Auch wenn die Motivation zu unbezahlter Arbeit in der Familie im Idealfall Liebe ist: Es ist trotzdem Arbeit.

Foto: https://www.istockphoto.com/at/portfolio/droopy76

"Menschen in Österreich erledigen fast gleich viel bezahlte wie unbezahlte Arbeit", so Ökonomin Katharina Mader. Zwei Drittel der unbezahlten Arbeit erledigen aber Frauen und im speziellen Mütter.

Foto: Pamela Rußmann

STANDARD: Die Datenlage in Österreich zur Zeitaufteilung in Familien ist nicht optimal. Die aktuellsten Daten stammen von 2008/09. Warum ist das so?

Mader: Für 2020/21 wird es EU-weit neue Zeitverwendungsstudien geben. Viele Länder machen die Erhebung in den vereinbarten Zehn-Jahres-Abständen. Doch wie schon Anfang der 2000er-Jahre hat die schwarz-blaue Regierung die Teilnahme Österreichs abgesagt. Wenn wir keine Daten haben und die noch immer ungleiche Verteilung zwischen Vätern und Müttern nicht sichtbar machen, können wir auch nichts dagegen tun. Wir brauchen dringend aktuelle Daten, um in der Gleichstellungspolitik weiterzukommen. Welche Statistiken erhoben werden, ist auch eine politische Entscheidung und spiegelt politische Interessen.

STANDARD: Aber wie schätzen Sie die Entwicklung der vergangenen zehn Jahre ein?

Mader: Es sind immer noch vor allem die Frauen, die die unbezahlte Arbeit wie Care-Arbeit, Kinderbetreuung und Hausarbeit in der Familie machen (sollen) – das ist nach wie vor in den Köpfen drinnen. Allein die Idee, dass Frauen einmal Kinder haben und in Karenz gehen könnten, macht sie unattraktiver für Arbeitgeber. Das nennt man statistische Diskriminierung. Fast alle Benachteiligungen für Frauen am Arbeitsmarkt basieren auf der bloßen Zuschreibung der Zuständigkeit für unbezahlte Arbeit. Der Gender-Pay-Gap, die hohe Teilzeitquote der Frauen in Österreich, der noch viel höhere Gender-Pension-Gap, all das kann darauf zurückgeführt werden.

STANDARD: Das heißt, wir müssten am Image der unbezahlten Arbeit etwas verbessern, damit sich auch die Bedingungen für Frauen und Mütter am Arbeitsmarkt bessern?

Mader: Laut den Daten von 2008/09 werden in Österreich jährlich rund neun Milliarden Stunden an Haushalt- und Betreuungsarbeiten geleistet. Zum Vergleich: Neuneinhalb Milliarden Stunden widmeten sich Männer und Frauen bezahlter Arbeit. Das ist fast gleich viel. Zwei Drittel der unbezahlten Arbeit haben aber Frauen erledigt, egal in welchem Ausmaß sie bezahlter Arbeit nachgegangen sind. Schaut man sich unterschiedliche Gruppen an – Erwerbstätige, Studierende, Arbeitslose –, dann ist es noch immer so, dass auch in den Gruppen, wo beide nicht erwerbstätig sind, Frauen tendenziell den Großteil der unbezahlten Arbeit machen. Es ist ganz wichtig, unbezahlte Arbeit als Arbeit wahrzunehmen. Auch wenn die Motivation eine ist, die man auf Liebe zurückführen könnte. Es ist trotzdem Arbeit, und wenn wir es nicht so nennen, bleibt es nicht wertgeschätzt.

STANDARD: Versuchen wir eine Rechnung: Was passiert, wenn man die Familienarbeit monetär bewertet?

Mader: Die Frauen, die diese zwei Drittel der unbezahlten Arbeit gemacht haben, würden damit am Arbeitsmarkt in verwandten Branchen pro Jahr 100 bis 105 Milliarden Euro in Österreich verdienen. Dies hat eine meiner Masterstudentinnen erst kürzlich berechnet. Vorsichtig geschätzt wären das 27 bis 35 Prozent des BIPs, so große Zahlen sind das!

STANDARD: Was heißt das für den Stundenlohn?

