Freizeitsportler können getrost Eiweißdrinks weglassen. Ausgewogene Ernährung tut es auch.

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Eine Topfencreme als "optimaler Trainingsabschluss zum Löffeln", ein Vanilledrink, der den "Muskelaufbau unterstützt". Wer zu solchen Produkten greift, wird "sich supersexy fühlen", lautet ein weiteres Versprechen auf Werbeplakaten. Immer mehr Lebensmittelhersteller setzen auf die Kraft der Proteine. Nicht nur Joghurt, Milch und Topfencreme werden mit Eiweiß aufgepeppt, auch Sodawasser, Müsli und Brot sollen zu sportlich-gesunden Nahrungsmitteln avancieren, die den Trainingserfolg steigern.

Proteine sind Makromoleküle, die aus Aminosäuren aufgebaut sind. Acht der insgesamt 20 Aminosäuren kann der Körper nicht selbst produzieren, sie müssen durch die Nahrung aufgenommen werden. Damit werden Zellen, Muskeln und Gewebe gebildet, zudem dienen sie als Transportmittel für Cholesterin, Vitamine oder Eisen.

Unnötiger Eiweißschub

"90 Prozent der Konsumenten können auf solche Produkte verzichten", sagt Christian Sina, Direktor des Instituts für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein. Aus einem einfachen Grund: Eine halbwegs ausgewogene Ernährung liefert genügend tierisches und pflanzliches Eiweiß. 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht sollten es sein, egal ob Frau oder Mann. Wer 75 Kilogramm wiegt, benötigt demnach 60 Gramm Eiweiß pro Tag.

Der Österreichische Ernährungsbericht aus dem Jahr 2017 zeigt, dass das ohne Probleme klappt: Mit durchschnittlich 0,9 Gramm pro Kilogramm liegen die Österreicher sogar etwas über der Empfehlung. Selbst Menschen, die vier- bis fünfmal pro Woche eine halbe Stunde sportlich aktiv sind, können auf eine zusätzliche Dosis Eiweiß verzichten. Wer braucht solche Produkte dann überhaupt? "Es gibt drei Personengruppen, die einen erhöhten Proteinbedarf haben. Menschen ab dem 65. Lebensjahr, Schwangere und Leistungssportler", erklärt Christian Sina. Werdende Mütter und ältere Personen können aber den zusätzlichen Bedarf auch mit einer bewussten Ernährung decken, haben Studien gezeigt.

Lukratives Geschäft

Eiweiß ist in allen tierischen Lebensmitteln enthalten: also in Fisch, Fleisch, Milchprodukten und Eiern. Weitere Quelle sind Hülsenfrüchte, Nüsse, bestimmte Getreidesorten oder Erdäpfel. Tierisches Eiweiß kann der Körper grundsätzlich besser für sich nutzen. Die höchste biologische Wertigkeit wird allerdings durch eine Kombination von pflanzlichen und tierischen Proteinen erzielt.

Bleiben noch die Leistungs- und Profisportler: "Hier können Nahrungsergänzungen sinnvoll sein. In solchen Fällen sollte die Proteinzufuhr aber ärztlich kontrolliert werden", sagt Ernährungsmediziner Sina. Seine Erklärung, warum die Industrie trotzdem auf "Functional Food" setzt: "Der Lebensmittelmarkt ist gesättigt. Durch Pseudoinnovationen wird versucht, neue Segmente zu bedienen." Eine Strategie, die sich lohnen dürfte: Die Extradosis Protein ist meist deutlich teurer als herkömmliches Joghurt oder Müsli – das hat ein Preisvergleich der Konsumentenschutzorganisation Foodwatch ergeben. In manchen Fällen macht der Unterschied mehr als das Doppelte aus.

Muskeln sind Bedingung

Schätzungen zufolge wurden im Jahr 2017 weltweit knapp 100 Milliarden Euro mit Proteinpulvern, Getränken, und Riegeln umgesetzt – Eiweiß, das meist überflüssig ist und über die Niere abgebaut wird. "Ein langfristig exzessives Überangebot kann sogar die Nieren belasten", warnt Kurt Widhalm, Leiter des Österreichischen Instituts für Ernährungsmedizin. Zudem steht ein übermäßiger Eiweißkonsum im Verdacht, die Darmflora zu schädigen und Arteriosklerose zu fördern. "Allerdings konnte das bislang nur im Mausmodell nachgewiesen werden", sagt Sina.

Wer dennoch nicht auf die vermeintliche Kraft von Proteindrinks verzichten will, sollte die Ergebnisse einer US-Studie beherzigen. Demnach hängt der muskelaufbauende Effekt vom Trainingszustand ab. Wer trainiert ist, profitiert von der Extraportion Eiweiß, wer untrainiert ist, der wird auch mit Protein nicht stärker. (Günther Brandstetter, 16.3.2019)