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Brexit-Unterstützer protestieren vor dem House of Parliament.

Foto: AP Photo/Tim Ireland

Am Tag nach der katastrophalen Niederlage von Premierministerin Theresa May im Unterhaus in London herrschte bei den EU-Partnern die große Ratlosigkeit. Manchen war das blanke Entsetzen ins Gesicht geschrieben. Auch Angst.

Zwar hatten die meisten damit gerechnet, dass es auch im zweiten Anlauf nicht ganz reichen würde; dass May den Vertrag erst Tage vor der Deadline des geplanten EU-Austritts am 29. März durchbringt – und man dann eine "technische Verlängerung" des Vollzugs einräumt. Aber die Zahl der Neinstimmen war derart hoch, dass jede Hoffnung auf ein "gutes Ende" plötzlich zerstört wurde.

Besonders gravierend für die EU-Kommission und die Regierungschefs: Sie müssen einsehen, dass sie es bei May von jetzt an mit einer Premierministerin zu tun haben, die zu Hause ganz offensichtlich die Kontrolle verloren hat. Dass wegen demonstrativ unverantwortlicher, populistischer Politiker auf der Insel eine innenpolitische Krise jeden europäischen Lösungsansatz schon im Keim erstickt.

Das Chaos regiert. Und die Selbstsucht. Wie soll man da jemals zu einem berechenbaren Ergebnis kommen, wann auch immer?

Enttäuschung

EU-Chefverhandler Michel Barnier zeigte bei einer Stellungnahme im Parlament in Straßburg ganz offen seine Enttäuschung. Man habe in zwei Jahren harter Arbeit versucht, die tausenden Details und Probleme eines EU-Austritts vernünftig zu lösen. Alles vergebens. Um das zu unterstreichen, hielt er den 585 Seiten dicken Vertragsentwurf in die Luft. Es wirkte wie das Fanal für eine düstere Zukunft, nicht nur im Vereinigten Königreich, sondern auch in der restlichen Union.

Denn was in der Schlacht um den berüchtigten Backstop unterging, ist der Umstand, dass es beim Brexit-Deal ja vor allem darum gehen sollte, das Leben von zig Millionen EU-Bürgern auf beiden Seiten des Ärmelkanals vor schlimmen Folgen zu bewahren – und die Wirtschaft, die sich auf ein solches Megaereignis des Verlassens eines Binnenmarkts erst einstellen muss. Die Garantie von offenen Grenzen in Irland sollte nur eine Versicherungspolizze sein, die niemand je in Anspruch nehmen wollte.

Wie absurd die Eskalation der Irland-Frage ist, zeigt der Umstand, dass es im Fall eines ungeregelten Brexits sofort zu geschlossenen Grenzen kommen müsste, es sei denn, die EU-27 und die Regierung in London einigen sich auf eine Ausnahme.

Verschiebung

Daher wird jetzt über eine Verschiebung des EU-Austritts debattiert – und spekuliert. Denn niemand weiß derzeit, warum es diese "Verlängerung" überhaupt geben soll.

Dafür fehlen Grundvoraussetzungen: Das Vertrauen ist zerstört. Und die Briten haben den EU-Partnern noch nicht mitgeteilt, welche Lösung sie wollen, wenn schon nicht diesen im Kern seriösen Austrittsvertrag. Ein zweites Referendum? Den Sofortrückzug per Regierungsbeschluss? "Ewige" Verhandlungen und Blockaden?

Man weiß es nicht. Unter solchen Umständen wären die EU-27 unverantwortlich, wenn sie der Verlängerung zustimmten. Die EU könnte sich am Brexit vergiften, wenn das über Jahre so weiterginge. Nicht nur die EU-Wahl wäre gefährdet, sondern auch der Start der neuen EU-Kommission im Sommer. Die Union müsste sich mit Klimaschutz, mit Zukunftsfragen, mit der Ankurbelung der Wirtschaft beschäftigen, mit Migration und Sicherheit und, und, und. Stattdessen starren wir auf das irre Brexit-Spiel. (Thomas Mayer, 13.3.2019)