An der größten außeruniversitären Forschungseinrichtung Österreichs, der ÖAW, ist der Frauenanteil mit unter 20 Prozent der Mitglieder immer noch besonders gering. Auf Initiative mehrerer weiblichen Mitglieder wurden zur Gesamtsitzung am Weltfrauentag vier junge Wissenschafterinnen geladen, um Einblicke in ihre Forschungen zu geben und zum Stand der Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft zu diskutieren. Notburga Gierlinger (Biophysik, Universität für Bodenkultur Wien), Barbara Kraus (Theoretische Physik, Universität Innsbruck), Katharina Rebay-Salisbury (Institut für Orientalische und Europäische Archäologie, ÖAW), und Saskia Stachowitsch (Politikwissenschaften, Universität Wien) werden am Podium erwartet. Die Moderation übernimmt Sonja Puntscher Riekmann, Leiterin des Salzburg Centre of European Union Studies der Universität Salzburg.

Gleichstellung der Geschlechter in der Wissenschaft

Lange Zeit waren viele von uns optimistisch. Geschlechtergerechtigkeit in der Wissenschaft schien fast erreicht, niemand zweifelt mehr ernsthaft an den kognitiven Leistungen von Frauen, die historischen Forschungsleistungen von Frauen werden wiederentdeckt und gewürdigt, viele Entscheidungsträgerinnen und -träger unterstützen Frauen aktiv in ihren Karrieren und Quotenregelungen (ja, Quote wirkt!) ließen die Zahlen von Frauen in der Wissenschaft nach oben schnellen.

In Österreich lag 2015 der Bevölkerungsanteil der Frauen mit einem tertiären Bildungsabschluss mit 26 Prozent deutlich über jenem der Männer mit 18 Prozent, unter den Studierenden waren 52,9 Prozent Frauen und unter dem wissenschaftlichen Personal an Universitäten 40,6 Prozent. Doch unter den Professorinnen und Professoren waren lediglich 22,6 Prozent Frauen – immerhin ein Fortschritt gegenüber beschämenden sechs Prozent im Jahr 2000, aber immer noch sehr viel Luft nach oben. Handelt es sich lediglich um ein historisches Problem, dass sich durch den Alterungsprozess der Gesellschaft auf biologischem Wege von selbst lösen wird?

Leider nein. In der entscheidendsten Karrierephase, der Postdoc-Phase nach dem höchsten Bildungsabschluss, kommen der Wissenschaft auch heute noch überdurchschnittlich viele Frauen abhanden. Das hat zum einem gesamtgesellschaftliche, zum anderen auch wissenschaftsinterne Gründe. Der Gesellschaft allgemein geht ganz nebenbei ein unglaubliches kreatives Schaffenspotential verloren. 2017 betrug die Frauenquote in Wissenschaft und Technik in Österreich nur 34 Prozent (EU Durchschnitt: 41 Prozent). Und bevor sich eine zunehmende Gleichstellung tatsächlich in den Zahlen widerspiegelt, scheint es wieder bergab zu gehen. Immer häufiger fühlen sich nun Männer, potentiell wohlwollende Verbündete, durch spezifische Frauenförderungen benachteiligt und in ihren Karrieren behindert. Wo liegen also die Probleme?

In Österreich beträgt die Frauenquote im Wissenschaftsbereich nur 34 Prozent.
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Vereinbarkeit als Karrierehindernis

Ein Themenkomplex ist die Vereinbarkeit von Forschung und Familie. Studien des Instituts für Demografie der ÖAW belegen, dass sich Frauen in der Wissenschaft genauso häufig wie in anderen Berufen Kinder wünschen – im Idealfall zwei. Forschung ist zeitintensiv, Mobilität ist nicht mehr nur ein Bonus, sondern eine absolute Voraussetzung für eine wissenschaftliche Karriere, und nicht zuletzt ist gerade die Postdoc-Phase von großer finanzieller Unsicherheit geprägt.

