Gewalt im Privaten trifft zumeist Frauen. Die eigene Wohnung und die dazugehörige Wohnumgebung stellen für Frauen ein größeres Gefahrenpotential dar als sogenannte Angsträume, also unbelichtete, uneinsehbare städtische oder suburbane Räume. Das gibt zu denken – nicht nur das Faktum, dass Frauen vermehrt Opfer von Gewalttaten sind. Zu denken gibt, dass es die vermeintlich sicheren, intimen und abgeschotteten Räume sind, die ein Gefahrenpotential darstellen. Im Zuge des Welt-Frauentags stelle ich folgende Frage: Was tun wir als Planende aktiv, um diesem "Gefahrenpotential Wohnung" entgegenzuwirken? Wie öffnen wir die Abschottung? Wie bringen wir das Innen nach außen? Wie erzeugen wir maximale Kommunikation, ohne Überwachung zu generieren?

Standort, Zuschnitt, Erschließungssystem

Für die Untersuchung der Motive von Tätern sind andere Experten zuständig. Für die Planung der Wohnungen, Wohnhäuser und Quartiere sind wir diejenigen, die eine Expertise abgeben sollten. Ad hoc kommt mir einiges in den Sinn, das hierbei eine Rolle spielen kann. Etwa Faktoren wie die Lage einer Wohnung (am Rand oder in einem urbanen Umfeld), die Widmung (monofunktional oder gemischt), die Erschließungsform (anonym oder kommunikativ), die Wohnform (flexibel oder fixiert, individuell oder gemeinschaftlich) und ganz allgemein die Verdichtung (keine, zu wenig, viele oder zu viele Nachbarn). Nicht alles ist von Planenden beeinflussbar, wir sollten uns jedoch nicht ganz aus der Verantwortung nehmen. Wenn wir mit der Entwicklung der Stadt unzufrieden sind, heißt es, Alternativen zu fordern. Aber wer macht das heute noch? Wer demonstriert für eine bessere Architektur?

Was passiert hinter den Zäunen, in den vier Wänden der Nachbarn?
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Absicherung versus Sicherheit

Die Gewalttaten, die in den letzten Wochen in Österreich an Frauen verübt wurden, waren sogenannte Femizide. Die USA-basierte Soziologin Diana Russel prägte den Begriff Femizid 1976. Man versteht darunter Morde, die an Frauen verübt werden, weil die Personen Frauen sind. Femizide wiederum sind oft verknüpft mit der unmittelbaren Wohnumgebung der Frauen beziehungsweise von Opfer und Täter. Der Ort des Geschehens ist sehr oft die eigene Wohnung oder die nähere Wohnumgebung. Jene Orte also, die normalerweise mit Sicherheit assoziiert werden.

Das Private ist politisch

In den 70er-Jahren entstand auch der Slogan: "Das Private ist politisch." Während die Erste Frauenbewegung am Beginn des 20. Jahrhunderts grundlegende Rechte für Frauen forderte (Ausbildung, Wahlrecht), gab die Zweite Frauenbewegung eine komplexere und radikalere Parole aus. Man verwies damit auf tiefsitzende, seit jeher "gewohnte" Machtverhältnisse in allen gesellschaftlichen Bereichen und eben auch im Privaten. Oder gerade dort. Nirgendwo kann Macht besser ausgespielt werden als an jenen Orten, die nicht einsehbar sind für Dritte. Umgekehrt wurde durch den Slogan das Private auch als Teil einer Politik gesehen werden.

Architektur heilt nicht alles, aber kann viel bewirken

Heute ist das Private zwar weitaus mehr durchdrungen von Öffentlichkeit als es dies in den 70er-Jahren war, sicherer ist es deshalb nicht geworden. Wir statten unsere Wohnhäuser zwar zunehmend mit elektronischen Sicherheitsmaßnahmen gegen von außen Eindringende aus, dabei entsteht die größte Gefahr innerhalb dieser Sicherheitszonen. Was bedeutet dies für die Planung? Was können wir tun? Viel, denke ich. Wir können einen Teil dazu beitragen, dass Machtverhältnisse erst gar nicht entstehen. Architektur heilt nicht alles, aber gute Räume können viel bewirken. Das frei stehende Einfamilienhaus ist da eindeutig benachteiligt. Das abgeschiedene, durch dichte Hecken umgrenzte Haus kreiert die ideale Umgebung, um Konflikte eskalieren zu lassen. Aktuell werden 40 Prozent aller Ehen in Österreich geschieden, und nimmt man die Trennungsrate von nicht verheirateten Paaren hinzu, sind es wahrscheinlich sehr viel mehr. Die wenigsten Häuser sind teilbar, Bezugspersonen außerhalb von Beziehung oder Familie existieren nur in sehr guten Nachbarschaften und man will sich lieber nicht ausmalen, wie in den oft noch nicht abgezahlten Häusern Konflikte ausgetragen werden.

Planung ist politisch!

Im verdichteten Wohnungsbau sieht die Sache schon anders aus. Da sind Wände dünn, man hört Auseinandersetzungen eher und das Läuten an der Nachbarstür fällt vielleicht leichter. Vielleicht. Oder haben Sie gar einen Raum im Haus, in dem Sie Nachbarn treffen können? Bietet ihr Erschließungsgang Nischen, in denen man sitzen und halb öffentlich sein kann? Haben Sie noch das klassische Gangfenster zum Kabinett, durch das man ein wenig Einblick erhält in das, was drinnen passiert? Es gibt viel, das getan werden kann. Oft sind es Kleinigkeiten, die Wohnungen offener und flexibler machen, sodass sie ganz gut funktionieren, auch wenn man sich gerade einmal streitet. Es liegt nun an uns Planenden, genau jene Zonierungen zu erzeugen, die zwischen Abschottung und Überwachung liegen. Ein kleines Treppenhaus mit Lift, der in eine konventionelle Dreizimmerwohnung führt, wird dazu nicht reichen. Das Private ist politisch, und die Planung dieses Privaten ist es auch! (Sabine Pollak, 14.3.2019) 

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