Der Turm, der Wiens Weltkulturerbe bedroht.

Entwurf: Isay Weinfeld und Sebastian Murr, Rendering: nightnurse images, Zürich

Wien – Das umstrittene Hochhausprojekt am Wiener Heumarkt samt 66-Meter-Wohnturm ist für Vizekanzler Heinz-Christian Strache (FPÖ) "in dieser Form gestorben". Es sei "Gefahr im Verzug", sagte Strache bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Kulturminister Gernot Blümel (ÖVP) am Montag. Es reiche nicht, das Projekt, wie von der Wiener SPÖ angekündigt, für zwei Jahre einem Nachdenkprozess zu unterziehen. Es müsse "verworfen und gestoppt werden".

Zuvor hatte die Wiener SPÖ am Sonntag in der Diskussion über das Projekt im Bezirk Landstraße eine "zweijährige Phase des Nachdenkens" angekündigt. Während dieser werde "sich gar nichts ändern", sagte Landtagspräsident Ernst Woller (SPÖ). Außerdem solle ein Managementplan für das Weltkulturerbe erstellt werden.

Der türkis-blauen Bundesregierung reicht diese Nachdenkpause bei weitem nicht. In einem Brief an die rot-grüne Stadtregierung fordert Blümel die Stadt auf, schriftlich zuzusichern, dass das Projekt in der aktuellen Form nicht kommt. "Wenn die Stadt Wien dem nicht nachkommt, wird der Bund eine Weisung erteilen", sagte Blümel. Wien hat laut Blümel bis 8. April Zeit für ein diesbezügliches Antwortschreiben.

Sollte die Stadt weiter auf das aktuelle Bauvorhaben setzen, gäbe es aber auch noch eine andere Möglichkeit: "Wenn die Stadt Wien sagt, wir wollen das Weltkulturerbe nicht, wäre in der Sekunde Klarheit da", sagte Blümel.

Grafik: APA

Bericht von Icomos für SPÖ "wenig überraschend"

In einem aktuellen Gutachten des Denkmalrats Icomos wurde empfohlen, die Planungen für zwei Jahre auszusetzen und mit dem Entwickler Alternativen zu erarbeiten, die mit dem Unesco-Weltkulturerbestatus vereinbar sind. Der Bericht sei "wenig überraschend", betonte Woller. "Wir sind in sehr intensiven Gesprächen – fast täglich, wöchentlich – mit der Unesco und mit Icomos." Er sei zuletzt erst in Paris gewesen, wo beide Organisationen ihren Sitz haben, wies er zugleich Oppositionskritik an Stadtoberhaupt Michael Ludwig (SPÖ) zurück. "Der Bürgermeister ist in dieser Frage hochaktiv."

Neben der Nachdenkphase und der Erstellung eines Managementplans, in den Icomos einbezogen werden solle, betonte Woller, dass der Bund beauftragt sei, die soziokulturellen und sozioökonomischen Effekte des Projekts zu untersuchen. Es gebe nun eine "Phase bis 2021, wo nichts radikal Neues passiert, schon gar keine Baumaßnahmen". Dass sich in dieser Zeit nichts ändert, heiße auch, die Innenstadt bleibe auf der Roten Liste des bedrohten Weltkulturerbs.

Der Projektbetreiber hat laut Woller inzwischen eine Baubewilligung beantragt. Das sei ein normales Verfahren, das noch nicht begonnen habe. Zudem werde dieses ebenfalls etwa zwei Jahre dauern. Mit dem aktuellen Zustand des Areals am Heumarkt ist Woller jedenfalls nicht zufrieden. Er sprach von einem "Schandfleck mitten in der Stadt".

Negatives Gutachten

Das vom Icomos erarbeitete Gutachten zum Heumarkt-Projekt in Bezug auf den Weltkulturerbe-Status fällt äußerst negativ aus. Somit könnte Wien – wird das Projekt mit seinem 66 Meter hohen Turm so umgesetzt wie geplant – seinen Weltkulturerbe-Status verlieren.

Das geplante Hochhausprojekt würde das Stadtbild "zerstören", da das Areal seine "historische Authentizität" und "kulturelle Bedeutung" verlöre, heißt es darin. Deshalb werde empfohlen, die Planungen für zwei Jahre auszusetzen und mit dem Entwickler Alternativen zu erarbeiten, die mit dem Weltkulturerbe-Status vereinbar sind. Die Unesco hatte das historische Zentrum Wiens aufgrund der Pläne bereits im Juli 2017 auf die Liste des gefährdeten Welterbes gesetzt.