Im deutschsprachigen Raum ist nicht nur die Studiendauer besonders lange, sondern es fehlen weitgehend Tenure-Track-Angebote, die dauerhafte Beschäftigungsverhältnisse zum Ziel haben. Zwischen 30 und 40 von einem befristeten Job auf den nächsten, wohlmöglich in einer anderen Stadt, einem anderen Land, ohne Unterstützung der eignen Familie und der sozialen Netzwerke – das sind keine guten Voraussetzungen, Kinder in die Welt zu setzten. Kein Wunder, dass ein Teil der Frauen die Wissenschaft verlässt, um eine Familie zu gründen, während ein anderer Teil lieber auf Kinder verzichtet. Während 30% aller Frauen in Österreich mit Universitätsabschluss kinderlos sind, steigt der Anteil bei Wissenschafterinnen und Professorinnen auf etwa 45 Prozent.

Natürlich wird es in einer freien Gesellschaft auch weiterhin Aussteigerinnen und Aussteiger geben, die der Wissenschaft den Rücken kehren und neue Wege finden. Zum Feminismus gehört auch diese Entscheidungen von Frauen anzuerkennen und wertzuschätzen. Schließlich ist, wer die Wissenschaft verlässt, noch lange nicht gescheitert. Oft sind es die besten Köpfe, die bessere Chancen sehen, sich außerhalb der bestehenden Strukturen zu entfalten und etwas bewegen zu können.

Wissenschaft als Mutter

Kann man gleichzeitig eine gute Wissenschafterin und den Kindern eine gute Mutter sein? Ohne private und strukturelle Unterstützungen geht es schwer. Partner, die mitanpacken, Großeltern, die einspringen, und/oder bezahlte Hilfe sind unverzichtbar. Zeit für Sport, Freunde und Freizeit? In zehn Jahren dann wieder. Und vielleicht muss man sich damit begnügen, als Mutter gerade gut genug zu sein.

Dabei hat Wissenschaft auch ihre familienfreundlichen Seiten. Neben der orts- und zeitgebunden Labor- und Feldarbeit beziehungsweise Lehre lassen sich Analyse, Schreiben und Recherchen fast überall flexibel erledigen. Mit schnellem Internet und Laptop ausgestattet lässt sich Forschung im Homeoffice um die Zeitbedürfnisse der Kinder planen.

Das Leben mit Kindern ist abwechslungsreich und ein guter Ausgleich zur Forschung. Selbst Mutter zu werden war für meine Forschungen zu Mutterschaft in der Urgeschichte eine wichtige Inspiration. Meine Kinder besuchen gerne archäologische Ausgrabungen und kennen sich schon ganz gut mit menschlichen und tierischen Skeletten aus. Sie sind auch liebend gerne bei Veranstaltungen dabei, bei denen Forschung kindgerecht vermittelt wird. Wissenschaft ist für Kinder spannend.

Kinder aufzuziehen bringt für mich persönlich eine Perspektive auf das Wesentliche, auf das, was im Leben wirklich zählt. Es ist gut, wenn Wissenschafterinnen und Wissenschafter die Probleme des Alltags und der Gesellschaft im Auge behalten, um sich nicht zu sehr davon abzuheben. Kinder führen einem täglich vor Augen, dass Argumente und Logik nicht immer zählen, und dass Emotionen viel im Leben bestimmen. Das ist besonders wichtig in einer Zeit, in der "Fake News" die Meinungsbildung dominieren und wissenschaftliche Argumentation nur mehr als einer von vielen möglichen Standpunkten wahrgenommen wird.

Was braucht es für Vereinbarkeit?

