Die vorlauten Brustwarzen der "Frau Klimesch": Rudolf Wackers Collage "Naturalistisches Klebebild" aus der Privatsammlung der Familie Leopold.

Foto: Leopold Privatsammlung

Ausstellungsansicht: Egon Schieles "Sitzender Männerakt (Selbstdarstellung)" von 1910 flankiert von Skulpturen Auguste Rodins, zwei Leihgaben der Kasser Mochary Family Foundation – links "Der Fallende" (Entwurf vor 1904, Guss 1948), rechts "Figurvariante" (fliegende Figur, großes Modell, 1890/91).

Foto: Leopold Museum, Lisa Rastl

Repertoire des Kunstgewerbes: Glaskunst der Epoche "Wien um 1900", entworfen und gefertigt in den Ateliers der Wiener Werkstätte und anderen Manufakturen.

Foto: Leopold Museum, Lisa Rastl

Es ist vollbracht, wenngleich in letzter Minute: Die Anlieferung einiger Exponate für die neue Dauerpräsentation des Leopold Museums hatte sich verzögert. Den Wetterkapriolen in den USA sei Dank, wie Direktor Hans-Peter Wipplinger en passant erzählt. Ein Nervenkitzel, den Dauerleihgaben bescherten, die nun Seite an Seite mit Eigenbestand eine Epoche repräsentieren, die mit einer Fülle künstlerischer und geistiger Errungenschaften nachfolgende Generationen prägte: Wien um 1900. Aufbruch in die Moderne ist Thema und Phänomen gleichermaßen, das in seiner Kreativität und widersprüchlichen Komplexität dargestellt werden will.

So lautet der Anspruch Wipplingers, unter dessen Regie ein Gremium von Fachleuten bei der Konzeption mitmischten. Namentlich Experten für Tanz, Ästhetik, Fotografie, Philosophie und Ökonomie, für Literatur, Theater und Musik, für Angewandte Kunst, Architektur, Psychologie, Philosophie, die Kunstgeschichte und die Sammlungsgenese nicht zu vergessen. Genug der Aufzählung? Nun, dieser interdisziplinäre Ansatz spiegelt den spezifischen Zeitgeist, der in einer von Gegensätzen infiltrierten Atmosphäre des Aufbruchs sich selbst der ergiebigste Nährboden sein sollte. Das Wechselspiel als Essenz.

Viele Dauerleihgaben

Eine Mission, die sich auf drei Etagen und rund 3000 Quadratmetern erstreckt, mit 1300 Statisten aller Gattungen: 280 Gemälde, 80 Skulpturen, 90 Möbel, 50 Fotografien, 260 Archivalia. Das Kunstgewerbe ist mit 410 Objekten mengenmäßig in der Überzahl. Darunter hauptsächlich Werke aus eigenem Bestand, garniert mit Neuankäufen (man staunt) und, Überraschung, ergänzt um Dauerleihgaben aus nicht weniger als 50 privaten und institutionellen Sammlungen.

So weit die Zutaten zu einer Reise, die in der Blütezeit des Wiener Historismus beginnt und am Schlachtfeld des kulturellen Exodus am Vorabend des Zweiten Weltkrieges endet. Zwischendrin fügt sich eine temporäre Schau zu Arnold Schönberg ein, ein Platzhalter für Oskar Kokoschka, der nach der ihm gewidmeten Retrospektive (April-Juli 2019) hier einziehen wird. Insgesamt sind es 36 Stationen, die sich in ihrer Zusammenstellung zweckdienlich von der bisherigen Präsentation, die 2008 noch unter dem Regime Rudolf Leopolds konzipiert worden war, unterscheiden.

Dass sein Geist im positiven Sinne dennoch durch die Säle wabert, ist seinem enzyklopädischen Ansatz beim Sammeln gedankt. Was andere über Jahre als manisches An-sich-Raffen empfanden, entpuppt sich in seiner Konsequenz als nachhaltiger Glücksfall. Und als Möglichkeit, die gesamte Bandbreite dieser Epoche für Besucher zu rekonstruieren. Das kann kein anderes Museum in dieser Güte und Totalität stemmen. Weder hierzulande, noch anderswo. Das führt "Wien um 1900 reloaded" deutlich vor Augen.

Aus dem Depot

Neben den geläufigen Signature Pieces von Gustav Klimt (Am Attersee, Tod und Leben) oder Egon Schiele (u. a. Kardinal und Nonne, Wally), barg man aus dem Depot auch Objekte, die noch nie oder nur selten zu sehen waren: Entwürfe von Koloman Moser und Josef Hoffmann, oder ein expressives Holzgerümpel, das man dem Stimmungsimpressionisten Emil Jakob Schindler spontan nicht zuordnen würde. Oder Rudolf Wackers Naturalistisches Klebebild, gemäß der Dargestellten auch Frau Klimesch betitelt, deren Brustwarzen dreist aus der Bluse hüpfen. Die Collage befindet sich im Besitz der Familie Leopold. Noch, hinter den Kulissen wird ja an einer Anbindung der "Sammlung II" gewerkelt.

Die Dauerausstellung wartet weiters mit Positionen auf, die für die Wechselbeziehung der Secessionisten mit internationalen Kollegen stehen: Auguste Rodin und Ferdinand Hodler etwa, auch Franz von Stuck oder Max Klinger, von dem man vergangenes Jahr zwei Skulpturen erwarb. Spendablen Patrons sei Dank leistete man sich 2018 Neuankäufe im Wert von rund 500.000 Euro. Dazu gehört auch eine von Josef Hoffmann entworfene Schlafzimmereinrichtung für die Tochter eines Textilindustriellen.

Obwohl das Museum mit seinem Bestand aus dem Vollen schöpfen könnte, mag die Menge an Leihgaben überraschen. Darunter solche ehemaliger Weggefährten oder Konkurrenten Rudolf Leopolds. Angehörige der Spezies Privatsammler, deren Leidenschaft dort bewahrt, wo öffentliche Mittel längst versiegt sind. Dass Ariel Muzicant dazu gehört, mag überraschen. Noch vor zehn Jahren flogen zwischen dem damaligen IKG-Präsident und dem Museumsgründer in der NS-Raubkunst-Debatte die Fetzen. Geschichte, deutlicher könnte man eine neue Ära nicht signalisieren. (Olga Kronsteiner, 16.3.2019)