Bild nicht mehr verfügbar.

Premier Li Keqiang.

Foto: AP Photo/Andy Wong

Um den Zustand der Wirtschaft in China ist es schlecht bestellt. So schlecht, dass Premier Li Keqiang nicht nur das Wachstumsziel für 2019 um einen halben Prozentpunkt auf eine Bandbreite zwischen sechs und 6,5 Prozent absenken musste. Li, der mit seinem Rechenschaftsbericht am Dienstag den zehntägigen Volkskongress eröffnete, nahm sich auch kein Blatt vor den Mund, um seine Landsleute zu warnen. Wachsende Risiken aus dem Aus- und Inland bedrohten Chinas Wirtschaft. "Instabilität und Unsicherheit nehmen sichtbar zu", sagte Li. "Nur, wer sich der Gefahren bewusst wird, kann sicher damit umgehen."

Das waren ungewohnte Töne für das sozialistische Parlament. Noch in keinem Regierungsbericht wurde so oft über Risiken und potenzielle Probleme gesprochen wie in Lis 115 Minuten langer Rede. Die knapp 3.000 Abgeordneten in der Großen Halle des Volkes applaudierten nur verhalten. China, so der Premier, hätte sich im vergangenen Jahr mit 6,6 Prozent Wachstum behaupten können, aber in einem so "komplizierten Umfeld, wie es das selten zuvor erlebte. Seine Wirtschaft ist unter erneuten Abwärtsdruck geraten."

Schockzustände

Der werde auch 2019 unvermindert anhalten. Der Premier gestand erstmals öffentlich ein, dass sich die Lage seines Landes durch den Handelsstreit mit den USA "verkompliziert" habe. "Rückschläge bei der wirtschaftlichen Globalisierung, Herausforderungen für den Mulilateralismus, Schockzustände auf den internationalen Finanzmärkten und besonders die Wirtschafts- und Handelsstreitigkeiten mit den USA wirkten sich negativ auf die Produktion und Business-Operationen etlicher Unternehmen und auf die Markterwartungen aus."

Auch die USA lecken inzwischen ihre Wunden. Ein neuer Report von Ökonomen der New Yorker Notenbank und aus den Universitäten Princeton und Columbia, den Hongkongs "South China Morning Post" am Dienstag veröffentlichte, rechnet die Verluste von US-Unternehmen und Verbraucher nach einem Jahr Strafzölle auf monatlich 4,4 Milliarden US-Dollar hoch. Der Handelsstreit, den US-Präsident Donald Trump und Staatschef Xi Jinping auf ihrem für den 27. März vereinbarten Gipfeltreffen in Florida beizulegen hoffen, hat beide Seiten zu Verlierern gemacht.

Worüber nicht geredet wird

In Lis Rede kam Kritik an den USA bewusst nicht vor, ebenso wenig ging er auf den Telekomriesen Huawei ein, den die USA zu Fall bringen wollen. Die früher schon in Regierungsberichten vor dem Volkskongress stiefmütterlich abgehandelte Außenpolitik ließ Li ganz aus, trotz Pekings globaler Expansion und seiner territorialen Ambitionen im Südchinesischen Meer. Er erwähnte auch Chinas umstrittene Industriepolitik 2025 nicht mehr. Die USA werfen Peking vor, chinesische Unternehmen mit staatlichen Subventionen gezielt weltweit Hightech-Unternehmen aufkaufen zu lassen. Sie nennen den Plan 2015 eine der Ursachen für ihren Handelsstreit mit China.

Peking will sein heikles Verhältnis mit den USA nicht unnötig belasten, Li sagte es anders: China müsse sich darauf konzentrieren, zuerst einmal seine eigenen Hausaufgaben gut zu machen. Der Premier zählte dazu eine lange Liste der Schwachstellen in Chinas Binnenentwicklung auf. Konsum und effektive Investitionstätigkeit würden viel zu schwach wachsen. Die Innovationsfähigkeit sei "nicht groß"; die "Kerntechnologien für Schlüsselfelder" hätte China nicht im Griff. Es gebe noch "viele Risiken und versteckte Gefahren", bei den kommunalen Haushaltsdefiziten oder im Finanzbereich, bei der Armutsbekämpfung und im Umweltschutz. Auch seien die Schwierigkeiten, die Privatfirmen immer noch haben, um ihre Geschäfte zu finanzieren, "nicht gelöst. Das Geschäftsklima hinkt den Erwartungen hinterher." Im sozialen Bereich gebe es "im Volk Unzufriedenheit". Die zeige sich auf vielen Gebieten im Erziehungs- und Gesundheitswesen, in der Altenpflege, bei Wohnungen, mit der Nahrungs- und Arzneimittelsicherheit und der ungleichen Einkommensverteilung.