Ein zentraler Punkt in der Frauenförderung müssen also Maßnahmen sein, Familie und Forschung vereinbaren zu können. Von Elternfreundlichkeit profitieren übrigens auch Männer. Schließlich wollen heute zum Glück auch immer mehr Männer das Aufwachsen ihrer Kinder aktiv erleben und ihren Beitrag leisten. Der deutschsprachige Raum ist aber immer noch von einem konservativen Familienmodell geprägt, in dem ein Partner in Vollzeitbeschäftigung das Familieneinkommen sichert, während der andere sich um die Kinder und den Haushalt kümmert, und maximal Teilzeit arbeitet.

Eine kürzlich veröffentliche Studie belegte, wie Mutterschaft finanziell bestraft wird. Frauen erleben einen großen, unmittelbaren und langanhaltenden Einkommensrückgang nach der Geburt des ersten Kindes, während Männer im Wesentlichen nicht betroffen sind. In Österreich verdienen Frauen zehn Jahre nach einer Geburt im Durchschnitt 51 Prozent weniger als vorher.

Lernen kann man von anderen Ländern mit größerer Gleichberechtigung, etwa dem skandinavischen Familienmodell. Flexibilität in der Arbeitsorganisation und die Möglichkeit für beide Eltern ein wenig zurückzustecken, ohne gleich wichtige Berufschancen zu verpassen, sind wichtige Punkte. Dringend benötigt werden ausreichende, qualitätsvolle Betreuungsplätze für Kleinkinder, Ganztagsschulen und eine Anpassung der Ferienzeiten der Kinder an den Urlaubsanspruch berufstätiger Eltern.

Eine neue Forschungskultur

In der Wissenschaft selbst ist eine neue Forschungskultur mit flacheren Hierarchien gefragt, in der Entscheidungsträgerinnen und – träger sich auf das Team konzentrieren, anstatt die eigene Karriere auf Kosten anderer voranzutreiben. Wachstumsdenken, um Fähigkeiten aller weiterentwickeln zu können und Fehler als Lernmöglichkeit sehen, ist noch nicht überall in der Forschung angekommen. Doch gerade Wissenschaft profitiert von einem "Growth-Mindset". Teams mit mehr Diversität – und nicht nur ausschließlich Geschlechterdiversität – sind nachweislich kreativer. Sensibilisierung, offene Kommunikation und Reflexion über Machtverhältnisse, die häufig eine Geschlechterkomponente beinhalten, sind laufend notwendig.

Nicht zu unterschätzen ist auch, dass die Vereinbarkeit von Forschung und Familie Vorbilder, Unterstützung und Ermutigung braucht. In meinen Post-doc-Stellen in Cambridge und Leicester hatte ich ganz wunderbare Frauen als Vorgesetzte, die nicht nur erfolgreiche Professorinnen sind, sondern daneben auch jeweils zwei beziehungsweise drei Kinder großgezogen haben. Als ich sechs Monate nach der Geburt wieder eingestiegen bin, war es kein Problem, die Hälfte des Tages zuhause zu arbeiten und meinen Sohn auf Konferenzreisen mitzunehmen.

Damit Eltern an wissenschaftlich-sozialen Events und Netzwerken teilnehmen können, sollten sie zeitlich innerhalb der normalen Arbeitszeit geplant sein, am besten als Frühstück oder zu Mittag. Pünktlicher Arbeitsschluss muss problemlos möglich sein. Wichtige Fachvorträge sind leider immer noch häufig als Abendveranstaltung geplant, was Eltern junger Kinder ausgrenzt.

Die gläserne Decke

Vereinbarkeit ist nicht das einzige Problem, mit dem Frauen zu kämpfen haben. Obwohl Frauen bei akademischen Abschlüssen und wissenschaftlichen Anstellungen mittlerweile deutlich aufgeholt haben, ist es immer noch nicht gelungen, einen akzeptablen Anteil von Frauen in wirkliche Führungspositionen zu bringen. In Spitzenpositionen liegt der Frauenanteil nur noch bei etwa 20 bis 25 Prozent. Es gibt etwa 22,6 Prozent weibliche Professorinnen an den Universitäten. In Leitungsfunktion der ÖAW (Institutsdirektorinnen, Gruppenleiterinnen) sind Frauen zu 25,5 Prozent vertreten. Das Institut für Orientalische und Europäische Archäologie, an dem ich arbeite, ist eine Ausnahme, ein positives Beispiel: es hat nicht nur eine Direktorin, sondern auch die Gruppenleitungen sind je zur Hälfte mit Frauen und Männern besetzt.

