Julia Herr rittert auf unsicherem Platz sechs um die Gunst der Wähler, damit der Einzug klappt.

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Karoline Edtstadler muss durch das parteiinterne ÖVP-System ihren Platz zwei verteidigen.

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TV-Köchin Sarah Wiener könnte mit ausreichend Vorzugsstimmen Werner Kogler gefährlich werden.

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Julia Herr tingelt derzeit durch ganz Österreich. Die 26-jährige Burgenländerin hat den undankbaren sechsten Platz auf der SPÖ-Liste für die Europawahl am 26. Mai. Die Chefin der Sozialistischen Jugend kommt also nur ins Europaparlament, wenn die Sozialdemokraten zulegen – oder sie sammelt ausreichend Vorzugsstimmen. Herr diskutiert daher fleißig an Schulen, hat auf Social Media die Kampagne "Wach auf, Europa!" gestartet und hielt auf dem Dachstein mit ihrem deutschen Juso-Kollegen Kevin Kühnert eine Pressekonferenz ab, um auf den Klimawandel aufmerksam zu machen.

Vorgereiht wird man nach österreichischem EU-Wahlrecht dann, wenn man mehr als fünf Prozent der Parteistimmen als Vorzugsstimmen bekommt – und die davor gereihten Kandidaten nicht noch besser abschneiden. So weit die gesetzliche Regelung. Die ÖVP hat sich darüber hinaus ein internes System verordnet.

Jeder kann es schaffen

Wer für die Volkspartei kandidiert, muss sich verpflichten, einem Kollegen mit mehr Vorzugsstimmen den Vortritt zu lassen. Will heißen: Der mit den meisten Nennungen wird Erster, der mit den zweitmeisten Vorzugsstimmen Zweiter und so weiter. Somit könnte theoretisch auch noch die Kandidatin von Platz zehn ins EU-Parlament einziehen, auch wenn die ÖVP nur wie zuletzt fünf Mandate holen würde. Rechtlich verbindlich ist diese Regelung allerdings nicht; die ÖVP ist darauf angewiesen, dass sich alle daran halten.

Aber was bringen Vorzugsstimmen eigentlich? – In Österreich hat die Nennung einer Kandidatenpräferenz jedenfalls keine Tradition. "Wir scheuen aufgrund unserer Vergangenheit mit Jahren des Führerkults alle Formen des Persönlichkeitswahlrechts", erklärt der Politologe Peter Filzmaier. Die meisten Österreicher würden bis heute gar keine Vorzugsstimme vergeben.

Strategie dahinter

Für die Parteien sei ein Vorzugsstimmenwahlkampf aber hilfreich: "In erster Linie steckt da eine Mobilisierungsstrategie dahinter", sagt Filzmaier. Denn fühle sich kein Kandidat sicher, müssten alle so viele Wähler wie möglich von sich überzeugen – und sich besonders bemühen. Der größte Profiteur ist schlussendlich die Partei.

Die gesetzliche Vorzugsstimmenhürde war auf EU-Ebene bisher von überschaubarer Relevanz. Der einzige richtige Profiteur war Andreas Mölzer. Der Freiheitliche, der 2014 zurücktreten musste, weil er die EU mit dem "Dritten Reich" verglichen hatte, schaffte es zehn Jahre zuvor nur dank einer Vorzugsstimmenkampagne ins EU-Parlament. Knapp 22.000 Direktstimmen konnte der Kärntner 2004 einsammeln, wodurch er dem damaligen FPÖ-Spitzenkandidaten Hans Kronberger das einzige blaue Mandat wegschnappte.

Karas bootete Strasser aus

Eine Vorreihung schaffte auch Othmar Karas, der aktuelle Spitzenkandidat der Volkspartei, bei der Wahl 2009. Ihm gaben gleich 113.000 Wahlberechtigte ihre Vorzugsstimme, wodurch er den damaligen ÖVP-Spitzenkandidaten Ernst Strasser klar hinter sich ließ. Folgen hatte das allerdings keine: Karas wäre als Listenzweiter sowieso im EU-Parlament gewesen. Zum Delegationsleiter machten seine ÖVP-Kollegen trotzdem Strasser. Erst als dieser über einen Bestechungsskandal stolperte, wurde Karas Chef.

Das Beispiel ist symptomatisch. Zumeist bekamen jene Kandidaten die meisten Vorzugsstimmen, die ohnehin sichere Mandate hatten. Bei der letzten EU-Wahl nahm etwa auf ÖVP-Seite neben Karas nur die zweitgereihte Elisabeth Köstinger die Fünfprozenthürde. Bei SPÖ und Grünen kamen bloß die Spitzenkandidaten, Eugen Freund und Ulrike Lunacek, auf ausreichend Stimmen.

Wiener statt Kogler?

Bei den Grünen könnte es dieses Mal aber interessant werden. Schließlich fürchtet die Partei, nur ein Mandat zu ergattern. Würde die bekannte TV-Köchin Sarah Wiener, die für die Grünen auf Platz zwei kandidiert, mehr Vorzugsstimmen bekommen als der Listenerste und Parteichef Werner Kogler, könnte der nicht ins EU-Parlament einziehen.

Filzmaier hält das für möglich, wenn auch unwahrscheinlich: "Ein Promibonus hilft zwar, reicht allein aber nicht", sagt er. Ein Vorzugsstimmenwahlkampf sei nämlich vor allem dann erfolgreich, wenn man eine Teilorganisation hinter sich habe – den Bauernbund, die Gewerkschaft oder eine große Bundesländerorganisation. Das hat Wiener freilich nicht. Genauso wenig Karoline Edtstadler, die auf Platz zwei der ÖVP-Liste antritt. Herr ist immerhin Chefin der roten Jugend. Wählen ist ab 16 Jahren erlaubt. (Katharina Mittelstaedt, Günther Oswald, 22.3.2019)