Mader: Das ist schon schwieriger, denn Menschen in verwandten Berufen verdienen unterschiedlich viel: Zur Familienarbeit gehören die Tätigkeiten einer Kindergärtnerin, einer Chauffeurin, einer Putzkraft etc. Das müsste man alles zusammennehmen und den aggregierten Lohn (zusammengefasst) hernehmen. Dazu kommt noch, dass zum Beispiel Akademikerinnen so genannte Opportunitätskosten (entgangene Erlöse, Anm.) hätten, weil sie eigentlich den Akademikerlohn verdienen müssten. Das müsste man auch noch berücksichtigen. Aber laut den EU-Silc-Daten von 2008, die es auch für Österreich gibt, verdienen Menschen in personenbezogenen Dienstleistungsberufen und verwandten Berufen Folgendes: Der Stundenlohn für haushaltsbezogene Tätigkeiten ist 11,16 Euro brutto ( 8,80 Euro netto), für Betreuungstätigkeiten gibt es 12,25 Euro brutto (9,19 Euro netto).

STANDARD: Wie funktioniert die Zuteilung von Zuständigkeiten in einem durchschnittlichen Haushalt?

Mader: An der WU haben wir in einer Studie untersucht, wie Entscheidungsfindung im Haushalt funktioniert. Europaweit gibt es prototypische Zuständigkeiten: Frauen sind eher für die Organisation des Alltags zuständig wie Einkäufe oder Kinderbetreuung. Das ist das klassische Mikromanagement, das den Haushalt nicht nach außen definiert. Männer sind eher für größere finanzielle Ausgaben zuständig, die den Haushalt als Ganzes nach außen repräsentieren.

STANDARD: Müssten Frauen mit ihrem Partner einfach besser verhandeln?

Mader: Es wird uns immer so verkauft, dass Paare sich die unbezahlte Arbeit individuell ausverhandeln und Frauen einfach besser verhandeln müssten. Das ist nicht wahr, denn wir sind auch über die gesellschaftlichen Strukturen gebunden – mein Lebensumfeld definiert auch, ob und wie ich verhandeln kann. In der Ökonomie gehen wir davon aus, dass der Anteil, den jemand an unbezahlter Arbeit macht, damit zusammenhängt, wie viel Verhandlungsmacht er im Haushalt hat. Aus ökonomischer Sicht ist diese Aufteilung immer an das Einkommen geknüpft. Die ökonomische These lautet: Menschen, die weniger Einkommen in den Haushalt einbringen, haben eine schlechtere Verhandlungsbasis und machen deswegen mehr unbezahlte Arbeit.

STANDARD: Gibt es da auch statistische Ausreißer?

Mader: Prinzipiell machen jene Haushaltsmitglieder, die wenig zum Einkommen beitragen, sehr viel unbezahlte Arbeit in der Familie. Jene, die mehr verdienen, verrichten umso weniger Arbeit. Überraschend ist aber, dass wir aus internationalen Studien sehen, dass die Kurve der unbezahlten Arbeit bei den Gutverdienenden ab einem gewissen Punkt wieder hinaufgeht. Das sind Frauen, die mehr als ihre Partner verdienen und trotzdem mehr unbezahlte Arbeit machen. Dafür gibt es soziologische und psychologische Erklärungsmuster wie die Rollenüberkompensation: Wenn ich die zugeschriebene weibliche Rolle nicht erfülle, mache ich auch viel unbezahlte Arbeit. Oder: Wenn der Mann seine ihm zugeschriebene Rolle nicht erfüllt, weil er weniger verdient, dann macht er auch weniger unbezahlte Arbeit, um hier seine männliche Rolle zu erfüllen. Das sagt uns zumindest die Literatur.

STANDARD: Was hätte die Wirtschaft davon, wenn Frauen weniger Zeit in unbezahlte Arbeit investieren würden?

Mader: Ganz klassisch würde eine Entlastung der Frauen von unbezahlter Arbeit natürlich mehr Humankapital für den Arbeitsmarkt bedeuten. Das sollte jedoch nicht unser (einziger) Fokus sein: Vielmehr bedeutet eine solche Entlastung für Frauen die Möglichkeit von existenzsichernden Löhnen und Pension und insgesamt mehr finanzielle Unabhängigkeit. Eine Gleich(er)verteilung unbezahlter Arbeit zwischen den Geschlechtern bedeutet aber auch, dass für Mütter und Väter Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familie besser funktioniert. Und das wiederum bedeutet für die Wirtschaft zufriedenere Arbeitnehmer. (Marietta Adenberger, 9.3.2019)