In dieser Ausgabe des Familienrats antworten Katharina Weiner vom Jesper-Juul-Familylab in Österreich und der Buchautor, Psychiater und Psychoanalytiker Hans-Otto Thomashoff auf die Frage einer Leserin.

Frage:

"Meine beiden Söhne sind 6 und knapp 3 Jahre alt. Sie dürfen jeden Tag in der Früh (und am Abend) eine gute Viertelstunde fernschauen, während mein Mann und ich uns schnell fertig für die Arbeit machen. Das Problem ist, dass sie sich meist nicht darauf einigen können, was sie sehen wollen. Leider haben sie die Wahl, weil wir Netflix und Amazon Prime haben. Jetzt ist es so, dass deswegen jeden Tag gestritten wird, obwohl wir das Ritual eigentlich eingeführt haben, damit sie kurz beschäftigt sind.

Gerade erst habe ich damit gedroht, das Fernsehen in der Früh ganz abzuschaffen, denn Streit gibt es sowieso. Daraufhin hat der 6-Jährige einen Wutanfall bekommen und seinerseits damit gedroht, dass er ausziehen will.

Manchmal funktioniert Fernsehen als Beruhigungsmittel nicht.
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Er hat mir mit seiner Wut und Reaktion so leid getan, dass ich die Drohung nicht wahrgemacht habe, also auch inkonsequent war, was sicher auch verwirrend ist. Was wäre eine gute Lösung?"

Antwort von Hans-Otto Thomashoff:

Wo ist das wirkliche Problem in diesem Beispiel? Die Eltern wollen sich eine Viertelstunde Zeit kaufen, weil sie sich sonst nicht in der Früh fertigmachen können. Geht das wirklich nur, wenn die Kinder mit Fernsehen bestochen werden? Mag sein. Doch die streiten sich dann, weil keine gerechte Aufteilung beim Aussuchen des Programms gelingt: Morgens darfst du, abends darsft du entscheiden. Oder: heute du, morgen du. Und die sich daraus ableitende Konsequenz funktioniert nicht: Wenn euch das nicht gelingt, dann gibt es eben kein Fernsehen, und ihr reißt euch trotzdem eine Viertelstunde lang zusammen. Warum diese Konsequenz nicht gelingt? Weil der Sechsjährige dann einen Wutanfall bekommt und damit droht auszuziehen. Niedlich, oder?

Ist es wirklich für die Eltern unmöglich auszuhalten, wenn eines ihrer Kinder so richtig wütend wird? Doch wie sollen die Kinder dann das ganze bunte Spektrum an Regeln lernen, das im Leben gültig ist? Zum wirklichen Leben gehört eben auch, dass uns manchmal etwas nicht passt. Das ist ärgerlich. Doch auch der Umgang mit Wut will gelernt sein.

Ehrlichkeit der Gefühle, das sollten wir unseren Kindern erlauben und vorleben. Dazu gehört auch, dass wir unseren Kindern klar zu verstehen geben, wenn uns selbst etwas an ihrem Verhalten nicht passt. Dadurch leben wir ihnen vor, dass auch wir selbst Gefühle haben. Dass die sein dürfen – so wie die unserer Kinder – und dass sie ebenfalls etwas ganz Normales sind. Andernfalls zwingen wir unsere Kinder, ihre Wut zu unterdrücken, und erziehen sie zu aggressionsgehemmten Neurotikern. Oder aber wir lassen uns von ihrer Wut erpressen und sie lernen, dass sie sich damit immer durchsetzen können. Doch nicht jeder kann später im Leben US-amerikanischer Präsident werden. (Hans-Otto Thomashoff, 10.3.2019)

Hans-Otto Thomashoff ist Psychiater, Psychoanalytiker, zweifacher Vater und Autor. Zuletzt veröffentlichte Bücher: "Das gelungene Ich" (2017) und "Damit aus kleinen Ärschen keine großen werden" (2018).
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Antwort von Katharina Weiner:

Durch eine Drohung im Zusammenhang mit zunächst erlaubten Freiheiten werden wir als Eltern schnell unglaubwürdig. Es liegt also der Gedanke nahe, ob das Fernsehritual tatsächlich hilfreich war. Denn, wie Sie treffend formulieren, für Streit unter Geschwistern gibt es unzählige andere Gelegenheiten.

Tatsache ist, dass Fernsehen wie eine Droge wirkt. Sobald es als Ruhigstellungspraktik im Leben mit Kindern eingesetzt wird, wird dies von den Kindern schnell durchschaut. Denn mit dem Anstieg des elterlichen Stresspegels kommt postwendend der entsprechende Vorschlag seitens der Kinder. So gesehen ein "Zauberlehrling"-Dilemma, denn in Wahrheit möchten die meisten Eltern nicht, dass ihre Kinder zu viel Fernsehen. Außerdem haben Dreijährige basierend auf ihrer Gehirnentwicklung nicht die Möglichkeit, die gesehen Bilder adäquat zu verarbeiten.

Ein Lösungsansatz wäre also, als Eltern so schnell wie möglich eine klare Position einzunehmen: "Wir haben euch zu viel zugetraut und merken, dass das keine gute Idee war. Denn jetzt gibt es mehr Probleme als vorher." Vielleicht ergibt sich daraus, dass ab sofort die Eltern den Inhalt der 15 Minuten bestimmen oder als generelle Fernsehalternative gemeinsame Kinobesuche bzw. ein altersgerechter Kinderfilm.

Eines ist sicher: Handy und Tablet kommen noch früh genug. Bis dahin braucht es eine stabile und verlässliche Beziehungsbasis, um die notwendigen Einschränkungen (Alter, Inhalt etc.) verständlich kommunizieren zu können. (Katharina Weiner, 10.3.2019)

Katharina Weiner ist Familienberaterin, Coach und arbeitet als Trainerin in der Elternbildung. Die Mutter einer Tochter leitet das Jesper-Juul-Familylab in Österreich.
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