Sollen Patienten in Österreich – wie beispielsweise auch in Deutschland – Cannabisblüten in Apotheken erhalten können? Das Gesundheitsministerium sagte in einem Bericht letzten Dezember: Nein.

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Jetzt-Gesundheitssprecherin Daniela Holzinger-Vogtenhuber gibt sich mit dem Bericht zum Einsatz von Cannabis in der Medizin, den das Gesundheitsministerium erstellt hat, nicht zufrieden. Sie will "zurück an den Start" und fordert einen neuen Bericht, der von einem unabhängigen Institut erstellt werden soll.

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Wien – Im Gesundheitsausschuss des Parlaments steht am Dienstag nicht nur erneut das Don't-Smoke-Volksbegehren zur Debatte. Die Abgeordneten und geladene Expertinnen und Experten befassten sich mit der Liberalisierung von Cannabis zu medizinischen Zwecken.

Ende 2018 hat das Gesundheitsministerium einen Bericht vorgelegt, in dem ein solcher Einsatz – also vor allem die Verschreibung der Cannabisblüte neben den bisher schon erhältlichen synthetischen und halb-synthetischen Präparaten – analysiert wurde. Verlangt hatten den Bericht alle Fraktionen.

Ministerium betreibe "Wissenschaftschauvinismus"

Von der Liste Jetzt, die – damals noch unter Gesundheitssprecher Peter Kolba – das Thema überhaupt in den Ausschuss gebracht hatte, gibt es an dem Bericht nach wie vor scharfe Kritik. Kolbas Nachfolgerin Daniela Holzinger-Vogtenhuber sieht gar "Wissenschaftschauvinismus", es fehle an "jeglicher wissenschaftlicher Grundlage. Auf elf Seiten wird die Linie der FPÖ und von Ministerin Beate Hartinger-Klein festgeschrieben."

In dem Papier wird unter anderem eine unzureichende Datenlage bemängelt. Holzinger-Vogtenhuber: "Wir haben Evidenzen aus der ganzen Welt, dass Cannabis als Naturprodukt in der Medizin gute Ergebnisse liefert." Dem pflichten auch zwei Ärzte bei, die die Liste Jetzt zur Unterstützung geladen hat. Kurt Blaas, der sich in seiner Wiener Praxis auf Cannabismedizin spezialisiert hat, zählt einige internationale Studien auf. Gynäkologin Iris Pleyer, die vor allem Cannabidiol (CBD) verschreibt, stimmt zu: "Für ausreichend Daten müssen wir nur über die Grenzen schauen."

Hartinger-Klein verteidigt Bericht

Und alle drei sind sich einig: Wenn das Ministerium der Meinung ist, dass es zu wenige wissenschaftliche Studien gibt, dann muss in die Forschung investiert werden. Holzinger-Vogtenhuber fordert deswegen im Ausschuss die Erstellung eines neuen Berichts, "und zwar von einem unabhängigen Institut".

Der im Dezember veröffentlichte Bericht, den nicht nur die Liste Jetzt, sondern auch die Neos und die SPÖ im Ausschuss kritisierten, wurde allerdings angenommen. Die Gesundheitsministerin verteidigte das Papier: "Mir geht es um die Sicherheit der Menschen in unserem Land. Das ist keine Ideologie-Sache." Sie habe eine wissenschaftlicher Gremium und das sei der Oberste Sanitätsrat. "Da sitzen alle drinnen, die einen Namen haben. Das lasse ich mir nicht diskreditieren. Ich teile die Empfehlung des Sanitätsrates." Was Holzinger-Vogtenhuber aber dennoch erreichen konnte: Das Thema wird abermals im Ausschuss diskutiert werden.

