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Ebrahim Raisi während des Wahlkampfs 2017: Er verlor gegen Rohani, wurde jedoch starker Zweiter.

Foto: Reuters / Tima Agency

Iran hat einen neuen Justizchef, und das bedeutet einen weiteren Schritt im Aufstieg eines 58-jährigen Klerikers, der immer öfter als möglicher Nachfolger des religiösen Führers Ali Khamenei genannt wird. Ebrahim Raisolsadati – genannt Raisi – ist seit 2016 der Chef der milliardenschweren Astan-e-Quds-e-Razavi-Stiftung, die den Schrein des sechsten schiitischen Imams, Reza, in Mashhad verwaltet. 2017 unterlag er bei den Präsidentschaftswahlen zwar dem Amtsinhaber Hassan Rohani, bekam aber immerhin 16 Millionen Stimmen (38 Prozent).

Raisis Ernennung beweise nicht nur die Macht der Hardliner, sondern bediene auch die Interessen der "frommen Stiftungen", besonders jener in Mashhad, sagt der Iran-Experte in der Landesverteidigungsakademie in Wien, Walter Posch, zum STANDARD. Gemeinsam mit seinem Schwiegervater Ahmed Alamolhoda, dem Freitagsimam von Mashhad und Khameneis Repräsentant in der Provinz Razavi-Khorazan, gilt Raisi als Opponent gegen Rohanis Politik des Pragmatismus und der vorsichtigen Öffnung.

Zu Rohanis Wirtschaftsprogramm gehörten Reformen, die auf mehr Transparenz abzielten und dadurch den opaken Raum, in dem die Stiftungen operieren, eingeschränkt hätten. Durch ihre Steuerfreiheit verzerren die Stiftungen den Wettbewerb, so Posch.

Gemischte Reaktionen

"Al-Monitor" weist jedoch in einem Artikel auf Reaktionen in der Richterschaft und von Reformpolitikern nach Raisis Ernennung hin, die tendenziell positiv ausfallen: Von Raisi sei zu erwarten, dass er die Korruptionsbekämpfung auf Trab bringt, wird etwa der Parlamentarier Mahmud Sadeghi inhaltlich zitiert. Vielleicht können sich die geschwächten Reformer eine neue Front mit den Hardlinern aber auch einfach nicht leisten, analysiert der anonyme Autor des Artikels. Seit dem Austritt der USA aus dem Atomdeal hat Rohani – der auch immer wieder als möglicher Khamenei-Nachfolger genannt wurde – durch die Wirtschaftskrise stark an Ansehen eingebüßt.

Im Ausland wurde die Ernennung Raisis kritisiert, was auch mit mehr als dreißig Jahre zurückliegenden Ereignissen zu tun hat. 2016 wurde vom Sohn des 2009 verstorbenen Großayatollahs Hossein Ali Montazeri, Ahmed, ein Tondokument veröffentlicht, auf dem sein Vater Raisi als einen der vier Verantwortlichen für die Massenhinrichtungen von Oppositionellen 1988 nennt. Montazeri, zuvor engster Mitstreiter Khomeinis, wandte sich wegen des "größten Verbrechens in der Islamischen Republik", wie er es nannte, vom Regime ab.

Sondergericht für Klerus

Der junge Raisi war damals Vizestaatsanwalt. In den Jahren danach bekleidete er viele Posten in der Justiz. 2012 wurde er auch Chef des Sondergerichtshofs für den Klerus, der sich mit Verstößen von Geistlichen befasst. Und von diesem Gericht wurde Ahmed Montazeri 2016 wegen der Veröffentlichung des erwähnten Tonbands zu 21 Jahren Haft verurteilt, die später auf sechs reduziert wurden (er kam jedoch bald frei).

Raisi, ein Seyyid – er trägt einen schwarzen Turban, was ihn als Nachkommen des Propheten Mohammed erkenntlich macht –, hat gute Beziehungen zu den Revolutionsgarden, die ja auch als wirtschaftliche Macht aufgestiegen sind – und von den Sanktionen profitieren. Raisi hat in seinem Wahlkampf 2017 die "Widerstandswirtschaft" beschworen und ist auch ein Vertreter der iranischen Interventionspolitik in der Region, der "Achse des Widerstands", in der Syrien eine wichtige Rolle spielt. Geld aus den Stiftungen fließt dort an die Iran-abhängigen Milizen.

Schwiegervater Alamolhoda hingegen erlangte Berühmtheit über den Iran hinaus, als er in Mashhad Konzerte, die zuerst von den Behörden genehmigt worden waren, verbieten oder von Schlägertrupps stürmen ließ.

Experten wie Posch sind gemeinhin sehr vorsichtig, was Voraussagen für die Zukunft nach dem Tod Khameneis betrifft, der im Sommer 80 Jahre alt wird und eine Krebsoperation hinter sich hat. Auch wenn er versucht, Weichen für seine Nachfolge zu stellen, so schließt das völlig andere Dynamiken nicht aus.

Würde sich der Expertenrat nicht auf eine Person einigen können, dann würde eine provisorische Führung gebildet, in der sowohl der Präsident als auch der Justizchef sitzen, also momentan Raisi und Rohani. Khamenei hat nun aber ein neunköpfiges Komitee ernannt, das innerhalb der nächsten drei Jahre Vorschläge erarbeiten sollte. Es solle drei Personen auswählen und vorschlagen, sagte der Freitagsimam von Isfahan, Ayatollah Yusuf Tabatabai-Nejad, in einem Interview mit der Nachrichtenagentur Isna. Im Allgemeinen ist das Thema Khamenei-Nachfolge ein Tabu, und die Isna-Meldung wurde von anderen Medien nicht einmal aufgegriffen. (Gudrun Harrer, 7.3.2019)