Zum Reinkommen in den Abend, als Entrée, drei Nocturnes von Chopin. Den feinsinnigsten und natürlich elegantesten Melancholiker der Romantik präsentierte Jewgenij Kissin auf enttäuschend handfeste Weise. Satter Ton und mächtige Crescendi gleich beim f-Moll Nocturne op. 55/1, Fülle, Wärme und kraftvolles Strömen beim G-Dur Nocturne op. 37/2, Opulenz und satte Bässe im E-Dur Nocturne op. 62/2. Man wähnte sich allen Ernstes bei Brahms oder Rachmaninow.

Die schwergewichtigen Oktaven der Eröffnung von Schumanns f-Moll Sonate op. 14 waren eine Ansage. Es folgte eine routinierte emotionale Dauerverausgabung, Kissin nutzte kleinste Crescendi zum rücksichtslosen Pressing, Melodiestimmen wurden ausgequetscht wie wehrlose Südfrüchte. Das Scherzo hatte die Wucht eines tanzenden Bulldozers, manche Variation des Clara-Wieck-Themas wurde in der Doppelrahmstufe aufgetischt. Wundervoll die Zurücknahme beim Ges-Dur-Thema im Finalsatz.

Virtuosität und Extreme

Acht ausgewählte Debussy-Préludes spielte der 47-Jährige technisch perfekt und interpretatorisch musterschülerhaft. Eingebettet in so viel Virtuosität und Extreme, überraschte das schlicht und sanft gezeichnete La fille aux cheveux de lin und berührte am meisten.

Überraschend enttäuschend dann Alexander Skrjabins wundervolle vierte Sonate: das Andante eilig, das Prestissimo volando in relativ behäbigem Tempo und ohne nachfühlbares Herzklopfen und juvenile Euphorie. Schade, dass Jewgenij Kissin die Charakteristika der präsentierten Komponisten eher nivellierte als herauszeichnete.

Das Wetterleuchten im Gesicht des Solisten beruhigte sich bei den vier Zugaben etwas, wobei die mit allerfeinstem virtuosen Aplomb dargebotene Grande valse brillante in Es-Dur op. 18 von Frédéric Chopin den größten Eindruck machte. Volksfeststimmung beim Beklatschen und Bestaunen des aus der Zeit und der Welt gefallenen Kuriosums Jewgenij Kissin im Großen Musikvereinssaal. (sten, 14.3.2019)