Eisenstadt – Seit geraumer Zeit gibt es eine neue politbeobachtende Disziplin: die Doskologie. So wie einst eine Heerschar von Kremlologen versucht hatte, die Vorgänge im sowjetischen Machtzentrum zu entschlüsseln, bemüht man sich heute, die irritierenden Wirrungen oder Irrungen des Hans Peter Doskozil zu interpretieren. Zuweilen irritiert dann aber gar nicht Dosko – wie er landauf, landab gerufen wird -, sondern die Interpreten.

Unlängst besuchte er Bundeskanzler Sebastian Kurz. Das hielten viele für Doskos "nächste Provokation" der Parteichefin. Als wäre der Besuch eines eben erst angelobten Landeshauptmanns beim amtierenden Regierungschef echt etwas Außerordentliches.

Bundeskanzler Sebastian Kurz und Hans Peter Doskozil vor wenigen Tagen.
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Ein Rätsel

Natürlich fordert Doskozil die Doskologen heraus. So wie einst die Sphinx stellt der burgenländische Landeshauptmann die Beobachter vor schwierige Rätsel, die freilich stets um die eine – in der zerzausten SPÖ immer zentraler gewordene – Frage kreisen: Ist er die fünfte Kolonne der FPÖ mitten in der sozialdemokratischen Eigentlichkeit? Überholt er gar die FPÖ rechts?

Doskozil hat schon vor längerem versucht, diese Frage zu beantworten. Sehr sphinxisch. Die SPÖ – seit der Zeit von Karl Renner und Otto Bauer in ein "rechtes" und ein "linkes" Spielfeld geteilt – müsse sich "gesellschaftspolitisch liberal, sozialpolitisch links, wirtschaftspolitisch pragmatisch und in Sicherheitsfragen konsequent positionieren".

Sicherheitshaft für alle, Staatsbürgerschaftsentzug für IS-Kämpfer überdehnen den Begriff "konsequent" freilich ziemlich konsequent. Nicht nur die in der SPÖ-Zentrale in der Wiener Löwelstraße fragen sich: "Warum tut er das?" Das ist der Punkt, an dem die sterndeutende Doskologie einsetzt.

Denkschulen

Die wird, nona, geprägt von mehreren Denkschulen. Eine fußt auf dem Theorem der Verhaspelung, des Herausrutschens. Die Sicherheitshaftforderung entstammte zum Beispiel den lauteren Überlegungen, die Klagen von Gewaltschutzeinrichtungen aufzugreifen und rechtliche Instrumente jenseits der bloßen Wegweisung zu schaffen. Warum aber Doskozil diese Überlegungen so eng ans Asylthema knüpfte, bleibt rätselhaft. Herausgerutscht? Verhaspelt?

Karl Renner, zweifacher Republikgründer und stets pragmatisch-rechter Sozialdemokrat, im Zwiegespräch mit dem burgenländischen Landeshauptmann.
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Nein, sagen jene, die der Anschauung zuneigen, er verfolge eine Art "Finte der offenen Tür". Indem er Verhandlungsbereitschaft bei solch heiklen Fragen signalisiere, wolle er das leidige, von der Regierung ständig gespielte Migrationsthema auf den Verhandlungstisch und so aus dem Fokus der Debatte bringen. Das schüfe Platz für eigene Themen. Zum Beispiel Erbschafts- und Vermögenssteuern. So eine Debatte aber, richtete die Parteichefin zu Jahresbeginn aus, komme gerade ungelegen.

In den Rücken gefallen?

Dosko – sagt diese Denkrichtung in der Doskologie – würde Pamela Rendi-Wagner also sowieso in den Rücken fallen. Wurscht, was er sagt, die Löwelstraße wäre in jedem Fall irritiert. Wer Bundesgeschäftsführer Thomas Drozda unlängst in der ZiB 2 gesehen hat, bekam einen mitleiderregenden Eindruck davon, wie weit diese Irritation schon gediehen ist. Dass daran in der Hauptsache der neue burgenländische Landeshauptmann schuld sein solle, sei zu viel der Ehre, ätzt man in Eisenstadt.

Will Doskozil das wild schwankende Parteischiff übernehmen, wie viele – teils ängstlich, teils hoffnungsfroh – mutmaßen? Da wäre er – sagt man im "pragmatischen" Flügel unter den Doskologen – "schön deppert". Weil er aber, so das eine oder andere Eisenstädter Schandmaul, beides nicht sei, darf man annehmen, dass Hans Peter Doskozil es sich auf dem Sessel des Landeshauptmannes bequem macht.

1700 netto

Nein: bequem nicht. Zu viel hat er sich vorgenommen und das Vorgenommene hinausposaunt, als dass Ruhe einkehren könnte ins Landhaus: Pflege! Biowende! Mindestlohn! Bei diesem hat er angedeutet, wie man die landesnahen 1700 netto auch der Wirtschaft schmackhaft machen könne. Mit einer Steuerbefreiung bis 1500 zum Beispiel. Aber das wären Steuerfragen. Und da bräuchte es dann Löwelologen, die nachforschen, ob so etwas dort gerade gelegen kommt.

Doskozil im burgenländischen Landtag.
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Die Umsetzung der Doskozil'schen Vorhaben ist zähe Arbeit. Hier erst wird sich dann sein tatsächliches Format erweisen. Zu weit hat er sich schon aus dem Fenster gelehnt, als dass er sich ein Scheitern leisten könnte. Er macht jedenfalls Tempo.

Dabei scheint er oft nicht nur die Seinen ein bisserl zu überfordern, sondern auch zu vergessen, dass er einen Koalitionspartner hat. Nichts von seinen Plänen ist mit der FPÖ noch detailliert abgesprochen. Manches – Mindestlohn als Ausschreibungsbedingung etwa – könnte eine rote Linie sein. "Damit ruiniert er ja gerade die kleinen, regionalen Unternehmen", sagt einer.

Winterwahl

Die burgenländische FPÖ ist also weniger deshalb irritiert, weil Doskozil sich gewissermaßen auf Herbert Kickls Pferd setzt, sondern weil er sich in der Landesregierung so breitmacht, dass der Junior kaum Platz zum Atmen hat. Aus dieser – in der Doskologie noch zu wenig beachteten Ecke – könnte ein veritables Problem erwachsen.

Es sei denn, Doskozil erreicht – so wie Hans Niessl 2005 – eine Absolute. Nicht ausgeschlossen, aber sehr, nun ja: ambitioniert. Gewählt wird nächstes Jahr Ende Mai.

Der redselige Tiroler SP-Chef Georg Dornauer, den viele schon den kleinen Dosko aus den Bergen nennen, hat sich bei Fellner! Live - einer dem Verhaspeln gewidmeten TV-Sendung – verplappert: "Doskozil wird im Jänner 2020 die Absolute holen."

Kleine scheuen Winterwahlen. Burgenlands FPÖ-Chef Johann Tschürtz wird nicht amused sein. Die Doskologen umso mehr. (Wolfgang Weisgram, 17.3.2019)