Daniel (Brian Tyree Henry) erzählt Fonny (Stephan James) von der Gewalt in den Gefängnissen.

Foto: Filmladen

Pures Liebesglück: Tish (KiKi Layne) mit Fonny (Stephan James).

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Eine Liebe, die sich ihren Raum erkämpfen muss: Barry Jenkins instruiert seine Darsteller KiKi Layne (v. li.) und Stephan James.

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Vor zwei Jahren hat Barry Jenkins' Coming-of-Age-Film Moonlight den Oscar für den Besten Film erhalten – es war die Gala des "Envelope-Gate", als der falsche Film genannt wurde. Mit seiner Verfilmung von If Beale Street Could Talk, dem 1974 erschienenen Roman von US-Autor James Baldwin, beweist Jenkins nun, dass er zu den begabtesten US-Regisseuren seiner Generation gehört. Elegischer noch als im Vorgängerfilm folgt Beale Street den Erinnerungen der rehäugigen Tish (KiKi Layne) an ihre erste große Liebe Fonny (Stephan James) im New York der 70er-Jahre. Das Leid und die Demütigungen, die Schwarze im Alltag erfahren, bleiben trotzdem gegenwärtig. Fonny wird über Nacht verhaftet und angeklagt, eine Frau vergewaltigt zu haben. Doch Jenkins adelt seine Protagonisten mit einer überhöhten Stilisierung, die sie gleichsam aus den Ketten der Fremdbestimmung katapultiert.

STANDARD: Sie haben einmal gesagt, James Baldwin sei für Sie eine "Schule des Lebens" gewesen. Sein Roman "Beale Street" ist zugleich emphatisch und analytisch. Nehmen Sie das auch für Ihre Filme in Anspruch?

Jenkins: Baldwin spricht immer den Verstand und die Seele an. Ich fand, dass man das gerade bei diesem Buch gut hören konnte. In seinen Essays ist seine Sprache so geschärft, dass man den Eindruck bekommt, er eröffnet ein Verfahren. In den Romanen geht es mehr um den Geist und die Seele. Beale Street erzählt eine Liebesgeschichte, aber weil es darin auch das Prozesshafte gibt, eine systemische Ungerechtigkeit, findet sich etwas von der essayistischen Stimme Baldwins darin.

STANDARD: Baldwin ist wieder in aller Munde. Ist er mit seinem dialektischen Denken der richtige Autor für diese verworrene Zeit?

Jenkins: Diese Denklust hat auf jeden Fall dazu beigetragen, dass sein Werk so relevant geblieben ist. Wenn man heute Baldwin liest, ist es zwar nicht dasselbe wie in den 60er- oder 70er-Jahren. Zugleich ist unsere Zeit nicht eklatant anders: Vieles, worüber Baldwin geschrieben hat, ist nach wie vor da. Rassistische Gewalt und Masseninhaftierung gibt es weiterhin. Es sollte uns beschämen, dass wir das nicht nur nicht in Ordnung gebracht haben, sondern es noch schlimmer werden ließen – wie ein Krebs, der weitermetastasiert.

STANDARD: Haben Sie daran gedacht, das Buch in die Gegenwart zu verlegen?

Jenkins: Habe ich, aber das war immer der Regisseur, nicht der Autor in mir. Es wäre viel einfacher, die Kamera in unsere Richtung zu halten, ohne sich über den Look Gedanken machen zu müssen. Zugleich wusste ich, dass ich dem Buch schon dadurch etwas hinzufüge, dass ich den Film 2017 realisiere. Es zeigt Kontinuitäten auf.

STANDARD: Der Film ist in von großer Schönheit, was Farben, Licht und Ausstattung betrifft. Ist die Ästhetisierung politisch?

Jenkins: Ehrlich gesagt hat sich das in Moonlight politischer angefühlt. Das Drogenmilieu kannte man nur als hässliches. Bei Tish ist nun vieles anders: Sie ist ein 18-jähriger Teenager mit reinem Blick auf die Welt. Der Modus des Buches ist die Erinnerung, das erste Date, der erste Sex – sie denkt an die besten Momente ihres Lebens zurück.

STANDARD: Durchaus leicht nostalgisch.

Jenkins: Er ist sogar extrem nostalgisch – in der Darstellung der Höhen wie der Tiefen. Die geraten sogar besonders düster. Denken Sie nur an Tishs Zusammentreffen mit dem Polizisten, er sieht wie eine Art Dämon aus. Die Figuren diktieren die Ästhetik.

Annapurna Pictures

STANDARD: Roman und Film reflektieren die Voreingenommenheit des Justizsystems. Wie haben Sie die Balance zwischen dem Intimen und dem Thematischen gefunden?

Jenkins: Kein Film kommt im Vakuum daher. Wir haben schon viele Darstellungen der Traumata von Schwarzen gesehen, sodass man nicht alles zeigen muss. Es gibt aber auch jenen Teil des Traumas, der als Gefühl bei dir bleibt. Deswegen ist die Szene mit Fonnys Freund Daniel so zentral, der von seiner Zeit im Gefängnis erzählt. Es ist wie in der Chemie: Manche Elemente haben eine andere Dichte als andere – das heißt, man braucht weniger davon, um die Balance zu finden. Die Liebe, die Nostalgie musste nicht exakt genauso viel Zeit in Anspruch nehmen wie das Leiden.

STANDARD: "Beale Street" ist auch ein Film über Frauen. Wollten Sie, wie ihn "Moonlight", von sozialen Masken erzählen?

Jenkins: Weniger direkt. Eine der Ideen ist simpel: Wir zeigen Liebe unter Schwarzen, die zärtlich ist. Diese Vorstellung, dass Schwarze Seelenverwandte sind, ist nicht neu. Das ist alltäglich, aber durch den Mangel an solchen Bildern wird es politisiert.

STANDARD: Sie scheuen bewusst Pathos nicht – auch nicht bei der gewaltigen Musik von Nicholas Britell.

Jenkins: Der Score sollte Tishs Erinnerungen begleiten und unterstützen. Eben entlang der hoffnungsvollen und der hoffnungslosen Nostalgie. Die Musik sollte reflektieren, was die Figuren fühlen, aber es nicht diktieren. Deswegen hat das auch so viel Spaß gemacht. Die Form des Films ist konservativ, die Musik und die Art, wie er fotografiert wurde, ist es nicht. Es ist furchtbar, das zu sagen: Aber es ist so wie Jazz.

STANDARD: Das ist doch nicht furchtbar!

Jenkins: Es wurde leider so oft gesagt, dass es zum Klischee wurde. Wir haben versucht, dem Lauf der Energien zu folgen. (INTERVIEW: Dominik Kamalzadeh, 2.3.2019)