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Konkrete Maßnahmen, wie Papst Franziskus gegen Missbrauch in der katholischen Kirche vorgehen will, lassen weiter auf sich warten.

Foto: AP/Gregorio Borgia

Die Atempause war von kurzer Dauer gewesen: Am Dienstag, keine 48 Stunden nach dem Abschlussgottesdienst nach der Missbrauchskonferenz im Vatikan, ist bekanntgeworden, dass der australische Kurienkardinal und Finanzchefs des Vatikans, George Pell, von einem Gericht in Melbourne wegen sexuellen Missbrauchs von zwei Chorknaben verurteilt worden ist. Am Tag darauf wurde der "Ranger", wie der kräftig gebaute ehemalige Footballspieler im Kirchenstaat genannt wurde, verhaftet. Pell ist der ranghöchste katholische Geistliche, der je von einem weltlichen Gericht wegen Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs verurteilt worden ist.

Der Fall Pell ist peinlich für Franziskus: Der Australier war vom Papst im Jahr 2013, als die Missbrauchsvorwürfe in dessen Heimat längst bekannt waren, zum mächtigen Finanzchef des Vatikans ernannt worden. Zugleich wurde der Australier Mitglied der päpstlichen Reformkommission für die Kurie, die sogenannte K-9. In dieser Kommission saß bis vor kurzem auch der frühere Erzbischof von Santiago de Chile, Kardinal Francisco Javier Errázuriz Ossa. Dem 85-Jährigen wird vorgeworfen, die Strafverfolgung eines später wegen Missbrauchs verurteilten Geistlichen jahrelang verhindert zu haben.

Neuer Camerlengo

Pell und Errázuriz Ossa sind nicht die einzigen belasteten Prälaten, die unter Franziskus im Vatikan Karriere gemacht haben. Wenige Tage vor Beginn der Missbrauchskonferenz hat der Papst den US-Kardinal Kevin J. Farrell zum Camerlengo, zum Kardinalkämmerer ernannt. Im Fall einer Sedisvakanz würde Farrell bis zur Wahl eines neuen Papstes als Ersatzpontifex die Geschäfte der Kirche leiten.

Der US-Geistliche war jahrelang ein enger Vertrauter des früheren Erzbischofs von Washington, Theodore McCarrick, gewesen. Dieser ist von Franziskus im Februar wegen Kindesmissbrauchs aus dem Klerikerstand entlassen worden – die härteste Strafe im kanonischen Recht. Kritiker betonen, dass der neue Camerlengo über die sexuellen Verfehlungen McCarricks Bescheid gewusst, aber nichts dagegen unternommen habe.

Beschwerde bereits 2015 erhalten

An McCarrick ein – reichlich spätes – Exempel statuieren und gleichzeitig dessen vermutlichen Mitwisser Farrell befördern: Franziskus' Personalentscheide geben Rätsel auf. Eine tickende Zeitbombe für Franziskus ist auch der Karrieresprung eines argentinischen Freundes: Ende 2017 hatte Franziskus den ehemaligen Bischof von Oran, Gustavo Óscar Zanchetta, auf einen eigens geschaffenen Posten in der Güterverwaltung des Vatikan gehievt. Kurz danach wurde bekannt, dass gegen Zanchetta in Argentinien wegen Missbrauchs ermittelt wird. Der Vatikan beteuert, von den Vorwürfen nichts gewusst zu haben – doch am 21. Februar enthüllte die argentinische Zeitung "El Tribuno", dass der Vatikan schon im Jahr 2015 eine entsprechende Beschwerde erhalten habe.

Die Liste fragwürdiger Beförderungen durch den Papst ist noch länger. Sie zeigt vor allem eines: Franziskus hat, obwohl er die Null-Toleranz-Politik seines Vorgängers Benedikt XVI. schon kurz nach seiner Wahl zum Papst bestätigt und bekräftigt hatte, das Ausmaß und die Tragweite des Missbrauchsskandals nie oder zumindest erst viel zu spät erkannt.

Verstärkt wurde dieser Eindruck auch beim Abschluss der Missbrauchskonferenz am vergangenen Sonntag, als der Papst die Kinderschänder in der Kirche zwar mit drastischer Wortwahl verurteilte ("ein Stein um den Hals und versenken"), aber keine konkreten Maßnahmen erwähnte, wie die Verbrechen und das Vertuschen bekämpft werden sollen.

Praxishandbuch und Taskforce

Franziskus will dies mit einem "Motu Proprio", einem päpstlichen Dekret, in Kürze nachholen, versicherte der Interims-Vatikansprecher Alessandro Gisotti nach der Konferenz. Die Glaubenskongregation wird eine Art Praxishandbuch veröffentlichen, das die Bischöfe auf der ganzen Welt über ihre Pflichten und Aufgaben bei der Missbrauchsbekämpfung aufklärt. Außerdem schwebt dem Papst die Schaffung einer Taskforce vor, die den Bistümern helfen soll, Minderjährige zu schützen.

Viel mehr ist noch nicht über die neuen Maßnahmen bekannt. Dafür weiß man etwas anderes: Das "Motu Proprio" wird über die Glaubwürdigkeit des Papstes bei der Missbrauchsbekämpfung und damit über sein ganzes Pontifikat entscheiden. (Dominik Straub aus Rom, 2.3.2019)