Eingeschränkte Optionen

Sehr viel Handlungsoptionen zum Ankurbeln der Konjunktur bleiben Peking nicht. Li sprach sich gegen eine Neuauflage finanzieller Anreize oder massiver Staatsinvestitionen in Infrastrukturprojekte aus, mit denen Chinas Regierung einst die Wirtschaft beleben ließ. Li setzt stattdessen auf Steuererleichterungen, darunter auf reduzierte Mehrwertsteuern etwa für verarbeitende Industrien und auf weniger Sozialversicherungsabgaben zur Entlastung der Unternehmen. Nach planwirtschaftlicher Denke verordnet er zugleich den staatlichen Geschäftsbanken, 2019 30 Prozent mehr Kredite an Kleinunternehmen und Start-ups vergeben zu müssen. Strom- und Telekomunternehmen sollen ihre Elektrizitäts- und Internetpreise um bis zu 20 Prozent. So soll die Wirtschaft wieder Schwung gewinnen.

Der an der Tsinghua-Universität lehrende Finanzökonom Zhu Ning nannte es ermutigend, dass Li auf Steuerreduktionen setzt statt auf Finanzsubventionen. Seine Maßnahmen kämen direkt Wirtschaft und Konsum zugute. Chinas Regierung habe ihre Lektion gelernt, Schulden abzubauen statt anzuhäufen. Daher wolle Li auch die Staatsverschuldung nur vorsichtig um 0,2 Punkte auf 2,8 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erhöhen, mit Sicherheitsabstand vor der kritischen Drei-Prozent-Grenze.

Mehr Marktzugang

Vor allem verspricht Li, ohne allerdings neue Maßnahmen zu nennen, Auslandsinvestoren mehr Marktzugang zu verschaffen. China werde für einen fairen Wettbewerb, dem "Herz der Marktwirtschaft", die notwendigen Bedingungen schaffen. Es werde "Alleininvestoren noch mehr Sektoren öffnen", die Bereiche auf der "Negativliste" mit Unternehmen, in die Ausländer bisher nicht investieren durften, weiter verringern. Peking werde international übliche Handelsregeln akzeptieren und überall die Bürokratie abbauen und vereinfachen. "Jegliche Anforderungen für Regierungsgenehmigungen, die aufgehoben werden sollten, werden auch aufgehoben."

Chinas Staatsindustrie (SOE), deren Sonderbehandlung und Subventionierung durch Peking zum Nachteil der privaten Industrie auch von Europas Wirtschaft kritisiert wird, will Li über Reformen "stärker und gesünder" machen. Alle Unternehmen, egal welche Eigentumsform sie besitzen, würden künftig "gleichberechtigt behandelt". Der Staat übe sich in "kompetitiver Neutralität", wenn es um ihren Zugang zu Produktionsfaktoren, Märkten, Lizenzen, Staatsausschreibungen oder um Zuschläge bei öffentlichen Geboten geht.

Neues Gesetz

Li ging nicht auf das neue Gesetz für Auslandsinvestitionen ein, über dessen Entwurf der Volkskongress kommenden Sonntag debattieren und über das er am 15. März abstimmen soll. Es ersetzt die drei bisherigen Gesetze für Auslandsinvestoren und garantiert ihnen rechtlich gleichberechtigten Zugang zu Chinas Markt und soll ihr geistiges Eigentum schützen helfen. Es verbietet auch Provinzen, Auslandsinvestoren zum Technologietransfer zu zwingen. Peking hofft mit dem im Eilverfahren durchgewinkten Entwurf und seiner Verabschiedung als Gesetz, den Nachweis zu erbringen, dass China zu strukturellen Wirtschaftsreformen fähig und bereit ist. Das ist eine der Forderungen der USA zur Beendigung des Handelsstreits. Die EU-Wirtschaftskammer in Peking bedauert, dass das an sich begrüßenswerte Gesetz durch solches Kalkül entwertet wird. (Johnny Erling aus Peking, 5.3.2019)