Vea Kaisers Prosa-Kost: Sie weiß alles über Familien und noch mehr übers Kochen.

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Lorenz Prischinger, Online-Shopping-süchtiger Nachwuchsschauspieler aus dem hippen 7. Wiener Bezirk, ohne Engagement, dafür mit Steuer- und Sozialversicherungsschulden, kriegt die Miete nicht mehr zusammen. Außerdem ist seine Stephi, die als Altphilologin einen Job an der Uni in Heidelberg ergattert hat, mit dem Flo abgebogen. Der lauscht nun mit ihr Vorträgen von Glenn W. Most (!), einem "Gott der klassischen Philologie".

Also schnorrt Lorenz den Onkel Willi an, den aus Montenegro stammenden Lebensgefährten seiner Tante Hedi, die früher Nonne war und Immaculata hieß. Sie lernte das "Unfallwunder" Willi im Ordenskrankenhaus kennen und lebt seither mit ihm als Paar, das "die stillschweigende Übereinkunft traf, einander zu verstehen, ohne alles voneinander zu wissen."

Das ist ein schöner, ein lebensweiser Satz, einer von vielen, die Vea Kaiser in dieses Buch tropfen lässt wie Bratensaft in die Rein. Und wenn sie das Thema Hausmannskost in ihrer Sprachkunst verwurstet, ist sie ohnehin unschlagbar: "Auf dem Ofen brodelte das kochende Wasser, als wollte es die Erdäpfel aus dem Topf vertreiben." Das kann man sich so gut vorstellen wie den dichten Nebel, "den man aufs Brot streichen kann" – auch Landschaftsbeschreibungen gehen ihr leicht von der Hand.

Ein "rotblonder Taxifahrer aus Tschetschenien oder Bosnien" (die Erwähnung dieser Haarfarbe ist ein dramaturgischer Kniff der Autorin) bringt Lorenz hinaus zur Tante nach Liesing, wo auch die Wetti und die Mirl immer wieder beisammen sind, um "die Abwasch" herum, plus die angeheirateten Oberhubers, plus der Fleischauer: "Komm frühstücken, endlich wieder Bauchspeck!", heißt es dort gleich zu Beginn, und wer könnte da Nein sagen?

Vea Kaiser, die 23 war, als sie mit Blasmusikpop ihren ersten Beststeller vorlegte, lockt auch in Rückwärtswalzer wieder mit literarischem "Bauschspeck" und bleibt dabei ihrer "Leibspeise" treu, der Familiengeschichte, die sie gekonnt auf drei Ebenen entwickelt: Die Tanten sind nach dem Krieg auf dem vom "Ivan" besetzten Land aufgewachsen.

Da gab es auch noch Hedis Zwillingsbruder und die Sache mit dem "Zurücklassen", die als Schuld an den Schwestern nagt. Sie wuchsen schließlich, zweite Ebene, heran in den von Lockenwicklern dominierten 70er-Jahren, zum Beispiel mit der Frage: Führerschein ja oder nein?

Die Überführung ist für die Reichen

Im Heute schließlich stirbt überraschend der Onkel Willi, dem die Hedi versprechen musste, ihn in Montenegros Erde zu begraben. Das von ihm für diesen Zweck weggelegte Ersparte für die Überführung hat sie freilich längst im veganen Online-Shop der Tochter verbrannt.

Darum heißt es beinahe kapitalismuskritisch: "Die Überführung ist für die Reichen, die Straße für die Armen." Lorenz hat endlich eine Aufgabe, als der vom Fleischhauer tiefgefrorene Leichnam im engen Fiat Panda auf der Autobahn ins Montenegrinische gebracht werden muss, Gott sei Dank haben die Tanten den Führerschein am Ende doch gemacht. Und für den Fall, dass sich Probleme mit den Grenzbeamten auf dem zerstückelten Balkan ankünden sollten, haben sie für diese einen Zwetschgenfleck mit dabei, in der Tupperware.

Seitenlang geht Kaisers Prosa runter wie Bratensaft. Sie weiß alles über Familien und noch mehr übers Kochen. Dramaturgisch geschickt und durchaus anspruchsvoll führt sie alle Stränge zusammen und liefert dabei auch manche Überraschung. Freilich: Wer durch des Argwohns Brille schaut, findet Raupen selbst im Sauerkraut, wusste schon Wilhelm Busch: Heißt es wirklich "scharfes R"? Und "besitzt" ein verprügelter Hintern alle Farben des Regenbogens, oder "zeigt" er sie nicht eher? Egal!

Wer mal den Laptop mit Netflix und den sich oft nur noch ins Groteske steigernden Erzählungen der dort angebotenen Serien mit ihren Blutsuppen und herausgerissenen Beuscheln beiseitelegen und stattdessen an der Schweinsbratenrein der drei Tanten aus dem Hause Prischinger riechen möchte, der kann sich auf ein wohlschmeckendes Menü freuen. (Manfred Rebhandl, ALBUM, 10.3.2019)