Im Direktorium der Jungen Akademie entspricht der Frauenanteil dem üblichen Männeranteil auf Führungsebene.
Foto: ÖAW/Jacqueline Godany

Hochwertige Grants des Europäischen Forschungsrates sowie der START und Wittgensteinpreis des FWF waren an der ÖAW im Jahr 2017 mit 39 männlichen und 10 weiblichen Projektleiterinnen und Projektleiter besetzt. Europaweit waren nur 26 Prozent aller ERC Antragstellerinnen und Antragssteller weiblich, 23 Prozent haben ihren Grant auch tatsächlich bekommen. Auch beim FWF ist nur eine von vier Antragstellerinnen und Antragssteller weiblich. Statt mit spezifischen Frauenprogrammen will der FWF in Zukunft mit gleichen Bewilligungsquoten für Männer und Frauen gegensteuern.

Trauen sich Frauen also immer noch zu wenig zu? Frauen leisten viele der langwierigen, arbeitsintensiven Arbeiten im Hintergrund, während Männer schwierige Themen wählen, die auch zu größerer Medienpräsenz führen. Bescheidenheit ist in der Wissenschaft aber nicht unbedingt angebracht. Um Selbstbewusstsein zu trainieren, sowie Wertschätzung und Respekt einfordern zu lernen, sind Personalentwicklungs- beziehungsweise Mentoringprogramme nützlich. Diese werden von vielen Universitäten und der ÖAW auch bereits angeboten und sind überdurchschnittlich häufig von Frauen besucht.

Doch offensichtlich ist der Pool der hochqualifizierten Frauen, von dem rekrutiert werden kann, immer noch zu klein, was nur durch spezifische Frauenförderung in der Post-doc-Phase ausgeglichen werden kann. Der Hinweis, den man oft liest, dass bei gleicher Qualifikation eine Frau zu bevorzugen sei, erübrigt sich in dieser Karrierestufe. Die Leistungen sind kaum mehr objektiv vergleichbar, und die Zuschreibung von Qualifikation wird zum Machtmittel.

Offene Diskriminierung von Frauen mag zum Glück selten geworden sein, doch Alltagssexismus und Denken in männlichen Normen sind längst nicht überwunden. Persönliche Netzwerke und Seilschaften sind immer noch ganz wesentlich für die Berufungen auf Spitzenpositionen und für Plätze in unterschiedlichen Gremien. Im Zweifelsfall trumpfen Fachinteressen und männlich dominierte Netzwerke über alle Gleichbehandlungs- und Diversitätsbestrebungen.

Wille und Maßnahmen sind gefragt

Will man den Frauenanteil in der Wissenschaft erhöhen, um das kreative Forschungspotential hervorragend ausgebildeter Frauen entsprechend zu nutzen, braucht es einen klaren Willen in der Führungsebene und strukturelle Strategien. Ein ermutigendes Umfeld und Maßnahmen zur besseren Vereinbarkeit von Wissenschaft und Betreuungspflichten sind zentrale Anliegen. Talente frühzeitig zu erkennen und ihnen langfristige Karriereperspektiven zu bieten, könnte dem verfrühten Ausstieg von Frauen entgegensteuern. Zur Erhöhung des Frauenanteils in Spitzenpositionen sind Quoten nachweislich wirksam. Doch es gibt auch alternative Instrumente, wie etwa die Schaffung einer zusätzlichen Position für eine Frau bei jeder männlichen Besetzung – bis Gleichstellung erreicht ist. (Katharina Rebay-Salisbury, 8.3.2019)