"Das ist nicht Neuseeland": Neuseeland trauert nach der Terrorattacke auf zwei Moscheen während des Freitagsgebets.

Foto: APA/AFP/DAVID MOIR

Christchurch – "Er hatte absolut die Absicht seinen Angriff fortzusetzen." – Nach Angaben von Neuseelands Premierministerin Jacinda Ardern wollte der Hauptverdächtige der Terrorattacken auf zwei Moscheen in Christchurch noch weitere Taten begehen, als er verhaftet wurde. Er habe zwei weitere Schusswaffen im Auto gehabt und die Absicht gehabt, seine Angriffe fortzusetzen, sagte Ardern am Samstag. In seinem Wagen wurden auch ein Sprengsatz sichergestellt.

Ardern zufolge ist inzwischen auch klar, dass auch kleine Kinder Opfer der Attacke geworden seien. Bei den Angriffen wurden nach Angaben der Polizei 49 Menschen getötet und 42 verletzt. Zwei Verletzte waren am Samstag noch in kritischem Zustand, darunter ein vierjähriges Kind. Die Opfer waren mehrheitlich Einwanderer oder Flüchtlinge aus Ländern wie Pakistan, Indien, Malaysia, Indonesien, Türkei, Somalia und Afghanistan. In Neuseeland sind gut ein Prozent der fünf Millionen Bewohner Muslime.

Erste Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Der 28-jährige Hauptverdächtige ist inzwischen in Handschellen und weißer Gefängniskleidung einem Richter vorgeführt und offiziell des Mordes beschuldigt worden. Ein Gericht in Christchurch entschied dies unter strengen Sicherheitsvorkehrungen bei einer Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Weitere Anklagepunkte dürften noch folgen. Der Australier stellte keinen Antrag auf Freilassung gegen Kaution und bleibt weiter in Gewahrsam. Er soll am 5. April das nächste Mal vor Gericht erscheinen.

Die Behörden halten den mutmaßlichen Attentäter für einen Gewalttäter aus rassistischen Motiven. Darauf deuten seine Auftritte in sozialen Medien hin. Videobilder des Angriffs auf eine der beiden Moscheen wurden live über Facebook übertragen. Außerdem wird dem Mann ein von ihm so bezeichnetes im Internet veröffentlichtes "Manifest" zugeschrieben, in dem Einwanderer als "Invasoren" verurteilt werden.

Fitnesstrainer, der gern Stripperinnen mietete

Laut der Zeitung "The Australian" hat der Attentäter früher als Fitnesstrainer gearbeitet. Schon damals soll der Australier merkwürdige Kommentare von sich gegeben haben, berichtete das Blatt am Samstag unter Berufung auf Nachbarn und Online-Einträge des heute 28-Jährigen. Im Jahr 2011 habe der Mann über sich geschrieben: "Ich bin ein Monster der Willenskraft. Ich brauche nur ein Ziel."

In einem anderen Eintrag aus demselben Jahr heißt es demnach: "Ich dirigiere jeden Tag Fitness-Kurse mit mehr als 20 Leuten, die mich die ganze Zeit anschauen, mir Fragen stellen und 60 Minuten lang meine Bewegungen nachmachen. Und ich genieße das. Mein Selbstbewusstsein ist durch die Decke. Ich bin die stärkste Person der Stadt." Als Lieblingsbeschäftigungen habe er damals Videospiele und "Stripperinnen mieten" genannt.

Ehemalige Nachbarn in der Gemeinde Grafton beschrieben ihn demnach als jemanden aus einer "schönen Familie". Er sei ein netter junger Mann gewesen. Die Mutter war dem Zeitungsbericht zufolge Englisch-Lehrerin, der Vater nahm an Triathlon-Wettbewerben teil. Die Familie selbst wollte dem "Australian" zufolge nicht über den Mann sprechen.

36 Minuten bis zur Festnahme

Zum Ablauf der Tat sind in der Zwischenzeit neue Details veröffentlicht worden. So sind zwischen dem ersten Alarm und der Festnahme des mutmaßlichen Täters durch die Polizei insgesamt 36 Minuten vergangen. Dazwischen schoss der Täter nach bisherigen Ermittlungen in beiden Moscheen wahllos auf Besucher.

Zu den beiden weiteren Verdächtigen, die am Freitag festgenommen worden waren und noch immer in Gewahrsam sind, sagte ein Polizeisprecher: "Wir ermitteln derzeit, ob eine Person oder diese Personen in den Vorfall verwickelt waren." Ein dritter Festgenommener wurde freigelassen. Dabei handelte es sich nach Angaben der Behörden um eine bewaffnete Person, die nach dem Anschlag lediglich hatte helfen wollen. Keine der drei festgenommenen Personen habe eine kriminelle Vergangenheit oder werde auf Beobachtungslisten in Neuseeland oder Australien geführt.

