auch schon wieder sechs Jahre her ist und seither nicht übertroffen wurde, beweist: Das Risiko könnte man eingehen. Ich für meinen Teil wurde schon genug von NPCs in endlosen Monologen beschwafelt; in der Zeit hätte ich lieber gespielt. (Rainer Sigl, 2.3.2019)