In jüngster Zeit mehren sich die Forderungen nach einer Politikgestaltung auf Basis von Fakten und empirischen Belegen anstelle von ideologischen Überzeugungen. Beispiele aus Österreich sind die Diskussionen über die Schaffung zweier Thinktanks im Bundeskanzler- und Vizekanzleramt oder die politische Unabhängigkeit der Statistik Austria.

Unterstellt man einer Regierung voller Vertrauen, dass sie das Ziel verfolgt, die gesellschaftliche Wohlfahrt zu maximieren, stellt sich eine entscheidende Frage: Welche Erfolgsaussichten hat eine evidenzbasierte verglichen mit einer ideologiegetriebenen Politik?

Ökonomisches Spannungsfeld

Einleitend ist festzuhalten, dass die Einteilung von Regierungen in "ideologisch" oder "evidenzbasiert" allzu idealtypisch ist. Ein Land lässt sich nicht ausschließlich faktenbasiert regieren; viele politische Positionen sind weder wahr noch falsch, sondern abhängig von der jeweiligen Weltanschauung. Solche Positionen leiten sich daher nicht zwingend aus empirischen Fakten ab, sondern bedürfen letztlich einer politischen demokratischen Legitimation.

Ein Beispiel: Das Thema Vermögens- beziehungsweise Einkommensungleichheit ist derzeit omnipräsent. Dazu gibt es auch eine wachsende Menge an Daten und Fakten, die sich objektiv analysieren lassen. Was uns die Fakten aber nicht sagen können, ist, welcher Grad an Ungleichheit angemessen ist. Soll das alleine der Markt entscheiden? Wenn nein, in welchem Ausmaß hat der Staat das Recht, Einkommen und Vermögen umzuverteilen? Das sind normative Fragen, die nicht alleine aufgrund von faktenbasierten Analysen beantwortet werden können, sondern nur durch Abwägung und Gewichtung unterschiedlicher, häufig in Konflikt miteinander stehender Wertvorstellungen. Dem wohl wichtigsten ökonomischen Spannungsfeld, jenem zwischen Gleichheit und Effizienz, hat der Makroökonom Arthur Okun bereits im Jahr 1975 ein eigenes Buch gewidmet.

Im Thinktank von Kanzler Kurz soll es zentral um die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs gehen.
Foto: APA/HANS PUNZ

Auch wenn die Unterscheidung zwischen positiven und normativen Fragestellungen am Anfang fast jeder Einführungslehrveranstaltung in Volkswirtschaft steht, werden diese beiden Dimensionen in der öffentlichen Diskussion oft miteinander vermischt, manchmal unwissentlich, oft aber auch bewusst, wenn politische Ansichten als wissenschaftliche Erkenntnisse präsentiert werden.

Welche hat mehr Einfluss?

Nehmen wir dennoch an, es gäbe diese beiden Idealtypen von ideologiegetriebenen und faktenbasierten Regierungen. Welche hat mehr Einfluss? Definiert man Einfluss nicht nur als Ausmaß der Wirkung (unabhängig von deren Richtung), sondern auch als Übereinstimmung der erzielten mit der beabsichtigten Wirkung, dann wird eine Regierung, die faktenbasiert entscheidet, immer das bessere Ergebnis erzielen. Es ist zwar durchaus möglich, dass sich ideologische mit faktenbasierten Entscheidungen decken; das wird aber nur für einen Teil aller politischen Entscheidungen der Fall sein.

Eine Regierung, die durchwegs dem Markt gegenüber dem Staat den Vorzug gibt, wird mit ihren Entscheidungen richtig liegen, wo der Markt funktioniert. Liegt jedoch Marktversagen vor, dann ist das ideologisch motivierte Festhalten an einer Marktlösung kontraproduktiv. Umgekehrt wird eine Regierung mit ideologischen Vorbehalten gegenüber freien Märkten und einem Hang zu Regulierung und Intervention in Konstellationen mit Marktversagen gute Erfolgsaussichten haben, bei funktionierenden Märkten allerdings den gesellschaftlichen Wohlstand unnötig reduzieren.

Politik und Wissenschaft sind daher keine natürlichen Feinde, aber die grundsätzliche Aufgabentrennung ist klar: Es braucht demokratisch legitimierte Politik mit "Checks and Balances", um gesellschaftliche Zielkonflikte zu entscheiden. Die Wissenschaft kann zur Qualität dieses Prozesses beitragen, indem sie objektive Informationen bereitstellt. Sind die Ziele und deren Prioritäten auf diesem Wege geklärt, ist die Politik jedoch gut beraten, keine eindimensionalen, ideologisch motivierten Maßnahmen zu setzen, sondern auf faktenbasierte, wissenschaftliche Analysen zurückzugreifen. Ausreichende Kompetenz zur umfassenden Etablierung einer evidenzbasierten Wirtschaftspolitik ist in Ländern mit entsprechendem Humankapital (wie in Österreich) vorhanden. Die Politik ist eingeladen, aktiv und ergebnisoffen auf diese Kompetenz zurückzugreifen. (Harald Badinger, 19.3.2019)