Der Besitz von Waffen soll in Neuseeland als Reaktion auf die Terrorattacke neu und strenger geregelt werden. Premierministerin Ardern kündigte als Konsequenz aus dem Anschlag eine Verschärfung der Waffengesetze an. So werde ein Verbot halbautomatischer Waffen erwogen. Der Tatverdächtige hatte laut Ardern im November 2017 einen Waffenschein der Kategorie A erhalten und im folgenden Monat mit dem Kauf der fünf Waffen begonnen, die er bei dem Attentat benutzte. Er war außerdem Mitglied in einem Schützenverein.

Ab 16 kann man Waffenschein erhalten

In Neuseeland kann jeder Bürger und jede Bürgerin über 16 Jahren einen Waffenschein erhalten, wenn er oder sie zuvor einen Sicherheitskurs durchlaufen hat. Mit dem Schein können dann rechtmäßig Waffen erworben werden. Damit ist das Waffenrecht in Neuseeland deutlich laxer als in Australien. In der Vergangenheit scheiterten strengere Gesetze am Widerstand einer starken Waffenlobby, die sich auf die ausgeprägte Jagdkultur des Landes stützen konnte.

Ardern bestätigte, dass der mutmaßliche Attentäter bisher nicht im Visier der neuseeländischen Sicherheitsbehörden gewesen sei, obwohl er sich im Internet extremistisch geäußert hatte. Es werde geprüft, ob der Mann den Behörden früher hätte auffallen müssen, sagte die Regierungschefin. Der australische Regierungschef Scott Morrison hatte den Angreifer am Freitag als einen "extremistischen, rechtsgerichteten, gewalttätigen Terroristen" bezeichnet.

Imam berichtet von Solidarität

Der Imam einer der beiden angegriffenen Moscheen hat nach den tödlichen Angriffen ein klares Bekenntnis zu Neuseeland abgegeben. "Wir lieben dieses Land nach wie vor", erklärte Ibrahim Abdul Halim am Samstag. Extremisten würden "niemals unser Vertrauen" erschüttern, fügte der Imam der Moschee in Linwood, einem Vorort von Christchurch, hinzu. Dort hatte der Angreifer am Freitag sieben Menschen getötet. Zuvor hatte er in der Masjid-al-Noor-Moschee im Zentrum von Christchurch gezielt auf die versammelten Gläubigen geschossen.

Halim beschrieb, wie er als Vorbeter des Freitagsgebets plötzlich Schüsse in der Moschee in Linwood hörte. "Alle legten sich auf den Boden, ein paar Frauen fingen an zu weinen, manche Menschen waren sofort tot", schilderte der Imam.

Nach dem Anschlag sei die Mehrheit der Neuseeländer "sehr darauf bedacht, uns alle zu unterstützen, uns ihre volle Solidarität zu geben". So hätten ihn am Tag nach dem Anschlag wiederholt Fremde umarmt. Diese Form der Solidarität sei "etwas sehr Wichtiges", betonte Halim.

Internetkonzerne zu wenig aktiv

Kritik an den Internetkonzernen übte derweil der Terrorismus-Experte Peter Neumann. Er fordert mehr Hilfe von den Konzernen im Anti-Terror-Kampf. Zwar sei eine hundertprozentige Live-Überwachung von YouTube, Facebook und anderen Plattformen zum Aufspüren blutrünstiger Terrorpropaganda unrealistisch, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe (Samstag), aber auch in der ZIB2.

ORF

Die Unternehmen könnten mehr tun als bisher, um etwa die Übertragung von Attentaten zu erschweren. "Gegen die rasante und massenhafte Verbreitung lässt sich nur mit mehr Einsatz von Personal und Technik vorgehen, mit deren Hilfe diese brutalen Videos gelöscht werden", sagte Neumann, der am Londoner King's College zu Extremismus und Radikalisierung forscht.

"Die brutale Tat live zu übertragen dient zum einen einer narzisstischen Selbstinszenierung des Täters", erklärte Neumann. "Zum anderen soll die Tat so medial verbreitet werden. Das ist neben Manifest und Verweisen durch den Attentäter Teil der Propaganda-Strategie." Die einschlägigen Online-Plattformen könnten dies mit geeigneten Mitteln durchkreuzen "und so auch ihrer Verantwortung als global agierendes Unternehmen" gerecht werden. (red, APA, Reuters, 16.3.2019)