Wien – Nach Ansicht des montenegrinischen Investigativjournalisten Jovo Martinovic erfüllt Montenegro die Kriterien für einen EU-Beitritt derzeit nicht. Besonders in Bezug auf das Rechtssystem habe sich seit der Zeit des Eisernen Vorhangs "nichts geändert", sagte Martinovic am Mittwoch im APA-Interview am Rande seiner Auszeichnung mit dem "Press Freedom Award 2018" in Wien.

Martinović recherchierte insbesondere zu Organisierter Kriminalität und Kriegsverbrechen auf dem Balkan. Im Jänner wurde er in Montenegro wegen mutmaßlichen Drogenhandels zu 18 Monaten Haft verurteilt. "Die Richter haben als Urteil nur das Schlussplädoyer des Staatsanwaltes verlesen", berichtete er. Bis heute habe er das Urteil noch nicht in schriftlicher Form erhalten und könne darum auch nicht in Berufung gehen. Solche Praktiken sind laut Martinovic in Montenegro "normal". "Sie müssen keine Beweise vorbringen, solange sie Richter haben, die ihre Befehle befolgen", erläuterte er.

"Kontrolle durch Medien"

"Die Regierung vertraut, wie das frühere kommunistische Regime, auch noch immer auf die Kontrolle durch Medien, Geheimdienste und andere staatliche Behörden" bemerkte der Investigativjournalist. "Seit 1945 stellt in Montenegro die selbe politische Kraft die Regierung, sie hat nur den Namen geändert. (Staatspräsident Milo, Anm.) Dukanovic ist 1990 (...) an die Macht gekommen", fuhr er fort. Die Regierung sei demnach dieselbe Gruppe, die als kommunistische Partei bis zum Ende der Sowjetunion den Staat lenkte.

Für die Pressefreiheit sei dies ein Problem. "Staatliche Behörden sind auch immer sehr nervös, wenn westliche Medien nach Montenegro kommen", berichtete Martinović. "Ich bin mir sicher, dass ich den Geheimdienst und die Regierung mit meiner Weigerung, mit ihnen zusammenzuarbeiten und andere Journalisten und westliche Diplomaten zu bespitzeln, sehr irritiert habe", erzählte er. Diese Kooperation werde von allen "wahren Patrioten" erwartet. "Meine Verurteilung haben sie als Möglichkeit gesehen, es mir heimzuzahlen."

Repressionen zugenommen

Martinović zufolge haben die Repressionen gegen Journalisten auf dem Balkan zugenommen. "Besonders seit 2015 gab es einige grausame Angriffe", erklärte er. Dies treffe besonders auf Albanien, den Kosovo, Serbien und sogar den EU-Mitgliedsstaat Kroatien zu. Die Täter und Hintermänner seien nie gefasst worden. "Diese Atmosphäre der Straflosigkeit ist verstörend, denn niemand wird zur Rechenschaft gezogen", berichtete er. "Weil sie sehen, dass man in der EU damit ungestraft davonkommt, fühlen sich die Autokraten auf dem Balkan dazu ermutigt, weiterzumachen." "Das ist die Art, wie man Dinge auf dem Balkan regelt", so Martinović. Die EU sei zu sehr mit internen Angelegenheiten beschäftigt um dies zu erkennen.

Der Investigativjournalist hält eine Aufnahme Montenegros in die EU trotz fehlender Standards für möglich. "Wenn es um geopolitische und strategische Überlegungen geht, könnte die EU Montenegro aufnehmen, wie sie auch Bulgarien und Kroatien aufgenommen hat, um die Chinesen und Russen fernzuhalten", analysierte er. Dies ist für ihn jedoch der "falsche Zugang". "Montenegro hat starke Beziehungen zur Türkei und Aserbaidschan sowie anderen Ländern, die sich nicht durch die Wahrung der Menschenrechte und Pressefreiheit auszeichnen", erklärte er. "Ich halte es für sehr wichtig, dass die EU, die USA und alle weiteren westlichen Länder Montenegro und den Balkan im Auge behalten", gab er zu bedenken.

Doch auch in der EU werde die Pressefreiheit angegriffen. "Die Situation in den östlichen Teilen der EU hat sich verschlechtert (...) Es scheint fast, als sei das alte kommunistische Regime zurück, dass alles kontrolliert", so Martinović. (APA, 20.3.2019)