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Die Proteste in Algerien blieben weitgehend friedlich, vereinzelt wurden aber Wasserwerfer eingesetzt.

Foto: AP / Fateh Guidoum

Algeriens 82-jähriger Staatspräsident Abdelaziz Bouteflika ist angezählt. Und nicht nur das, glaube viele Beobachter: Vielleicht erlebte er am Wochenende seine letzten Tage als Staatsoberhaupt. Spätestens seit Freitag ist klar, dass sich die überwiegend junge algerische Bevölkerung nicht mehr länger mit der Herrschaft des Präsidenten, dessen Amtsfähigkeit infrage steht, abfinden will.

Seit zehn Tagen dauern die Demonstrationen gegen sein semiautokratisches Regime bereits an, am Wochenende haben sie erneut massiven Zulauf erhalten. Sie haben sich zu einer Massenbewegung gemausert, die friedlich blieb und auch die Erwartungen von Opposition und Zivilgesellschaft übertroffen hat.

Nur keine Konfrontationen

Allein in der Hauptstadt Algier zogen hunderttausende Menschen durch die Straßen und forderten lauthals den bedingungslosen Rückzug des greisen Bouteflika von seiner Kandidatur für ein fünftes Mandat bei den für April geplanten Präsidentschaftswahlen. Sie wollen aber auch einen grundsätzlichen Systemwechsel. "Wir wollen eine zweite Republik", sagt der pensionierte Bankier Karim während der Proteste vor der Grande Poste im Herzen Algiers dem STANDARD. "Bouteflika und sein Mafiaclan rauben das Land seit 60 Jahren aus. Das ist doch nicht normal!", setzt der Mittfünfziger fort. Er redet immer weiter, aber verstehen kann man ihn nicht mehr, zu laut sind die Sprechchöre der hinter ihm den Platz hinaufziehenden Massen.

Bis zum späten Abend wurde weiter protestiert. Die Polizei feuerte in der Innenstadt zwar mehrfach Tränengas in die Menge, die Demonstranten reagierten darauf aber friedlich. Umkehren und die Route ändern war das Motto, keine Konfrontationen. Gewalt wurde sowohl von Protestteilnehmern als auch den Einsatzkräften weitgehend vermieden. Am Abend kam es lediglich nahe dem von der Armee bewachten Präsidentenpalast zu kurzen Ausschreitungen. Landesweit protestierten nach vorsichtigen Schätzungen bis zu drei Millionen Menschen gegen den seit 1999 amtierenden und kranken Staatschef. Er lässt sich seit Tagen in einem Genfer Krankenhaus behandeln.

Beharrliche Gerüchte

Während am Samstag nur in der Berberprovinz Kabylei östlich von Algier mobilisiert wurde, versammelten sich am Sonntag zehntausende Menschen auch an den Universitäten in Constantine, Sétif, Annaba, Blida, Algier und anderen Städten des Landes. Das Regime hatte am Samstag mit einem halbherzigen Manöver auf die Proteste reagiert und den Leiter von Bouteflikas Wahlkampfteam, Abdelmalek Sellal, ersetzt. Gerüchte über eine Entlassung des im Land verhassten und während der Demonstrationen massiv angefeindeten Premierministers Ahmed Ouyahia kochten derweil beharrlich weiter, sie wurden aber bis zum Nachmittag nicht bestätigt.

Wie es weitergeht, ist unklar. Am Sonntag lief die Frist für das Einreichen der für eine Kandidatur bei der Wahl notwendigen Dokumente ab. Über Bouteflikas Kandidatur hielt die Verwirrung am Sonntag an. Der Präsident schickte von Genf aus einen Anwalt vor, um seine Kandidatur zu bestätigen. Der Chef der Wahlkommission, Abdelwahab Derbal, sagte aber, der Kandidat müsse selbst seine Kandidatur anmelden.

Bouteflikas Angebot

In einem im Staatsfernsehen verlesenen Brief erklärte Bouteflika, wenn er bei der Präsidentenwahl am 18. April im Amt bestätigt werde, solle eine "nationale Konferenz" einen Termin für eine vorgezogene Wahl festsetzen, bei der er nicht mehr antreten werde.

Angesichts der andauernden Mobilisierung auf Algeriens Straßen wurde dennoch eine Verschiebung des Urnengangs immer wahrscheinlicher. Denn inzwischen fordern auch mehrere Oppositionsparteien sowie Mitglieder des oppositionellen und in der Zivilgesellschaft äußerst aktiven Jugendverbandes RAJ eine politische Übergangsphase.

Eine Rolle für den Geheimdienst?

Für Meriem Saïdani, führendes Mitglied der liberalen Oppositionspartei Jil Jedid (Neue Generation), steht unterdessen fest: "Es darf kein fünftes Mandat geben." Die Opposition müsse ihre Zusammenarbeit verstärken. "Seitdem am 22. Februar im Herzen Algiers ein Porträt Bouteflikas von Algeriern von einem Gebäude gerissen wurde, ist das Regime symbolisch am Ende", sagt der Parteichef von Jil Jadid, Soufiane Djilali, dem STANDARD. Ungeklärt bleibt derweil, ob, und wenn ja, in welcher Form der Geheimdienstapparat eine Rolle bei den Protesten spielt. Er war in den vergangenen Jahren von Bouteflikas Clan zurückgedrängt worden. Anzeichen, dass staatliche Behörden im Hintergrund auf einen Sturz Bouteflikas hinarbeiten und die Demonstrationen verdeckt anheizen, mehren sich. (Philip Sofian Naceur aus Algier, 3.3.2019)