Was für die Blüte spricht

Warum braucht es die Blüte eigentlich? Schließlich können Patienten jetzt schon auf Medikamente zurückgreifen, die Cannabinoide erhalten – die meisten der 15.000 bis 20.000 Menschen werden in Österreich mit Dronabinol behandelt, sagt Mediziner Blaas. Das für die Produktion des Medikaments benötigte Cannabis wird übrigens in Österreich von der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (Ages) produziert.

Viele würden nach einigen Monaten mit dem Medikament allerdings zu ihm kommen und berichten, dass sie zwar zufrieden seien, aber trotzdem auf die Blüte umsteigen. "Weil sie allumfassender, ganzheitlicher wirkt." Blaas zieht einen anschaulichen Vergleich: "Wenn ich von A nach B kommen will, dann kann ich das in einem Citroën 2CV tun. Das wäre das Dronabinol. Die natürliche Pflanze ist die Mercedes-Luxusklasse." Da lege man den Weg mit mehr Lebensqualität zurück.

Allerdings: Verleitet die Blüte nicht zum Rauchen, und kann das ein Arzt überhaupt gutheißen? "Rauchen ist out", sagt Blaas, der das von seinen Patienten weiß. "In ist das Inhalieren mit speziellen Geräten." Man könne aber auch ganz einfach einen Tee aufsetzen, das sei das Einfachste.

Wünsche der Bevölkerung berücksichtigen

Einige seiner Patienten besorgen sich das natürliche Produkt. Diese müssten aktuell auf den Schwarzmarkt ausweichen. "So etwas darf nicht sein, wir brauchen eine legale Lösung", sagt Blaas.

Was dem Mediziner ein Anliegen ist, falls es doch noch irgendwann zu einem neuen Bericht kommt: "Man hat vergessen, die Bevölkerung zu befragen, die den medizinischen Einsatz – natürlich vom Arzt begleitet und in der Apotheke verabreicht – befürwortet. Auch Ärzte hat man nicht befragt. Und die Patienten wurden auch vergessen. Das ist ein großer Fehlschlag."

"Pharmaorientierter" Sanitätsrat

Auch Chemiker und Toxikologe Rainer Schmid, der von der SPÖ als Experte geladen wurde, übt Kritik: "Der Oberste Sanitätsrat sprach sich in seiner Stellungnahme an Hartinger-Klein dafür aus, nur zugelassene synthetische Medikamente zu erlauben. Fakt ist aber, dass in den letzten zehn Jahren weiterhin viele andere, neue Medikamente ohne umfangreiche Zulassungsstudien erfolgreich auf den Markt kamen. Primär aus ethischen Gründen, um sie nicht Patienten vorenthalten zu müssen. Aber bei Cannabinoiden soll das jetzt nicht möglich sein. Hier werden plötzlich Standards gefordert, die aberwitzig sind."

Die Agenda des Sanitätsrates sei "ausschließlich pharmaorientiert", was sich an Hand der "Sponsorentätigkeit" der deutschen Pharmafirma Bionorica, die das Medikament Dronabinol herstellt, sehr gut nachzeichnen lasse: "Denn während Bionorica im Jahr 2018 einen Rekordumsatz von knapp 340 Millionen Euro einfährt, bleiben die Patienten in Bezug auf die Verfügbarkeit von medizinischen Cannabis auf der Strecke", sagt Schmid.

Politische Frage

Das sah der Präsident des Sanitätsrates, Markus Müller, naturgemäß anders. Ihm sei "keine andere parlamentarische Debatte zu einem Schmerzmittel bekannt. Mir erscheint, dass hier eine Arzneimittelfrage – die Frage nach Wirksamkeit und Sicherheit eines Produktes – letztlich zu einer politischen Frage gemacht wird." Es sei eine Art "Beweislastumkehr", wenn Österreich beweisen müsse, dass Canabinoide wirksam seien.

Auch die Kritik am Bericht wies Müller zurück: "Ja, es ist kein wissenschaftlicher Bericht, sondern ein Bericht eines Beratungsgremiums an die Bundesministerin." (Lara Hagen, 19.3.2019)