Alles blickt auf das Bild jenes Meeres, auf dem der Holländer fahren muss. Vor allem tut dies natürlich Senta (Meagan Miller, li.).

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Es gab Inszenierungen, in denen sahen sich Daland und Holländer ähnlich wie Zwillinge. In Bayreuth inszenierte etwa vor vielen Jahren Regisseur Claus Guth in diesem Sinne tiefenpsychologisch verwirrend: Sentas Sympathie für den ruhelosen Seefahrer schien aus einem unbewusst tobenden Vaterproblem hervorzusprießen. Unschwer war ein Elektrakomplex zu diagnostizieren.

Ganz anders an der Volksoper: In der Version von Aron Stiehl könnten Vater Daland und der Verfluchte kaum unterschiedlicher sein: Daland, den Stefan Cerny mit orgelnder Inbrunst etwas heftig schmettert, mutet wie ein emsiger Mädchenhändler an. Sein handgreiflicher Führungsstil, dessen Opfer u. a. der profund singende JunHo You als Steuermann wird, wäre heute gerichtsanhängig. Motivation durch blaue Flecken quasi.

Das ewige Leben

Ein melancholischer Gegenentwurf ist Holländer: Er ist der resignierte, todessüchtige Seefahrer, dem die Kraft ausgeht. Alle sieben Jahre darf er an Land, um eine Holde zu finden, deren Treue ihn von dauerhafter Meeresbefahrung erlöst. Das ewige Leben klebt an ihm wie eine chronische Krankheit. Markus Marquardt sucht bisweilen mit diskret lyrischer Legatodiktion, Holländers schwermütiges Sehnen zu evozieren. Es gelingt – besser als der dramatische Gruselton.

Da herrscht bisweilen vokales Aquaplaning: Es verrutschen Töne, oder sie werden brüchig und unrund. Mehr Ausgewogenheit mag sich einstellen. Jedenfalls: Auch wenn Daland und Holländer, der dem Vater einen goldenen Koffer übergibt und dessen Segen für eine Hochzeit mit Senta ersteigert, nicht zu verwechseln sind, ist die junge Schwärmerin auch in dieser Inszenierung offensichtlich psychisch auffällig.

In der Schule

Wenn die Mädchengruppe – wie in einer strengen Chorschule – ihr Lied anstimmt, steht Senta entrückt abseits. Nicht einmal ihre Amme weiß Hilfe, die als strenge Dirigentin (markant Martina Mikelic) aggressiv den Takt in den Boden stampft. Äußeres Zeichen der Verhaltensexzentrik sind herumliegende Gemälde. Auf ihnen prangt immer das gleiche Motiv: Meer und Himmel als stürmische Natur repräsentieren jene Sphäre, aus welcher das Fantasiebild Holländer herbeisegeln wird. Er selbst erscheint auf keinem Gemälde. Er ist in Sentas Kopf.

Es gab Inszenierungen, da drängte Holländers Schiff aggressiv ins Geschehen. Der Bug rammte sich bisweilen wie die Spitze einer Axt in die Bühne. Hier jedoch wird kein Schiff kommen, auch wird keines zu sehen sein. Der Holländer spaziert durch eine Seitentür in den atmosphärisch düsteren Einheitsraum, der wie ein bunkerartiger, grauer Trichter anmutet. Die romantische Schauerstory erlebt jedoch ein paar effektvolle Farbmetamorphosen. Da Meeresblau, dort Höllenrot.

Erstarrtes Mädchen

Und bisweilen öffnen sich auf der Rückseite ein paar "Luken", um Sentas Meeresflutenfantasie im X-Large-Format zu zeigen (Bühnenbild: Frank Philipp Schlößmann). Die Begegnung zwischen Holländer und Senta profitiert von Lichtspielen; der Gruselige wirft seinen Schatten auf das erstarrte Mädchen.

Ein eindringlicher Moment. So wie jener, wenn der Damenchor mit ausgestreckter Hand zur Skulptur erstarrt, auf Senta zeigt und durch diese Statik – paradox – mehr szenische Dichte erzeugt als in Momenten beabsichtigter Bewegung. Schließlich dominiert eine Art Liederabendpose: Als hätten die Protagonisten imaginäre Bleischuhe an, kleben sie auf dem Boden der Konvention. So vermag die dramatisch-herb auftrumpfende Meagan Miller gestalterisch nur an der Oberfläche der Mädchenfigur zu bleiben.

Nie zahme Töne

Herzhaft Marc Piollet und das Volksopernorchester: Es waren Intensität und Dringlichkeit zu spüren. Die Sänger (auch der glänzende Tomislav Muzek als Erik) gingen in den heftigen Orchesterfluten dennoch nie unter. Wenn sich der Matrosenchor und jener des Holländers duellieren, wird klanglich Wagners Kühnheit entfacht. Und mag nicht jede Feinheit ausgestaltet gewesen sein, so war das Spiel zwischen Stimmen und Orchester packend, nie zahm.

Dass sich, bei all der Expressivität, hin und wieder auch der Sound einer vorbeituckernden U-Bahn in die Wagnerwelt einmischte, das gehört am Gürtel immer auch dazu. (Ljubisa Tosic, 11.3.2019)