Wenn China ein Großprojekt angeht, sind die Dimensionen meist gewaltig. Das ist bei der geplanten "One Belt, One Road"-Initiative (Neue Seidenstraße) gleich wie bei der mit Abstand größten Wasserumleitung der Welt. "Der Süden hat viel Wasser, der Norden viel zu wenig. Wenn möglich, sollte sich der Norden ein wenig davon ausleihen", sagte Mao Zedong schon 1954.
Ein halbes Jahrhundert nach Maos Aussagen widmete man sich auf chinesischer Seite tatsächlich seiner Idee. Etwa zwei Drittel des Süd-Nord-Wassertransferprojektes, wie die kolossale Idee offiziell heißt, sind mittlerweile umgesetzt. Bis auch der dritte Teil einsatzfähig ist, wird wohl noch viel Wasser gen Norden gepumpt werden. Mit 48 Jahren wurde die Gesamtdauer des Projektes anfangs beziffert. Ein Ende ist derzeit nicht in Sicht.
300 Milliarden Badewannen
Nur rund 20 Prozent von Chinas Wasserressourcen befinden sich im Norden des Landes, aber mehr als die Hälfte seiner Einwohner. In elf Provinzen des Nordens verfügen die Menschen über weniger als 1.000 Kubikmeter Wasser pro Person und Jahr – was laut UN-Definition als Wasserstress gilt. Weitere acht haben nicht einmal die Hälfte davon zur Verfügung. Und dennoch wird in diesen Provinzen fast die Hälfte des chinesischen Bruttoinlandsproduktes produziert. Das Wasser wird dafür dringendst gebraucht.
Sofern das Megaprojekt eines Tages abgeschlossen ist, sollen mittels der drei großen Kanäle jährlich knapp 49 Milliarden Kubikmeter Wasser auf einer Gesamtlänge von 1.432 Kilometern umgeleitet werden. 300 Milliarden Kubikmeter Wasser soll der Norden im Jahr 2050 brauchen.
Brechen wir die Zahlen einmal herunter: 1.432 Kilometer entsprechen ziemlich genau der Luftlinie zwischen Wien und Manchester. Rund 15 Tage lang ist das Wasser dafür unterwegs. 49 Milliarden Kubikmeter Wasser entsprechen der Menge von zwölf Millionen voll befüllten olympischen Schwimmbecken – oder für all jene, die Wassermengen nur in Badewannen messen: Rund 300 Milliarden Mal könnten Sie Ihre damit befüllen.
Umsiedlungen und Umweltkritik
Kaum ein Projekt dieser Größenordnung kommt ohne Kritik aus. Die Versprechen waren freilich groß: Das Wasser würde nicht nur die Hauptstadt Peking, sondern die gesamte Region Tianjin mit Wasser aus dem Jangtsekiang versorgen.
Von Umweltschützern kam die Kritik, dass die ohnehin bereits gravierende Verschmutzung der Gewässer durch die abermalige Umleitung erneut schlimmer werden würde. Auch würde viel zu viel Wasser auf dem Weg verdampfen. Besonders in Flüssen, von denen Wasser für den Norden abgezweigt wurde, kommt es vermehrt zu Schlammablagerungen und verschmutzteren Gewässern.
Mindestens 380.000 Personen wurden für das Projekt umgesiedelt. Sie mussten neue Grundstücke oft für mehr Geld kaufen, als sie für ihre alten erhielten.
Auch zeigen erste Daten, dass Peking der einzig wirkliche Profiteur ist – und nicht der ganze Norden, wie es bei der Vorstellung des Projektes immer hieß. Nur knapp ein Drittel der tatsächlichen Menge kommt derzeit außerhalb Pekings an. Auch ist das Reservoirwasser deutlich teurer.
Dies wiederum könnte die Chinesen endlich dazu bringen, sorgsamer mit den vorhandenen Süßwasserquellen umzugehen. Mit 40 Prozent an recyceltem industriellen Wasser ist Chinas Wert beispielsweise nur halb so gut wie jener in Europa.
In China hat mittlerweile jedoch so etwas wie ein großer Umdenkprozess, vor allem auf politischer Seite, begonnen. Man will die Umwelt nicht mehr für ein permanentes Wirtschaftswachstum opfern, sagt auch Präsident Xi. Auch der erste Projektleiter des Megaprojektes hatte bereits 2013 mahnende Worte für China: Es gehe nicht darum, umzuleiten, der Schlüssel zum Erfolg liege in der Konservierung vorhandener Wasservorräte. (faso, 21.3.2019)