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Berühmtes Vorbild: Für Joaquin Phoenix ist eine leichte Form der Lippenspalte zum Markenzeichen geworden.

Foto: Chris Pizzello/Invision/AP

Die kleinen Teilnehmer des LGKS-Camps und ihre Logopädinnen.

Foto: Sonneninsel Seekirchen

Die Sonneninsel ist ein Nachsorgezentrum für Familien. Beim Camp für Kinder mit Lippen-Kiefer-Gaumenspalten sind die Bobbycars ein großes Highligt.

Foto: Redl

Das Camp gibt Eltern und Kindern Mut und hilft beim Durchstarten.

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"Ki-ssen, So-cken, Ki-ssen, So-cken, Ki-ssen, So-cken", tönt es aus dem Turnsaal. Eine Gruppe von Kindern und Erwachsenen sitzt im Kreis auf dem Boden, immer wieder sagen sie die beiden Wörter laut vor sich her. Auch aus einer anderen Richtung klingt ein Sprechvers, der mehrmals wiederholt wird, er geht so: "Hexe Minka, Kater Pinka, Vogel Fu, 'raus bist du!"

Hier, in der Sonneninsel in Seekirchen am Wallersee lernen Kinder sprechen. Sie alle haben eine Lippen-Kiefer-Gaumenspalte (LKGS) und üben gemeinsam mit Logopädinnen Laute, mit denen sie sich noch schwertun – etwa Sch, N, F oder P.

Mit der angeborenen Fehlbildung kommt eines von 500 Neugeborenen zur Welt. Sie entsteht, wenn sich beim Embryo Teile des Mundes nicht normal entwickeln. Bei den Betroffenen sind Oberlippe, -kiefer und Gaumen teilweise oder komplett von einem Spalt durchzogen. Die Lippenspalte wurde früher Hasenscharte genannt, Betroffene empfinden diesen Begriff aber als diskriminierend.

Jährlich im Jänner kommen betroffene Kinder zwischen fünf und zehn Jahren mit ihren Eltern für eine Woche in die Sonneninsel, um an ihrer Sprache zu arbeiten. Zwei der Kinder sind der achtjährige Valentin und die sechsjährige Luise. Für sie ist das Camp mehr wie ein Urlaub, erzählen ihre Mütter. Es geht hier aber auch um Erholung. Die Bobbycars sind der große Renner. Brumm, brumm – vor dem Mittagessen drehen die kleinen Fahrer noch schnell ein paar Runden. Mit lautem Freudengeschrei und lachenden Gesichtern wird überholt, gebremst und sich in die Kurve gelegt.

Sprechen üben

70 Prozent der Kinder mit LKGS brauchen eine Sprachtherapie, weiß die Logopädin Caroline König vom Uniklinikum Salzburg, die das Camp leitet. Ziel sind beste Sprachvoraussetzungen bei der Einschulung, denn betroffene Kinder können viele Laute nicht bilden, Vokale klingen oft nasal, ihre Sprache ist unverständlich. "Wir haben drei Fachärzte gebraucht, um herauszufinden, warum das Kind so komisch redet", sagt Iris. Sie ist die Mama von Luise und selbst Ärztin. Ihre Tochter hat eine verdeckte, also nicht sofort sichtbare Gaumenspalte, die oft spät erkannt wird.

Im niedergelassenen Bereich gibt es zu wenig Kassenlogopäden und solche, die auf LKGS spezialisiert sind. Oft haben die Familien eine weite Anreise, oder die Kinder haben nur alle zwei Wochen einen Termin bei der Logopädin. Da sei es schwer, eingefahrene Muster zu überschreiben, so König. Es sind daher meist Mama und Papa, die mit den Kindern die Sprechübungen machen. Das Camp in der Sonneninsel ist auch für sie ein Auffrischen von Lerninhalten, die mit dem Kind geübt werden müssen.

Die Woche steigert auf jeden Fall die Lernmotivation bei Eltern und Kindern, so König. Neben Einzelsitzungen gibt es Gruppentherapien, die – das haben Studien gezeigt – besonders viel bringen. "Es ist für die Kinder befreiend zu sehen, dass es auch andere gibt, die nicht perfekt sprechen oder anders aussehen. Durch das Reden vor der Gruppe fühlen sie sich sicher, das Selbstbewusstsein steigt", so König.

Rundum betreut

Zum Programm in der Sonneninsel gehören neben den klassischen Therapien auch kreative Beschäftigungen wie Papierschöpfen, Drachenbauen oder Tonarbeiten anfertigen. "Das haptische Gestalten wirkt positiv auf das Sprachzentrum im Gehirn", sagt der Geschäftsführer der Sonneninsel, Thomas Janik. Das Haus ist Eigentum der Salzburger Kinderkrebshilfe. Im Nachsorgezentrum gibt es keine Ärzte und Pfleger, dafür Psychologen, Psychotherapeuten und Pädagogen. Zur Nachsorge kommen Familien mit Kindern, die an Krebs, Rheuma, Herzfehlern oder LGKS leiden. Alle Angebote haben eines gemeinsam: "Bei uns diktiert nicht das Mitleid den Alltag. Man muss sich nicht erklären", sagt Janik.

Das kennt auch Meike, ihr Sohn Valentin hat eine Gaumenspalte: "Hier sagt nie jemand 'Warum sprichst du so komisch?' oder 'Ich habe dich nicht verstanden'."

Während Valentin in Therapien ist, geht seine Mama spazieren, liest Bücher oder tratscht mit anderen Eltern. "Für mich ist es ein Rauskommen aus dem Alltag", sagt sie. Auch für die Eltern ist das Camp enorm wichtig, weiß Logopädin König. "Es ist angenehm, Erfahrungen auszutauschen und zu hören, dass man nicht alleine ist", sagt Luises Mama Iris.

Selbst zahlen müssen

Beide Mütter kritisieren, dass die Kosten für das Camp in der Sonneninsel nicht von den Krankenkassen übernommen werden. Nur zwei Familien haben einen Zuschuss erhalten. Die eine Hälfte, rund 800 Euro, muss jede Familie selbst bezahlen, die andere Hälfte wird von einem Spendenkonto der Salzburger Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie übernommen. Dass die Kassen kaum zuzahlen, ist für die Mütter unverständlich: "So viele Menschen dürfen regelmäßig auf Kur fahren. Aber Kinder, die ihre Zukunft noch vor sich haben, für die eine gute Sprache extrem wichtig ist, bekommen nichts."

Draußen auf der Rennbahn ist es indes ruhig geworden. Nach dem Mittagessen werden die Bobbycars in den Turnsaal gesperrt und damit wird Eltern, Therapeuten und Kindern eine Ruhepause gegönnt, erklärt König, quasi Boxenstopp für Bobbycars. (Bernadette Redl, 5.3.2019)