Alles hat ein Ende, nur die Wurst hat zwei: Conchita Wurst als Nebenprojekt "Wurst" beim Wiener Rosenball im U4.

Foto: Christian Fischer

In sämtlichen Bereichen des Marketings und der Marktschreierei, sei das nun der Gurkenhobel-Straßenverkauf, Wahlwerbung oder der Versuch, jungen Leuten irgendwelche fetzigen neuen Musiken anzudrehen, gilt spätestens seit dem berüchtigten Elvis-Manager Colonel Tom Parker ein ehernes, in seiner Abfolge unabänderliches Gesetz in drei Schritten: 1. Sag, dass du da bist! 2. Sag es laut!! 3. Wiederhole diesen Vorgang!!!

Conchita Wurst - Topic

Dank der alarmistisch aufgeladenen Stimmung in den Social Media mit ihren Winden, Shitstorms und Skandalen, inklusive einer Dauererregung am elektronischen Pranger, ist diese bewährte Taktik mit erwartbarem Erfolg heute leichter denn je anwendbar. Man kann kürzestfristig öffentliche Aufmerksamkeit für seine Anliegen bekommen, so der Selbstvermarktung dienen. Dieses Tool beherrschen heute so gut wie alle Mediennutzer.

Das Branding hat seinen Reiz verloren

Tom Neuwirth hat nach seinem Sieg beim Song Contest 2014 laut Medienberichten beschlossen, die von ihm 2011 geschaffene Kunstfigur Conchita Wurst zu Grabe zu tragen. Wie sich aber am Freitag herausstellte, nur ein bisschen. Das zwar originelle, aber doch sehr eindimensionale Image hat sich offenbar abgelebt. Er möchte sich neu erfinden. Abgesehen von gefühlten 3000 Charity-Galas weltweit zum Thema Aids und HIV, dem Life Ball hier und dem Rosenball da, ist es in letzter Zeit nicht so gut für Conchita Wurst gelaufen.

Entgegen aller Erwartungshaltungen seitens Management und des 30-jährigen Künstlers gerieten sowohl der handzahme Discopop Conchita von 2015 als auch das erwartbare Divenalbum From Vienna With Love von 2018 zu milden Flops in Hinsicht auf Conchitas globalen Bekanntheitsgrad. Das Branding hat nicht nur für das Publikum, sondern stärker noch für den Künstler seinen Reiz verloren.

Alles bleibt anders

Dass nun in der Vorwoche Conchita Wurst auf dem Wiener Opernball zum weißen Abendkleid mit Latexoberteil Glatze trug – und später auf dem Rosenball im U4 zur Glatze einen schwarzen Kunstlederanzug, leitete eine über Conchita Wursts Instagram-Konto laufende Übergangsphase mit kinky Fetischfotos ein. Überraschung, Verstörung. Aufmerksamkeit erregen! Seit Freitag zeitigt das ein erstes Ergebnis.

Es ist allerdings als ein wahrhaft österreichisches anzusehen: Conchita Wurst muss zwar jetzt nicht sterben, das wäre wegen des Fixeinkommens dank regelmäßiger Absingung der Durchhaltehymne Rise Like A Phoenix in großer Abendrobe auch nicht gerade klug (im geschäftlichen Sinn). Conchita verliert nur die Wurst. Die Wurst darf ab sofort zusätzlich und parallel zu Conchita als glatzköpfiger Fetischkerl nach den Galas in der Hochkultur in die einschlägigen Clubs hinuntersteigen und dort ein wenig derb mit S/M-Attitüde dazu verdienen.

"Maskuliner" Elektropop

Beim ersten, jetzt vorliegenden Song Trash All The Glam (Zum Teufel mit dem Glamour) handelt es sich im Gegensatz zum üblichen Musical-Geplärre aus dem Fach Barbra Streisand für die Disco um dunklen, von Zeitgenossenschaft gestreiften und, laut Neuwirths Aussage, "maskulinen" Elektropop. Der lässt ein zartes Wehen, verhalltes Wabern und rhythmisches Pochen von trendigen Stilen wie Post-Dubstep oder Dreampop her erkennen. Die Namen James Blake oder Sohn könnten uns etwas sagen. Autotune in seiner weniger kreativen Verwendung besorgt den Rest. Der Song ist angenehm zurückhaltend und macht nichts durch outrierten Gesang kaputt.

Stichwort David Bowie, Referenzfigur Prince: Ob sich das Spiel mit Identitäten und Stilen auch am Markt ausgehen wird, ist fraglich. Langfristige Karrieren wie jene vor allem Bowies scheinen heute dank einer immer kürzer werden Aufmerksamkeitsspanne des Publikums kaum noch möglich. Ein Karriereknick, früher völlig normal, gilt heutzutage meist als sicherer Tod. Die Wurst mag zwar ein (auch sexueller) Zugewinn für Neuwirth sein. Conchita ohne Wurst bleibt aber immer noch Conchita. (Christian Schachinger, 9.3.2019)