Kritik von Opposition

Scharfe Kritik kam am Sonntag von der Opposition. FPÖ und ÖVP werfen Bürgermeister Ludwig Untätigkeit vor. "Als Bürgermeister der Bundeshauptstadt hat sich Genosse Ludwig für die positive Entwicklung Wiens einzusetzen, anstatt bei drohender Negativveränderung in Untätigkeit zu verharren", erklärte die FPÖ am Sonntag in einer Aussendung. "Die Silhouette nun dermaßen zu verändern würde nicht nur den Status Wiens als Weltkulturstätte beenden, sondern auch einen drastischen Eingriff in das charakteristische, historische Ortsbild der Stadt bedeuten", sagte Landesparteichef Johann Gudenus.

Auch ÖVP-Stadtrat Markus Wölbitsch kritisierte die Zurückhaltung des Bürgermeisters: "Wien ist mit seinen historischen Kulturstätten ein Juwel, das es zu schützen gilt. Doch von Bürgermeister Ludwig gibt es weder eine Wortmeldung noch eine konkrete Handlung, um sich aktiv für das Weltkulturerbe einzusetzen. Rot-Grün setzt damit das Weltkulturerbe in Wien aufs Spiel."

Liste Jetzt richtet Beschwerde an Volksanwaltschaft

Die Liste Jetzt sieht nun "die Felle aller Spekulanten und politisch Verantwortlichen davonschwimmen". Deren Kultursprecher Wolfgang Zinggl sagt, der Neuigkeitswert des aktuellen Gutachtens halte sich "in Grenzen". Er fordert, dass Minister Blümel nun "rasch und deutlich handeln wird und morgen dem Heumarkt-Projekt endgültig die Rote Karte zeigt".

Zinggl richtet in der Causa eine Beschwerde an die Volksanwaltschaft. Diese hatte in ihrem Prüfbericht zum Flächenwidmungsplan keine Notwendigkeit zum Einschreiten gesehen. Zinggl sieht dies anders. Er beruft sich auf die angebliche Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung zu dem umstrittenen Projekt.

Die Volksanwaltschaft hat vor fast einem Jahr in ihrem Prüfbericht festgehalten, dass sie zwar grobe Missstände in der Verwaltung der Stadt orte, jedoch keine Gesetzwidrigkeit, die zu einem Einschreiten Anlass geben würden. Für Zinggl ist die Gesetzwidrigkeit des Flächenwidmungsplans aber offenbar doch gegeben. Sie ergibt sich nämlich aus der nicht vorgenommenen Umweltverträglichkeitsprüfung, meint er.

Verfahren vor BVwG am Montag

Zinggl beruft sich auf den gerichtlich bestellten Sachverständigen Manfred Wehdorn. Er habe festgestellt, dass laut EU-Richtlinie eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei. Sollte das vor dem Bundesverwaltungsgericht in einem Verfahren am Montag bestätigt werden, müsse auch die Volksanwaltschaft zwingend einschreiten, weshalb Zinggl dort formal eine Beschwerde einreichen will.

"Die Volksanwaltschaft hat die Aufgabe, das gesetzeskonforme Handeln politischer Entscheidungen einzufordern. Dieser Aufgabe darf sie sich nicht durch wegsehen entledigen", sagte Zinggl der APA. Er nimmt abermals auch die Regierung in die Pflicht, die ihrer gesetzlichen Verpflichtung längst hätte nachkommen können, um den drohenden Verlust des Welterbe-Status in Wien "endgültig abzuwenden".

Darüber hinaus habe der Verfassungsexperte Theo Öhlinger in einem Gutachten festgestellt, dass die Welterbekonvention ein im Rang eines Bundesgesetzes stehender, unmittelbar anwendbarer Bestandteil der österreichischen Rechtsordnung sei, so Zinggl. Ein Verstoß gegen diese Konvention durch den Flächenwidmungsplan, welche die Volksanwaltschaft bestätigt habe, müsse ebenfalls eine Verordnungsprüfung zur Folge haben. (red, APA, 17.3.2019)